

"Assange ist echt uninteressant"
David Hugendick in FALTER 7/2011 vom 18.02.2011 (S. 19)
Die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn über das Medienphänomen Wikileaks und die Notwendigkeit von Geheimnissen in der Demokratie
Auf Wikileaks-Gründer Julian Assange kommt in diesen Tage eine Menge zu. Seine ehemaligen Mitstreiter schreiben entlarvende Bücher über ihn und klauen ihm geheime Daten. In der New York Times enthüllt der Chefredakteur Bill Keller nicht nur die Hintergründe der Wikileaks-Berichterstattung, sondern er verhöhnt Assange auch subtil wegen dessen äußerer Erscheinung. Derweil schmachten Informanten von Wikileaks im Gefängnis. US-Banken, die Julian Assange unter Druck setzen wollte, reiben sich die Hände, weil seine Geheimnisse offenbar weniger scharf sind als angekündigt. Was bleibt von Wikileaks? Die in Wien lehrende Literaturwissenschaftlerin Eva Horn hat sich mit Geheimdiensten und dem Wert der Verschwiegenheit in Rechtsstaaten befasst.
Falter: Frau Horn, in Ihrem Buch "Der geheime Krieg" beschreiben Sie ein Paradox der Demokratie: Einerseits habe sie die Pflicht zur Transparenz, andererseits bespreche der Staat vieles im Geheimen. Hat uns Wikileaks das nicht sehr wirksam vorgeführt?
Eva Horn: Das, was durch Wikileaks passiert ist, ist ja nicht so neu. Investigative Journalisten haben oft in die Geheimsphären von Staaten eingegriffen. Denken Sie etwa an die Pentagon Papers oder die Enthüllungen von Seymour Hersh über die getürkten Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak. Das Problem in Demokratien ist, dass sie ihre Legitimation aus Öffentlichkeit und Partizipation beziehen. Deshalb ist es für sie viel problematischer, Staatsgeheimnisse zu haben, als für totalitäre Staaten.
Wozu braucht eine Demokratie überhaupt Geheimnisse?
Horn: Regierungen, egal ob demokratisch oder nicht, brauchen sie aus Sicherheitserwägungen, also in Form von Kriegsgeheimnissen oder Terrorabwehr, um ihre außenpolitischen Interessen wahrzunehmen, um sensible Verhandlungen in einem geschützten Raum durchführen zu können. Aber es muss auch klar sein: Es gibt legitime Geheimnisse und solche, die die Öffentlichkeit erfahren muss. Denn jedes Geheimnis ist nicht nur ein Schutzraum, sondern öffnet immer auch die Möglichkeit für ein Verhalten, das nicht im Sinne des Gemeinwohls ist.
Zum Beispiel?
Horn: Das Geheimnis eröffnet eine Grauzone, in der man sich nicht mehr rechtfertigen muss und nicht mehr kontrolliert werden kann. Es kann auch die Tür für illegitime Gewalt öffnen, etwa in den Folterpraktiken des US-Militärs, aber auch für persönliche Bereicherung, für Korruption. Dieser Verlust an öffentlicher Kontrolle und rechtlicher Belangbarkeit ist es, was das Geheimnis so gefährlich macht.
Wann muss ein Geheimnis an die Öffentlichkeit?
Horn: Wenn der Staat Geheimnisse vor den Bürgern hat, deren Veröffentlichung fundamentale Auswirkungen auf die staatliche Legitimation hat. Wenn es dem zuwiderläuft, was wir als Gemeinwohl erachten. Die Art und Weise, wie etwa der Vietnamkrieg geführt wurde, und welche Lügen zu seiner Rechtfertigung gebraucht wurden, war etwas, was unbedingt aufgedeckt werden musste. Aber pauschal zu sagen, eine Demokratie darf keine Geheimnisse haben, ist nicht möglich. Es ist viel komplizierter.
Julian Assange befürwortet eine umfassende Transparenz.
Horn: Totale Transparenz ist auch totale Überwachung. Das kann doch kein Mensch wirklich wollen. Das beträfe nicht nur die Politik, sondern auch die Privatsphäre aller. Es ist ungeheuer naiv. Assange inszeniert sich als Freiheitskämpfer gegen die konspirative Struktur von Staaten überhaupt. Er glaubt, dass man jedwede Geheimstruktur von Regierungen zerstören muss und dass Regierungen grundsätzlich konspirativ operieren. So etwas glauben Verschwörungstheoretiker. Seine Idee von dieser Plattform ist zweifellos gut, aber er fokussiert sie einzig auf sich. Ehrlich gesagt finde ich die Debatte um die Person Assange unendlich uninteressant.
Warum konzentriert sich die Debatte aber so auf ihn?
Horn: Wie Assange sich in den Vordergrund spielt und plötzlich maskierte Demonstranten Freiheitsparolen rufen, sind typische Effekte einer medialen Öffentlichkeit, die sich eher für das Bekannte interessiert als für komplexe und wirklich neue Sachverhalte. Assange hat eines kapiert: Wenn ich bekannt werden will, muss ich Dinge erzählen, die alle erwarten. Da ist es sehr viel effektiver, die USA anzuprangern oder zum hundertsten Mal vorzuführen, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan irgendwie schieflaufen. Das wussten wir doch längst. Die Innovation, die Wikileaks tatsächlich darstellt, geschieht auf dem Rücken von Nachrichten, die alle schon kennen.
Wie meinen Sie das?
Horn: Als Wikileaks Dokumente über Korruption in Kenia oder über Scientology online gestellt hat, interessierte das kaum jemanden. Dieser Hype ist doch erst entstanden, als sie an die klassischen Medien herangetreten sind. Die Aufmerksamkeit, die Wikileaks bekommen hat, lief nur über die Aufbereitung durch diese Medien. Die haben bestimmte Nachrichten aus den kryptischen Depeschen herausgefiltert – leider auf ungeheuer langweilige Weise.
Was hätten Sie denn gerne gewusst?
Horn: Jedenfalls nicht Geschwätz über "Teflon-Merkel". Herausgefiltert wurde, was gerade der Stimmungslage entspricht. Nur langsam und spärlich kommt heraus, was wirklich interessant ist: die komplizierten politischen Allianzen im Mittleren Osten, die Verstrickungen von Shell mit der nigerianischen Regierung, die medizinischen Versuche von Pfizer in Afrika, um nur ein paar Beispiele zu nennen, die fast unbemerkt vorbeigezogen sind. Erst langsam kommt heraus, was wirklich neu und skandalös ist. Dafür aber braucht es sachkundige Journalisten, die kann Wikileaks nicht ersetzen. Durch die Internetseite ist keine andere Struktur von Öffentlichkeit entstanden. Was wirklich neu ist, ist die Möglichkeit, Insiderinformationen publik zu machen.
Ist das nicht schon viel wert?
Horn: Ich glaube, dass es für westliche Demokratien nicht so bahnbrechend ist, wie manche gerne glauben. Weil man dort eine freie Presse hat. Jeder Politiker, der Dreck am Stecken hat, muss investigative Journalisten fürchten, und das ist auch gut so. Viel wichtiger ist die Idee des Leakings doch für korrupte Staaten, in denen es keine freie Öffentlichkeit gibt. Vielleicht sollte man diese Idee auch nicht auf die höchst intransparente Organisation Wikileaks beschränken. Es gibt mittlerweile immer mehr Leaking-Plattformen, die gerade für Länder, in denen wirklich viel Korruption und Regierungskriminalität herrscht, lebenswichtig werden könnten.
Abgesehen von nationalen Stimmungslagen: Warum wird hinter einem Geheimnis sofort etwas Dunkles vermutet?
Horn: Das ist ein alter Reflex. Aber nicht immer ist alles, was geheimgehalten wird, gleich ein Verbrechen. Wenn ein Staat mit einem anderen verhandelt, ist es doch logisch, dass nicht jeder Zwischenstand öffentlich gemacht wird. Das ist der Raum der Diplomatie, der nun von diesen Depeschen beschädigt wurde. Aber da wurden keine Verbrechen begangen. Carl Schmitt hat mal vom politischen Betriebsgeheimnis gesprochen. Viele Geheimnisse sind nicht mehr und nicht weniger als das.
Das klingt jetzt sehr harmlos.
Horn: Vieles ist ja auch harmlos, aber trotzdem eine wichtige Schutzzone. Das ist eine Lehre der alten Arcana Imperii: Wenn man etwas plant, dann sollte man nicht lange vorher breit darüber reden, weil es dann vereitelt wird. Deswegen ist es erstens naiv und zweitens dysfunktional zu sagen, wo immer ein Geheimnis ist, steckt etwas Bösartiges dahinter. Ein Kriterium, ob etwas harmlos ist oder nicht, wäre die Frage, ob man es wenigstens im Nachhinein oder vor einem demokratisch legitimierten Gremium offenlegen und rechtfertigen könnte. Für so etwas haben wir parlamentarische Kontrollausschüsse.
Braucht ein Verrat Spielregeln?
Horn: Nein, Verrat ist immer ein Bruch des Vertrauens, der Loyalität, der Diskretion. Ein Bloßstellen der eigenen Leute, selbst zu einem guten Zweck. Für den Verräter hat der Verrat immer etwas Tragisches. Nicht Assange ist hier ein persönliches Risiko eingegangen, sondern Bradley Manning. Er trägt die ganze Tragödie des Verräters auf seinen Schultern. Das Traurige an der Geschichte ist ja nicht zuletzt, dass er nur aufgeflogen ist, weil er sich in der Hacker-Community jemandem anvertraut hat. Dieser ganze Hacker-Heroismus, diese ganze pompöse Rechtfertigung des Leakings als Dienst an der Öffentlichkeit steht damit doch sehr schlecht da.
David Hugendick arbeitet für Zeit Online, wo dieses Interview auch publiziert wurde