

Ein Schlachtruf gegen Multikulti und Integration
Isolde Charim in FALTER 18/2010 vom 07.05.2010 (S. 13)
Im Umgang mit Einwanderern sind neue Modelle gefragt. Für den Migrationsforscher Mark Terkessidis heißt das Zauberwort Interkultur
"Interkultur" ist nicht nur ein guter Titel für ein Buch, es ist auch eine gute Parole. Ein Schlachtruf gewissermaßen in einer Auseinandersetzung, die nun schon 40 Jahre andauert. Seit Beginn der Arbeitsmigration in den 70er-Jahren stellt sich die Frage nach dem Umgang mit jenen, die da gekommen sind. Interkultur ist eine neue Antwort auf diese Frage. Man könnte aber auch sagen: Mit dem Konzept der Interkultur wird eine andere Frage gestellt.
Zunächst muss man festhalten, dass es sich dabei um ein durchwegs polemisches Konzept handelt. So ist auch Mark Terkessidis' neues Buch ein engagiertes Manifest, das keine Auseinandersetzung scheut. Das entspricht durchaus der öffentlichen Figur dieses Psychologen und Migrationsforschers, der durch seine vehemente Teilnahme am öffentlichen Diskurs bekannt geworden ist. Mit "Interkultur" eröffnet er nun eine Mehrfrontenkonfrontation.
Da geht es zum einen gegen den Multikulturalismus, der gerade in der Linken lange Zeit als die Lösung für die Probleme der Einwanderungsgesellschaft gehandelt wurde. "Die stelle man sich vor wie ein Stadtteilfest mit Würstchen, Falafel und Cevapcici – als unverbindlich-tolerantes Nebeneinander."
Zum anderen richtet sich Terkessidis' Konzept gegen die ebenso alte Politik der Integration. Und er zeigt, wie die beiden unterschiedlichen Zugänge Multikulturalismus und Integration von derselben Voraussetzung ausgehen: von der Vorstellung nämlich, hier würden homogene Gruppen – die sogenannten Migranten und die sogenannten Einheimischen – aufeinandertreffen. Terkessidis folgt nun den Erkenntnissen der Cultural Studies und deren Ideen von Hybridität, von kultureller Vermischung, um diese beiden Ansätze zurückzuweisen und eine neue Frage zu stellen: Wie geht eine sich verändernde Gesellschaft mit sich selber um?
Die neue Realität der Gesellschaft, in der wir längst leben, bestimmt sich durch Vielfalt. Eine unhintergehbare Vielfalt. Die Rede von "Integration" hänge noch der irrigen Vorstellung an, es gäbe ein Zurück hinter diese Vielfalt, die Wiederherstellung einer alten Einheit. Der Ruf nach Integration gehe, so Terkessidis, von dem imaginären Konzept eines "Deutschseins" (wahlweise auch des "Österreichseins") aus, demgegenüber der Migrant nur als Störung, als Defizit vorkomme.
Um diese Störung, dieses Defizit zu beheben, bedürfe es einer Anpassungsleistung des Migranten, der sich in dieses als Norm vorgegebene "Deutschsein" integrieren soll. Nun ist das allerdings eine etwas verengte Darstellung von dem, was Integration bedeuten kann. Denn solch eine ethnisch-kulturelle Anpassung ist doch wohl nur deren konservativ verzerrte Variante. Integration kann ja durchaus auch Heranführung an einen allen gemeinsamen Bereich von Öffentlichkeit und Neutralität heißen, und die "Einheit", um die es dabei geht, kann man sehr wohl anders als ethnisch-deutsch definieren. Aber angesichts einer Debatte, in der ein Vorstand der deutschen Bundesbank wie Thilo Sarrazin behaupten kann, Araber und Türken hätten keine produktive Funktion außer für den Obst- und Gemüsehandel, kann man Terkessidis mit seinen eigenen Worten verteidigen: "Sicher ist das (sein Buch, Anm.) eine polemische Zuspitzung, aber für solch eine Polemik gibt es durchaus Anlass."
Darüber hinaus zeigt der Interkultur-Ansatz eines ganz deutlich: Wir haben es mit einer Veränderung der gesamten Gesellschaft zu tun. Es gibt kein fixes "Wir", an das der Migrant angepasst werden könnte. Worin soll sich dieser denn integrieren, wenn sich die Gesellschaft in einem grundlegenden Wandel befindet?
Gerade die Migration hat – neben einigen anderen Momenten – die Gesellschaft der sogenannten "Aufnahmeländer" in einer Weise verändert, dass man nicht mehr von einer Aufnahme in ein bestehendes Ganzes reden kann, sondern vielmehr von einem Prozess, der beide Seiten massiv umgestaltet. An diesem Punkt geht Terkessidis etwas zu schnell über die realen Probleme hinweg, die die Migration mit sich bringt. "Migration ist eine "Verlusterfahrung für beide Seiten", wie der Soziologe Paul Scheffer meinte. Allerdings ist dieser Verlust nicht symmetrisch: Was die autochthone Bevölkerung als Verlust hinnehmen muss, ist nicht vergleichbar mit dem, was Migranten erleben.
Das erklärt die polemische Haltung des Buches, das nicht verbergen will, dass es Partei ergreift. Gleichzeitig versucht Terkessidis aber auch, mit der Idee der "Interkultur" eine andere Idee der Bevölkerung zu entwickeln. Eine Idee, die sich der Realität anpasst: dem Wandel in der Zusammensetzung des Volkes, der "Vielheit auf der Straße". Damit ist keine fragwürdige Vermittlung zwischen den Kulturen gemeint, sondern die Entwicklung einer neuen "Kultur-im-Zwischen", in der die Deutschen beziehungsweise die Österreicher nur mehr eine Gruppe unter vielen sind.
Terkessidis' stärkster Punkt ist es, nicht einen Wandel der Mentalitäten zu fordern, sondern einen "Umbau" der Institutionen. Schulen, Bibliotheken, Unternehmen, Polizei – Terkessidis macht sehr konkrete Vorschläge dazu, wie man sie in Hinblick auf die Diversität der Bevölkerung umstrukturieren kann. Das bedeutet nicht, Migrantennischen aufzumachen, sondern einen grundlegenden Wandel von Institutionen, die nur dann der realen Vielfalt gerecht werden, wenn sie "barrierefrei" sind. Wenn sie also Chancengleichheit für alle, Empowerment und Eigenverantwortung wirklich realisieren.
Und es ist eine durchaus bewusste Ironie, wenn Mark Terkessidis dafür das neoliberale Vokabular in Anschlag bringt und ihm einen "positiven Inhalt" zu geben versucht.