Putin kaputt!?

Russlands neue Protestkultur
438 Seiten, Taschenbuch
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Reihe edition suhrkamp
ISBN 9783518126615
Erscheinungsdatum 20.05.2013
Genre Soziologie
Verlag Suhrkamp
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Suhrkamp Verlag AG
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
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Kurzbeschreibung des Verlags

Seit im Dezember 2011 in Moskau und Petersburg, aber auch anderswo zwischen Archangelsk und Wladiwostok Hunderttausende Bürger für faire Wahlen demonstrierten, ist Russland ein anderes Land geworden. Auch wenn die Proteste den erneuten Machtantritt Putins nicht verhindern konnten und der Staat seine Kritiker mit zum Teil drakonischen Strafen überzieht: die Zeichen stehen auf Sturm.
Gestützt auf umfangreiches Interviewmaterial, liefert Mischa Gabowitsch eine dichte Beschreibung der Verhältnisse im Umbruch. Er durchleuchtet die Protestbewegung aus verschiedenen Blickwinkeln durchleuchtet und porträtiert eine Gesellschaft, die dabei ist, sich selbst zu begreifen und über die eigene Zukunft zu bestimmen.

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ISBN 9783518126615
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FALTER-Rezension

Protest gegen Putin

Petra Sturm in FALTER 11/2022 vom 18.03.2022 (S. 26)

Der Winter 2011/12 brachte hunderttausende Menschen in Russland auf die Straßen, darunter viele Kunstschaffende und Wissenschaftler. Ihr gemeinsames Ziel: eine Wiederwahl Putins zu verhindern und die Hoffnung auf einen Systemwandel. Der russische, in Deutschland lehrende Soziologe Mischa Gabowitsch hat diese vielstimmige Protestkultur, die Beteiligten und deren Beweggründe damals genau dokumentiert und analysiert.

Auch heute wagen viele trotz harter Strafen wieder Protest, ein pauschaler Boykott oder Auftrittsverbote würde auch sie treffen.

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Protest gegen Putin oder Riot und Religion

Petra Sturm in FALTER 41/2013 vom 11.10.2013 (S. 35)

Russland: Zwei Bücher zeigen die Protestbewegung als Ausdruck des gesellschaftlichen Umbruchs

Zigtausende Male auf Youtube angeklickt: Eine schrille Performance im Altarraum der Christ-Erlöser-Kirche katapultiert Russland im Februar 2012, ein paar Wochen vor der Wiederwahl Putins, weltweit in die Schlagzeilen. Seit über einem Jahr sitzt die Punkband, die eigentlich keine ist, im Straflager, der größte Medienhype ist vorbei und Putin zwar angekratzt, aber nicht kaputt.
Mit "Putin kaputt!? Russlands neue Protestkultur" analysiert Mischa Gabowitsch den Protest, der im Winter 2011/2012 hunderttausende Russen auf die Straßen und in Bewegung brachte, weit über seine medienwirksamen Speerspitzen mit Popappeal hinaus, und füllt damit eine Lücke.

Eine Protestbewegung auf der Suche nach sich selbst: Politisch motivierte Aktionskünstler waren unter den Ersten, die protestierten. Künstler und Schriftsteller gaben dem Protest eine Sprache und ein Äußeres, darunter auch die Aktionskunst- und Politgruppe Pussy Riot. Selbst Demonstrant, macht der Soziologe und Zeithistoriker Gabowitsch die ebenso gewichtige Rolle der vielen aufmüpfigen Beobachter, Geistes- und Sozialwissenschaftler sichtbar, die nicht mehr von den offiziellen, gefälschten Zahlen abhängig sein wollen.
Sie zählen die Protestierenden, mischen sich mit Fragebögen unter sie, klären die Öffentlichkeit auf über die tatsächliche Identität und Beweggründe derer, die zornig, aber friedlich gegen das "System Putin" aufbegehren. Sie liefern Fakten fern von willkürlichen Begriffskonstruktionen wie "Mittelklasse", "kreative Klasse" "Hipster" oder facebookaffine "Internetmeerschweinchen", die zu Beginn der Protestwelle in russischen, aber auch ausländischen Medien kursierten.
Die russische Gesellschaft ist atomisiert, die Protestierenden einen weder gemeinsame Ideen noch Werte. Ihr negativer Konsens: für freie Wahlen, gegen das korrupte System. Aus der Teilnahme am Protest schöpfen sie ein neues Selbstverständnis. Wo vorher kein real existierendes Kollektiv oder Raum zum Austausch vorhanden war, entstehen Zusammenhalt und gemeinsame Stärke.
Gabowitsch geht es um die Vielstimmigkeit der neuen Protestkultur und Öffentlichkeit. Sein spannendes Kaleidoskop der Protestbewegung zeichnet ihr Wesen, die Struktur und den politischen Kontext umfassend und quer durch alle Bevölkerungsschichten nach. Es umfasst das politische Oppositionsmilieu, die zahlreichen Kunstaktionen genauso wie Formen dörflichen Protests, beschreibt die langsame Herausbildung gesellschaftlicher Selbstorganisationen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur weltweiten Occupy-Bewegung oder dem arabischen Frühling, dokumentiert die repressiven Reaktionen des staatlichen Gewaltapparats und Verletzungen gegen die Rechtsstaatlichkeit.

Die Studie, in der Joachim Willems das Phänomen untersucht, "Pussy Riots Punk-Gebet: Religion, Recht und Politik in Russland", ist trotz ihrer Ernsthaftigkeit und ihres Seminaristenstils erfrischend, weil sie unbekanntere Aspekte zeigt. Der Theologe und Pädagoge erzählt die Geschichte der "Band" inhaltlich, ihren "Skandal", erklärt, warum die kurze Performance für zwei der Mitglieder in einer unverhältnismäßig hohen, zweijährigen Haftstrafe wegen "Rowdytums aus religiös motiviertem Hass" endete.
Warum und wie beziehen Pussy Riot sich in ihren Performances und Liedern auf die Bibel und die russische Religionsphilosophie? Warum benutzen sie gerade Punk als Ausdrucksmittel? Und warum treffen sie mit ihrem "Aufreger" im Altarraum gleich Kirche und Staat im Innersten?
Willems bemüht sich als Theologe um ein differenziertes Bild der russisch-orthodoxen Kirche. Äußerungen von Patriach Kirill und Hardlinern über das "Vergehen" der Systemkritikerinnen stellt er jenen von aufgeklärteren, progressiveren Geistlichen gegenüber und erklärt das ambivalente und historisch gewachsene Abhängigkeitsverhältnis der Kirche vom Regime.
Den festgenommenen Frauen bekundet er offen seine Sympathie und versucht sie, ganz Pädagoge, mit biografischen Details und Interviewauszügen möglichst menschlich rüberzubringen. Ein Aha-Moment des Buches: Die Wertewelt der Aktivistinnen trägt zwar eindeutig neoanarchistische Züge, aber sie sind weder gottlose Punks noch religionsfeindliche Extremistinnen. Sie prangern lediglich die Institution Kirche an, die sich mit der Politik ins Bett legt und deren Vertreter ein Leben im Luxus führen, anstatt sich auf die Seite der Protestanten zu stellen.

Wer es gern wertfreier hat, ist im Verständnis von Pussy Riot mit Gabowisch oder der im Herbst 2012 im Nautilus Verlag erschienenen Flugschrift von Pussy Riot "Pussy Riot! Ein Punk-Gebet für Freiheit" besser bedient. Gefängnisbriefe und Interviews gewähren hier direkten Einblick in den philosophischen und theoretischen Überbau von Nadeschda Tolokonnikowa und ihren Mitstreiterinnen.
Die Verschränkung von Religion, Recht und Politik in Russland erklärt Willems nicht wirklich schlüssig, dafür ist die Forschungsschrift schlichtweg zu ­schmal. Sein Resümee verwundert nicht weiter: Die größten Mängel der russischen Gesellschaft liegen in der Missachtung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Beide Lektüren beweisen, wie facettenreich und ergiebig die Auseinandersetzung mit Russlands Gesellschaft im Aufbruch sein kann. Die unterschiedlichen Übersetzungsvarianten und -interpretationen des Punk-Gebets verdeutlichen einmal mehr, wie mehrdeutig und nuanciert der Einsatz von Sprache in den russischen Protestaktionen ist, reichen doch die Interpretationen von: "Abschaum, Abschaum, Abschaum Gottes" bis zu "Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin".

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