Die Schwerkraft der Verhältnisse

Roman
150 Seiten, Hardcover
€ 20.6
-
+
Lieferung in 2-5 Werktagen

Bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir legen Ihr Produkt in den Warenkorb.

Mehr Informationen
Reihe Bibliothek Suhrkamp
ISBN 9783518225370
Erscheinungsdatum 12.03.2023
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
Nachwort von Daniela Strigl
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
Kurzbeschreibung des Verlags

Es ist das Jahr 1945. Eine dumpfe schwere Dunstglocke liegt über der Stadt Donaublau, wo die schwangere Berta die Rückkehr ihres Verlobten von der Front erwartet. Doch statt Rudolf tritt sein Freund Wilhelm ins Zimmer und überbringt Berta die Nachricht von dessen Tod, die sie nur mit einem »So, so« quittiert. Sie heiratet stattdessen den Kriegsheimkehrer, einen »würdigen Repräsentanten seiner Nation«, Chauffeur und »Geh-her-da«, und bekommt mit ihm ein zweites Kind, eifersüchtig beäugt von ihrer Freundin Wilhelmine. Aber das Leben erscheint Berta zunehmend wie ein böser Traum, die Schwerkraft der Verhältnisse zwingt alle zu Boden, besonders die kleinen und ganz kleinen Leute, versehrt und wortarm, bis Berta keinen Ausweg mehr sieht und ihre Kinder im verzweifelten Versuch, sie dem Zugriff der Umwelt zu entziehen, im Schlaf erstickt. Erst in einer psychiatrischen Anstalt findet sie Schutz vor der »Wunde Leben«.

»Marianne Fritz war ein Genie«, schrieb Marlene Streeruwitz nach dem Tod der österreichischen Schriftstellerin. In ihrem preisgekrönten Debütroman von 1978 blickt sie voller Mitleid und Humor auf den stillen Lächler Wilhelm, die berechnende Wilhelmine – und auf Berta, eine kleinbürgerliche Medea, die mit leiser, zerstörerischer Kraft gegen die Enge und die zernichtende Gewalt der Nachkriegsordnung aufbegehrt. Ein waghalsiges, virtuoses, bestürzendes Buch.

Mehr Informationen
Reihe Bibliothek Suhrkamp
ISBN 9783518225370
Erscheinungsdatum 12.03.2023
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
Nachwort von Daniela Strigl
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
FALTER-Rezension

In der Irrenanstalt von Donaublau

Klaus Kastberger in FALTER 12/2023 vom 24.03.2023 (S. 14)

Später wird die österreichische Autorin Marianne Fritz (1948–2007) noch zehntausend Seiten schreiben; über mehrere Bücher hinweg bis hin zu dem Werkkomplex „Naturgemäß“, der nur noch als Faksimile gedruckt werden konnte, weil allein schon die Komplexität des Typoskripts – hergestellt in nächtelangen Ekstasen der Kugelkopfmaschine – die Normen des deutschsprachigen Literaturbetriebs sprengte.

In ihrem Erstling aus dem Jahr 1978 aber schaut das Werk von Marianne Fritz noch so aus, als würde es in eine Nussschale passen. Dieser kleine Happen, „Die Schwerkraft der Verhältnisse“, kaum mehr als 100 Druckseiten stark, erfährt im Augenblick ein Revival.

Am Akademietheater in Wien – Martin Kušej sei gedankt! – läuft seit Ende 2021 eine glanzvolle Dramatisierung. Die Bühne ist in ein Schwarzweiß aus Licht und Schatten getaucht, und die Figuren turnen in engen (auf einer Küchenkredenz) oder weiten Räumen (im Zimmer eines Irrenhauses) herum.

Schroffe Konturierung ist ein Charakteristikum ihres Schreibens. Marianne Fritz war eine Gnostikerin der Literatur. Gegensätze wurden ins äußerste Extrem getrieben, und Erkenntnisse ergaben sich vor dem Hintergrund von Daseinsschlachten, oft auch direkt im Krieg.

Nun erinnert sich auch der Suhrkamp-Verlag seiner Autorin. In einem 104-seitigen Brief, der keine Seite der Psyche Siegfried Unselds unbearbeitet ließ, hatte Marianne Fritz im Jahr 1993 dem damaligen Verlagschef klar gemacht, dass es für ihn einfach keine Option sei, ihr Werk fallenzulassen.

Nach Unselds Tod ist genau das geschehen. Man hielt Marianne Fritz fortan eher schlecht als recht im Programm, in Wien kümmerten sich währenddessen einige spezifisch interessierte Germanisten und ein Theaterkollektiv mit dem schönen Namen fritzpunkt um das Werk. Im Verlag selbst aber glaubte niemand mehr an die Bedeutung dieses literarischen Kontinents.

Das hat sich jetzt geändert. Im Nachwort zur Neuausgabe baut Daniela Strigl Barrieren ab und gibt dem bundesdeutschen Lesepublikum eine Warnung mit auf den Weg. Man dürfe die österreichische Walzerseligkeit, die in der „Schwerkraft der Verhältnisse“ auch zu finden sei, keinesfalls als Zeichen von Gemütlichkeit verstehen.

Genau so ist es: Das „Land des Chen und Lein“, als das die Autorin Österreich mit seinem Hang zu Diminutiven und doch langer und blutiger Geschichte später bezeichnet, erscheint schon im Erstling als ein einziges Schmerzgebiet. Nicht „Wahlverwandtschaften“ herrschen hier, sondern eine einzige Qualverwandtschaft.

Wie in Goethes Roman, in dem zwischen den vier Hauptfiguren Eduard, Charlotte, Ottilie und Otto chemische Anziehungs- und Abstoßungsreaktionen herrschen, zeigt sich auch in der „Schwerkraft der Verhältnisse“ ein Kleeblatt kreuzweiser Bindungen. Berta Faust (Goethe, schau oba!), die in den „Aquarellen-Walzer“ von Josef Strauss verliebt ist und von diesem ein trügerisches Glücksgefühl bezieht, wird von dem Musiklehrer Rudolf schwanger.

Statt diesem kommt jedoch dessen Freund Wilhelm Schrei aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Er hat versprochen, sich um Berta und das Kind zu kümmern. Wilhelms Freundin, Wilhelmine, geht leer aus. Sie wird zur großen Gegenspielerin der Protagonistin, die nach ihrer Verehelichung dann tatsächlich Berta Schrei heißt. Die Gewalt der sprechenden Namen aber setzt sich auch bei den Kindern des Ehepaars Schrei fort: Sie heißen Klein-Rudolf und Klein-Berta.

Marianne Fritz präsentiert diese Begebenheiten in kürzesten Kapiteln. Die einzelnen Textstücke wirken wie grelle Aufblenden und tragen apodiktische Titel, von „Papperlapapp! Krieg!“ über „Es trieb mich geradezu zu euch“ bis hin zu „Ein Mann, ein Wort, und du bist verloren“. Ort der Handlung ist Donaublau, ein Name, in dem gleichermaßen die Stadt Wien als auch der Walzer steckt.

Etwas sehr Schweres lastet auf den Verhältnissen. Fassbar ist es in einer überallhin wirkenden und fast schon naturgesetzlichen Kraft. Wilhelm und Wilhelmine erweisen sich als typische Exponenten der österreichischen Nachkriegsgesellschaft: Er ist Chauffeur, sie eine Putzfrau. Tempo und Sauberkeit, so könnte man die Paradigmen beschreiben, die in den ersten Jahrzehnten nach 1945 herrschten.

Berta Schrei wiederum ist auch eine Medea und tötet ihre eigenen Kinder. Auf die Frage nach dem Grund antwortet sie nicht viel mehr, als dass die beiden „misslungen“ wären – so wie die ganze Schöpfung. Fortan fristet Berta ihr Dasein im Zimmer Nummer 66 in der Irrenanstalt von Donaublau, die „Festung“ genannt wird. Dieser Name wird dem unvollendeten Romanzyklus der Autorin den Titel und ein ungemein kraftvolles metaphorisches Zentrum geben.

Das mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnete Debüt von Marianne Fritz „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ ist ein hervorragender Einstieg in ein zentrales Werk der österreichischen Nachkriegsliteratur. Nach dem Kindermord lässt Wilhelm sich von Berta scheiden, und Wilhelmine bekommt den Mann, der schon immer in ihrem Namen steckte.

Im Krankenzimmer gesellt sich der Berta Schrei eine mythische Figur zu, von der es in den späteren Festungsbauten von Marianne Fritz aberhunderte geben wird. Das „weise Mütterchen“ umschwirrt Berta Schrei und beginnt mit ihr einen Dialog jenseits der Räume und Zeiten, in denen hier noch die meisten Figuren stecken. Zentrales Thema ist die „Wunde Leben“. Zu dieser wird bei Marianne Fritz später noch sehr viel mehr zu lesen sein.

weiterlesen