Strukturierte Verantwortungslosigkeit

Berichte aus der Bankenwelt
399 Seiten, Taschenbuch
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Reihe edition suhrkamp
ISBN 9783518126073
Erscheinungsdatum 24.05.2010
Genre Soziologie
Verlag Suhrkamp
Beiträge von Elfriede Jelinek
Herausgegeben von Claudia Honegger, Sighard Neckel, Chantal Magnin
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Suhrkamp Verlag AG
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
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Kurzbeschreibung des Verlags

In der verschwiegenen Welt der Banken hat sich eine Art »Finanzaristokratie« herausgebildet, der die neuerdings sogenannte »Realwirtschaft« völlig egal zu sein scheint. Claudia Honegger, Sighard Neckel und Chantal Magnin sind mit ihren Forschungsteams in diese Welt eingedrungen und haben mit deutschen, österreichischen und schweizerischen »Finanzsoldaten« gesprochen. Die dabei entstandenen soziologischen Porträts bilden den Kern dieses Buchs. Sie beantworten Fragen wie: Wie deuten Banker und Bankerinnen die Krise auf den Finanzmärkten? Wie ist es dazu gekommen? Wer trägt die Verantwortung? Zu den Porträts kommen Analysen, Feldbeschreibungen, Essays und ein Glossar. Im Fokus steht dabei die Entstehung von »Söldnerheeren«, die gegeneinander kämpften, zugleich aber einen Feldzug führten gegen die Bankkunden, die börsennotierten Unternehmen, gegen ganze Volkswirtschaften und letztlich gegen die reale Welt.

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ISBN 9783518126073
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FALTER-Rezension

Die Großzügigkeit der Kontrollore

Erich Eder in FALTER 33/2012 vom 17.08.2012 (S. 9)

Seit der Finanzkrise ringt die Politik weltweit um eine Bankenaufsicht mit Biss. Der Libor-Zinsskandal steht für ihr Scheitern.

"Absolutely not", bestritt Paul Tucker wieder und wieder die vorgetragenen Anschuldigungen vor dem Finanzausschuss des britischen Unterhauses. Anstiftung zum Betrug lautet der Vorwurf gegen den stellvertretenden Gouverneur der Bank of England, den der mittlerweile Ex-Chef der britischen Großbank Barclays gegen ihn erhoben hatte.
Zwischen 2005 und 2009 sollen über ein Dutzend der weltweit größten Geldhäuser den Libor – einen Basiszins, zu dem sie einander Geld leihen – zu ihrem Vorteil manipuliert haben. Dieser Zinssatz beeinflusst Finanzgeschäfte weit über 500 Billionen Dollar, der britische Bankiersverband nennt ihn gar die "wichtigste Zahl der Welt".
Die Liste derjenigen, die in die Libor-Affäre verwickelt sind, ist ebenso lang wie prominent: die Deutsche Bank, die Schweizer UBS, die japanische Norinchukin Bank oder das US-Investmentinstitut JPMorgan – honorige Banken aus aller Welt.
Bei Barclays betrieb man die Zinsmanipulation derart eklatant, dass der Fall nun publik wurde und der Banker Bob Diamond seinen Chefsessel räumen musste. Dabei geriet der zweithöchste britische Zentralbanker Paul Tucker unter Druck: Aus dem Jahr 2008 sind Telefongespräche zwischen ihm und Ex-Barclays-Boss Diamond dokumentiert, in denen er die hohen Libor-Sätze des britischen Geldinstituts moniert haben soll. Laut Diamonds Anschuldigungen habe Tucker gar die Zahlung gefälschter, niedrigere Interbanken-Zinsen gefordert, weshalb sich der vermeintliche Aufseher nun selbst auf der Anklagebank befindet.
Die Posse rund um die Libor-Zinsfälschung ist ein weiterer Akt im Ringen rund um eine funktionierende Bankenaufsicht mit Biss – in Europa ebenso wie weltweit. Seit Ausbruch der Finanzkrise, ausgelöst durch die Pleite der US-amerikanischen Bank Lehman Brothers im Jahr 2008, traten kaum strengere Regeln für Banken und die Finanzmärkte in Kraft. Bereits 2010 richteten EU-Parlamentarier, die an neuen, schärferen Gesetzen für die Branche arbeiteten, ein SOS an die Öffentlichkeit.
22 Brüsseler Abgeordnete aller Fraktionen, von Grünen über Sozialdemokraten bis hin zu Liberalen und Konservativen, appellierten mit einer Initiative für mehr Unabhängigkeit der Politiker vor dem Druck der Banken- und Finanzlobby. Ansonsten sei eine umfassende Reform der Branche und der Aufsicht nicht möglich.

Der Hilferuf der EU-Parlamentarier verhallte nicht nur, vielmehr wurde das Gegenteil in die Tat umgesetzt. So protestierten Finanzlobby und nationale Aufseher in einer bedenklichen Interessengemeinschaft so vehement, dass neue Regulierungen wie das Basel-III-Paket schrittweise abgeschwächt und verwässert wurden.
Just wenige Tage bevor die Libor-Affäre an die Öffentlichkeit gelangte, wurde am EU-Gipfel beschlossen, eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den Weg zu bringen. Dabei hatte man erst 2011 die European Banking Authority (EBA) zu eben jenem Zweck ins Leben gerufen. Doch die Behörde hatte nicht zuletzt mit ihren "Stresstests" für Banken jegliche Glaubwürdigkeit verspielt, weil sie bereits damals als de facto insolvent bekannte Institute für tauglich befand. Zu sehr sorgten sich Aufseher um die Interessen der angeschlagenen Bankbranche und zu gering waren ihre Befugnisse.
Die künftige Zuständigkeit der EBA bei der Bankenaufsicht mit der EZB wird nun zur Verhandlungssache. Zwar hat die Europäische Zentralbank im Gegensatz zur EBA stärkere Druckmittel gegenüber den Privatbanken in der Hand, erhält sie doch mit ihren massiven Liquiditätsspritzen zahlreiche marode Institute wirtschaftlichen am Leben. Höchst fraglich bleibt, ob sich mit ihr als Höchstinstanz die Aufsichtskultur ändern und mehr Distanz zu den Beaufsichtigten einkehren wird.

Problematisch erscheint die hohe personelle Fluktuation, die zwischen Aufsehern und Beaufsichtigten herrscht. Bestes Beispiel ist der Chef: Mario Draghi, Präsident der EZB, arbeitete noch vor sieben Jahren als Vizepräsident des Londoner Büros von Goldman Sachs. Und eben jenes Büro der US-Investmentbank spielte beispielsweise eine gewichtige Rolle rund um die Bilanzfälschungen Griechenlands: So entsandte Goldman Sachs London 2001 seine "Spezialistin" Antigone Loudiadis nach Athen, um im griechischen Budget 2,8 Milliarden Euro an Schulden zu vertuschen und das Land dadurch als fit für die Maastricht-Kriterien erscheinen zu lassen.
Auch Petros Christodoulou, zuvor Mitarbeiter bei Goldman und dann bei der griechischen Zentralbank Chef der Schuldenverwaltung, nutzte die Tricks der Goldmänner. In Kooperation mit der Investmentbank ließ er die Londoner Zweckgesellschaft "Titlos Plc" gründen, um griechische Kredite auf die Zentralbank des Landes zu übertragen. Viel lieber als über seinen früheren Job bei Goldman Sachs spricht EZB-Präsident Draghi aber ohnehin über Themen wie Europas Sozialstaat, den er kurz nach seinem Amtsantritt "ein Auslaufmodell" nannte.

Eine seine ersten Taten als oberster Zentralbanker der Eurozone waren zwei Geldspritzen von insgesamt über 1000 Milliarden Euro zu einem Zinssatz von einem Prozent, die die EZB in die Privatbanken butterte. Laut dem Chef der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, "sehr generös" und nur eine von zahlreichen Hilfsmaßnahmen der EZB für angeschlagene Privatbanken. Dennoch stehen nun zahlreiche von ihnen vor dem Bankrott und schon bald soll die von Draghi geführte EZB Geldhäuser ähnlich seinem ehemaligen Arbeitgeber beaufsichtigen.
Dass gerade dieses in nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten vorhandene Kontrollmodell – Zentralbanken als Aufsichtsorgane – die katastrophale aktuelle Situation nicht verhindert, sondern vielmehr mitverursacht hat, kam in der öffentlichen Krisendebatte bisher ebenso zu kurz wie die Verwobenheit der Aufseher mit der Branche.
Diese Verflechtung hat zweifelsohne Tradition, denke man nur an Joseph P. Kennedy, Vater des legendären US-Präsidenten. Ihn erkor Franklin D. Roosevelt 1934 zum Leiter der US-Finanzmarktaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC), für Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman war Kennedy Senior aber ein "großen Gauner" – er kenne nun einmal die Tricks der Branche, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Damals wie heute werden in den USA gerne Aufseher aus den Reihen der Investmentbanken rekrutiert – so war Hank Paulson, US-Finanzminister zur Zeit der Lehman-Pleite 2008, zuvor Chef von, richtig, Goldman Sachs.
Die Kenntnis der "Tricks" der Branche scheint also nicht unbedingt zum Unterbinden verwerflicher Geschäftspraxis zu führen. Eher dürfte sie allem Anschein nach ein teures Übermaß an Verständnis nach sich ziehen.

Der Blick in die USA lässt ohnehin kaum Inspiration für eine funktionierende, unabhängige Bankenaufsicht erlangen. Wenige Wochen vor der Libor-Affäre musste sich Jamie Dimon, Geschäftsführer der US-Investmentbank JPMorgan, vor dem Bankenausschuss des US-Senats einen Spekulationsverlust von rund 5,8 Milliarden Dollar verantworten, die seine Bank wegen spekulativer Geschäfte verzockt hatte.
Die Befragung vor dem Ausschuss verkam zu einer derartigen Farce, dass sie dem US-Fernsehkomiker Jon Stewart einen Beitrag wert war. Die Aufseher schmeichelten Dimon nicht nur in einem Maß, dass dieser fast selbst schon peinlich berührt wirkte. Trotz Millardenverlust stellten sie ihm Fragen wie "What should the function of the regulators be?" – also, welche Funktion sie selbst haben sollten. Diese bizarre Art der Ausschussführung liegt wohl auch daran, dass JPMorgan Hauptfinancier der Wahlkämpfe der meisten Senatoren, die die Fragen stellten, ist.
Freilich ist die Problematik nicht auf die Finanz- und Bankbranche beschränkt. In den Nachwehen des Super-GAUs in Fukushima traten beispielsweise zahlreiche Versagen der Atomaufsichtsbehörden in Japan zutage, auch die enge Verknüpfung mit der japanischen Spitzenpolitik stand in der Kritik. Ebenso wie aus den Konsequenzen des GAUs für die Umwelt sollte man auch aus den Folgen der Lehman-Pleite für die Weltwirtschaft nicht nur politische Worthülsen, sondern auch rechtliche Konsequenzen ziehen. Unbefangenes Aufsichtspersonal, das über genügend Expertise und Befugnisse verfügt, wird nun zwar wieder debattiert, jedoch erscheinen die vorgeschlagenen Maßnahmen alles andere als neu.

Gleichzeitig hat auch die politische Besetzung von Aufsichtsposten wenig Abhilfe geschafft, denn Personen ohne Interessenkonflikte, vielleicht gar in Form akademischer Experten, existieren eher in Theoriebüchern als im normalen Berufsleben. Vielleicht wäre es doch zuerst angebracht, sich um die Beschaffenheit des Bank- und Investmentgeschäfts zu kümmern, wenn man dort schon die künftigen Aufseher ausgebildet wissen will.
Nur eine Woche nach der Libor-Affäre, die in Großbritannien noch immer hohe Wellen schlägt, kam es zum nächsten Skandal in der Bankbranche: Die britische Bank HSBC soll laut dem US-Senat über Jahre Geldwäsche im großen Stil, unter anderem für Drogenkartelle aus Mexiko und terroristische Organisationen aus dem Iran und Saudi-Arabien, betrieben haben. Es kam bereits zu ersten Rücktritten.
Die zukünftige europäische Aufsichtsinstanz hätte hierbei aber nichts zu melden: Auf Insistieren der Briten wird die EZB lediglich Großbanken der Eurozone beaufsichtigen. Ob des mächtigen Finanzplatzes London ist aber knapp die Hälfte der größten Banken in der EU in Großbritannien beheimatet – für sie wird die EZB nicht zuständig sein. Selbiges gilt für Tochterfilialen europäischer Geldhäuser, etwa in Offshore-Steueroasen außerhalb ihres Aufsichtsbereiches.

Ob man in Europa ebenso wie im Rest der Welt mit solchen Konsequenzen die in Sachen Geschäftsmodell und Moral an einem Tiefpunkt angelangte Finanzbranche besser unter Kontrolle bekommt? Zweifel scheinen angebracht, neue Ideen oder Verhandlungsansätze sind jedoch bitter notwendig. Denn im Schatten schwächelnder Industrienationen rund um den Globus wird eine sinnvolle und funktionierende Finanzwirtschaft unverzichtbar sein.

In dieser Rezension ebenfalls besprochen:

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Wie die globalen Banker ticken und die Krise sehen

Robert Misik in FALTER 27/2010 vom 09.07.2010 (S. 16)

Da sieht man wieder einmal, wozu Soziologie nützlich sein kann: Ein Forscherteam fragte Banker über die Finanzkrise aus.

Ein in der globalen Oberklasse beliebtes Sprichwort lautet: "If you pay peanuts you get monkeys." Wenn du niedrige Gehälter zahlst, kriegst du nur Idioten. Seit Bankenkrise und Boniskandalen wissen wir freilich: Wenn man sehr viel bezahlt, kriegt man teure Idioten. Unverantwortliche Großverdiener, die dem kurzfristigsten ökonomischen Erfolg nachjagten, haben das Weltfinanzsystem praktisch in den Absturz getrieben, indem sie immense Risiken, Schulden und faule Wertpapiere über die ganze Welt verteilten.
Aber wer sind "die"? Was denken sie, wie ticken sie? Ein deutsch-österreichisch-schweizerisches Soziologenkonsortium um die Berner Professorin Claudia Honegger, den in Wien unterrichtenden Professor Sighard Neckel und die Frankfurter Forscherin Chantal Magnin hat mit dutzenden Bankern ausführliche Gespräche geführt. Methodisch wählten sie das Instrument des "narrativen Interviews", das Pierre Bourdieu entwickelt hat und dessen Zweck es ist, Menschen, die sonst nicht öffentlich zu Wort kommen, sprechen zu lassen, ihre Worte aber in den Rahmen reportierender Interpretation zu stellen. In "Das Elend der Welt" hatte Bourdieu Zeitarbeitern, Deklassierten, Sozialhilfeempfängern das Wort erteilt. Insofern ist es nicht unparadox, dass Neckel, Honegger und Co jetzt Boni-Empfängern das Wort geben. Die Banker sprechen anonym, ihre Arbeitgeber sind verfremdet, was freies Reden begünstigt.

Wobei "Banker" natürlich ein Hilfsausdruck ist: Da gibt es die normalen Kundenbetreuer der Geschäftsbanken, die Hochleistungsmathematiker, die Wertpapiere strukturieren oder Risikomodelle durchrechnen, die Investmentbanker oder die Direktoren regionaler Sparkassen. Alle haben sie ihren eigenen Blick auf die Krise. Dass ihre Modellrechnungen so fatal versagten, kommentiert ein Risk-Manager etwa mit den Worten: "Auf ein Modell 100 Prozent vertrauen? Na, dann wär's kein Modell, dann wär's ja die Wirklichkeit." Ein Bankengeschäftsführer stößt ins gleiche Horn: "Da ist eine gigantische Zahlengläubigkeit, eine gigantische Formelgläubigkeit, eine gigantische Modellgläubigkeit. Ich hab manchmal den Eindruck, wir haben da so eine Art von Kirche, so eine Art Finanzreligion erfunden, in der alle gläubig sind und keiner mehr was weiß." Die Modellrechner im Hintergrund beteuern, nur ihre Arbeit gemacht zu haben – die falschen Schlussfolgerungen haben andere gezogen. Die Bankmanager verweisen auf ihr eher konservatives Geschäftsmodell, das aber in den vergangenen Jahren sehr aus der Mode gekommen war, weil die Investmentbanker als Geldalchimisten, die aus Mist Gold und aus Gold mehr Gold machen konnten, die großen Heroen der Branche waren – in der Mehrheit testosteronvergiftete, konkurrenzlerische Männer, die auf alle anderen herabgeblickt haben. Eine Exkulpationsstrategie, die den Investmentbankern naturgemäß nicht offensteht. Die sagen dafür: Die Boni hätten "die Anreize falsch gesetzt".
Es mag überraschen, aber die meisten Banker denken und sprechen wie "normale" Menschen auch: dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, dass die Gier alles angerichtet habe, dass mächtige Finanzkonglomerate tun konnten, was sie wollten etc. So formuliert eine Schweizer Investmentbankerin: "Viele sagen, es ist eine freie Marktwirtschaft, es soll von sich aus funktionieren. Aber es funktioniert einfach nicht. Sobald etwas zu groß wird, muss man jemanden haben, der ein bisschen schaut, nicht zu fest, der aber weiß, was läuft." Die Dinge entwickelten sich so, man kann sie erklären, aber es gibt nicht den einen Punkt, an dem irgendjemand "schuld" gewesen ist, dass es so kam. Wie in einer griechischen Tragödie habe sich das alles entwickelt, meint ein Wiener Private Banker: "Am Anfang ist niemand schuld und am Ende sind alle tot."

Die ausführlichen Interviews zeigen, wie sehr das Selbstbild der Banker in den vergangenen Jahren Risse bekommen hat. Nicht nur für einen der Befragten wurde "die Finanzkrise zur Krise seiner Bank und schließlich zu einer ‚halben Midlife-Crisis im Kopf'".
Die Banker wissen so wenig und sind so wenig Herr über ihre Tätigkeit wie alle anderen Leute auch. So wie Finanzprodukte "strukturiert", also zerteilt, neu zusammengesetzt, aufgespalten und in kleinen Bündeln über die Welt verteilt wurden, so ist auch das Bankwesen "strukturiert", sodass niemand den Gesamtüberblick hat oder sich gar verantwortlich fühlen kann.
Nur deshalb können für die einen die Investmentbanker, für die anderen die Gier, für die Dritten wiederum die Finanzdienstleister, die Ratingagenturen, die Kunden, die amerikanische Geschäftskultur oder einfach "der Markt" verantwortlich sein – Letzterer eine Art von Naturgewalt, die Verheerungen anrichtet, ohne dass jemand etwas dafür kann. Im Bankermilieu habe sich, schreiben die Autoren, eine Art "Verschiebebahnhof der Verantwortung" etabliert – ein Sachverhalt, der ihrer Studie den schönen Titel gab: "Strukturierte Verantwortungslosigkeit".
Es kommt nüchtern und still daher und ist doch ein spektakuläres Buch. Es zeigt die brüchigen Glaubenssysteme einer Branche, zeichnet Porträts von Menschen, die als Rädchen einer Maschinerie funktionieren, wie die Maschine es von ihnen erwartet, die aber auch moralische Vorstellungen haben, die sie mit ihrer beruflichen Tätigkeit nicht immer leicht in Einklang bringen können; Menschen, die an sich zweifeln. Normale Leute eben, die mehr sind als die Karikatur des "Gier-Bankers". Wissenschaft at its best, weil sie hart an der Aktualität ist und doch mehr leistet als der normale Essayismus oder Journalismus. Wenn man dieses Buch liest, weiß man wieder, wozu Soziologie nützlich sein kann.

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