

Wenn Souveränität nur noch auf dem Papier besteht
Robert Misik in FALTER 6/2025 vom 05.02.2025 (S. 15)
Der Populismus -heute vor allem dessen ultrarechte Ausformung -ist eine Gefahr, er zerstört die Demokratie von innen, zerreißt Gesellschaften und spült Figuren wie Donald Trump, Giorgia Meloni, Herbert Kickl und Viktor Orbán in Spitzenämter. Zudem vergiftet er ganze Nationen mit Bitterkeit und Ressentiment.
Kolja Möller möchte es aber bei der Verdammung des Populismus nicht belassen. Der Populismus ist auch ein "kleiner Volksaufstand", schreibt Möller, ein "Schmerzensschrei". Ganze Gesellschaftssysteme erleben einen "populistischen Moment", wenn die inneren Spannungen in der Demokratie zu groß werden, etwa, wenn sich viele Menschen nicht mehr repräsentiert fühlen und empfinden, dass die proklamierte "Volkssouveränität" nur mehr auf dem Papier besteht.
Gewalt vom Volke aus "Volk und Elite", hat der Forscher seine große Studie genannt, "eine Gesellschaftstheorie des Populismus". In der nüchternen Systematik des Politikwissenschaftlers analysiert Möller bestechend, dass der Populismus in demokratischen Gesellschaften immer angelegt ist und sich auf bald tausendjährige Gedankenreihen stützen kann. Man denke dabei etwa an die Definition des "Volkes", das in religiösen Schriften vom "Volke Israel" der Juden bis zum "Kirchenvolk" der Christen als Heer der einfachen Leute konstruiert wird, oder an die kniffligen Fragen der "Souveränität" im Staat ("souverän" ist, wer die Endentscheidung hat, mag das ein Kaiser sein oder das Volk, das bei Wahlen seine Entscheidung fällt). Im demokratischen Verfassungsstaat kreuzt sich das in der "Volkssouveränität", die aber immer spannungsvoll ist. Pathetisch wird proklamiert, "alle Gewalt geht vom Volke aus", aber am Ende wird diese Macht von Eliten ausgeübt, von Politikern etwa. Diese Gewalt ist gebunden, durch das Gesetz und von der Verfassung, die wiederum Freiheitsrechte des Einzelnen festschreibt, die durch das Mehrheitsprinzip nicht außer Kraft gesetzt werden können. Alle Gewalt geht vom Volke aus, wird aber durch Verfassungsrichter begrenzt, die ihrerseits Teil von Funktionseliten sind. Kurzum: Die Vorstellungen von Demokratie sind voller Paradoxien.
Volkswille ist Fata Morgana In der Demokratie schließlich gibt es Regierung und Opposition, und diese Opposition will die künftige Regierung stellen, weshalb sie stets trommeln wird, dass sich die Regierenden vom Volke entfernt haben und sie, die Opposition, die echte Repräsentanz des Volkes ist. Der Kniffligkeiten nicht genug, ist "das Volk" nur eine Fiktion, in der Wirklichkeit findet man nur eine Bevölkerung, die aus unzähligen unterschiedlichen Leuten besteht. Auch der "Volkswille" ist eine Fata Morgana, die man nie finden wird, mag man ihn noch so verbissen suchen. Der Populismus, so zitiert Möller den Philosophen Isaiah Berlin, entspringt "unzufriedenen Menschen, die das Gefühl haben, dass sie irgendwie die Mehrheit der Nation repräsentieren, die von der einen oder anderen Minderheit heruntergeputzt worden ist". Es ist auch ein Impuls des Populismus, bisher Nichtinkludierte in das politische System zu integrieren. Er hat damit einen demokratischen Stachel. Noch der autoritäre Populismus bewege sich, so Möller, in den meisten Fällen "innerhalb des demokratischen Paradoxes" und ist daher nur selten mit dem historischen Faschismus zu vergleichen, kann sich aber über identitäre Verhärtung und Radikalisierung in diese Richtung entwickeln.