

Den Søren wern de Möhren ned stören
Klaus Nüchtern in FALTER 22/2016 vom 03.06.2016 (S. 33)
Mit „Verbannt!“ hat Ann Cotten ein Versepos geschrieben, in dem’s irgendwie um alles geht
Sich nix zu scheißen ist eine gute Voraussetzung für die Produktion von Literatur. Jedenfalls dann, wenn Unverfrorenheit und Wagemut ihrerseits durch Formbewusstsein und Selbstreflexion gezügelt werden. Wolf Haas ist jemand, der das hinkriegt und sogar richtig hohe Auflagen damit erzielt. An die reichen die Bücher von Ann Cotten nicht ganz heran, aber „die klügste und schwierigste Dichterin in deutscher Sprache“, als welche sie unlängst von der NZZ apostrophiert wurde, ist derzeit wohl des Feuilletons liebste Repräsentantin avancierter Scheiß-mir-nix-Literatur.
1982 in Iowa geboren, wuchs Cotten in Wien auf und hat dort mit einer Arbeit über die Listen der konkreten Poesie auch ihr Germanistikstudium abgeschlossen. Sie ist mit allen Wässerchen experimenteller Poesie und poststrukturalistischer Theoriebildung gewaschen, aber auch mit dem Wienerischen vertraut. Alle ihre Erzählungen, so verriet sie der NZZ im Interview, seien auf gewisse Weise politisch, aber „auf eine sehr bochene Weise“.
Bochen, normdeutsch: „gebacken“, bedeutet, dass der Koketterie und der Halbseidenheit zumindest ein Seitentürl geöffnet wird, und das kriegt man auch in Cottens jüngstem Opus „Verbannt!“ recht schnell mit. Die Idee, ein Versepos zu verfassen, ist ja an sich schon einmal einigermaßen bochen. Es gliedert sich laut Klappentext in 403 (nicht nachgezählte) Strophen, die sich an der auf den englischen Dichter Edmund Spenser (ca. 1552–1599) zurückgehenden „Spenser-Stanze“, die streng genommen aus neun Zeilen im Reimschema ababbcbcc besteht, wobei die letzte streng genommen nicht fünf, sondern …
Aber lassen wir das. Streng nimmt Ann Cotten nämlich gar nix, bereits die zweite Strophe weist elf Zeilen auf, und gereimt wird weniger nach Schema Spenser als auf Teufel komm raus, was natürlich ein rechter Spaß ist.
Endreim, Binnenreim, identischer, reicher und bochener Reim – alles ist der Dichterin recht: „(…) Schluss mit Scheinen, jetzt ist nur mehr Sturm. / Statt Languste und Dumpfbacke stehn jetzt die Ursprung Buam, // und wie drei Muezzine mit Akkordeonen / erinnern sie mich dran, zu beschwören, / mich doch mit weiteren Werbeeinlagen zu verschonen. / Wahrheit als Subjektivität, wie Søren / Kierkegaard meint (ich sag: Boden mit Möhren), / ist gut, doch durch den jüngeren technischen Fortschritt / kommen wir nicht mehr mit den Möhren mit / an Größe, an globalorangener Omnipräsenz.“ Usw., usf., auf Letzteres folgt selbstverständlich – oh Ann, won’t you rhyme me a …? – Mercedes-Benz.
Ein Epos braucht natürlich auch Action, und so hat sich Cotten, obwohl alles andere als eine Plot-orientierte Autorin, für die gute alte Robinsonade entschieden. Das epische/lyrische Ich ist eine TV-Tante, die mit der minderjährigen Tochter einer Freundin herumgemacht hat und ergo – „Natürlich muss ich als Moderatorin / die Leute immer vor sich selbst bewahren / und umso mehr die Tochter der Kollegin (…)“ – durch einen „Schiedsgerichtsprozess“ auf eine Insel verbannt wird, auf der sie indes nicht sehr lange einsam bleibt.
Drei Dinge darf sie dorthin mitnehmen, und dass sie sich für Messer, Schleifstein und die 22-bändige Ausgabe von Meyers Konversations-Lexikon (Leipzig 2010) entscheidet, mag man dahingehend deuten, dass das Vertrauen in die allerjüngsten Tools begrenzt ist.
Die Skepsis, die da mitschwingt, ist aber keineswegs konservativ-romantisch, sondern gilt jenem hegemonialen Begriff von Fortschritt light, von dem lediglich die „Optimierung bestehender Windungen (…) als Verbesserung erkannt“ wird. Wen wundert’s da, dass auf besagter Insel ein religiöser Schraubenkult herrscht: „Es ist der Weg der Schraube, den wir brauchen, / und nicht der Weg der Meditation.“
Was das alles bedeuten soll? Zwei ehrliche Antworten: a) allerhand und b) keine Ahnung. Cottens Versepos ist anti-kontemplativ und post-post-utopisch. Die Identitäten, allen voran der, die, das Gender, sind fluid – die TV-Tante mutiert zu einem Wesen namens Hermes Wolpertinger mit begehbarem Riesenpenis –, der Stand und die Zukunft der Zivilisation ungewiss. Erlösung gibt es keine, der Fortschritt ist fraglich, aber man kann auf jeden Fall schon einmal beherzt an den kleinen Schrauben und großen Rädern drehen: „Wir werden euer Internet ausmisten / und besser als ihr zu verwenden wissen.“
Na, dann auf zur fröhlichen Bastelstunde!