Die ganze Zeit

Georg-Büchner-Preis 2024
741 Seiten, Hardcover
€ 49.4
-
+
Lieferung in 2-5 Werktagen

Bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir legen Ihr Produkt in den Warenkorb.

Mehr Informationen
ISBN 9783518421338
Erscheinungsdatum 24.05.2010
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
Kurzbeschreibung des Verlags


»Was tue ich eigentlich die ganze Zeit, während ich denke, daß ich spreche?« »Soll (will und kann) ich die Dinge mit den Augen derer sehen, die sie selber nicht mehr sehen oder noch nicht?« – Die elfunddreißig Ichs, welche in Oswald Eggers lyrischem Roman wie augenblicklich umgehende Schelmwesen toben, verflüchtigen sich in etwas, was – seit Augustinus – die ganze Zeit verheißt: Aufmerksamkeit, Erwartung und Erinnerung in einem. Die Jetzt-Sätze der Erzählung springen feixend ineinander: Gnome, Habergeißen und anderes Wolkengetier erringen fabelhaftes Eigenleben und hüpfen von der Maskenbühne tolldreist ins Parterre der Ungereimtheit. Sie führen dort ungeheure, verblichene, oft schroffe Szenerien einer bald abenteuerlichen, bald wilden Jagd nach Vergeblichem auf, wobei gilt: Zeit ist Welt.



Oswald Egger erbrachte in Diskrete Stetigkeit den »Nachweis, daß man über poetische Prinzipien und Muster verstörender, frischer, befreiter denken kann als so, daß es eben wieder zu den üblichen Gedichten führt« (Jörg Drews). Jetzt bringt Die ganze Zeit das Denken und die Genres in Bewegung: 800 wortdichte, einnehmende, mit sprachlichem Aplomb vom Autor typografisch gestaltete Seiten. Welche Welt!


Mehr Informationen
ISBN 9783518421338
Erscheinungsdatum 24.05.2010
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
FALTER-Rezension

"Ich weiß immer weniger, was ein Gedicht ist"

Erich Klein in FALTER 28/2010 vom 16.07.2010 (S. 26)

Der Südtiroler Oswald Egger hat ein dickes und nahezu unverständliches Buch geschrieben. Warum?

Wie macht ein Dichter auf sich aufmerksam? Oswald Egger nötigt seine Zuhörer: "Es ist wahr: Ich bin stark, ich habe Lunge und Arm, und ich atme." Die Rezitation aus seinem 740-seitigen Opus maximum "Die ganze Zeit" in der Alten Schmiede bleibt nur kurz so einfach. Dann schwirren Ausdrücke wie "Horn-Stumpen verschmitzt, die aneinander klamm'perten" oder "die gefitzten Glandern, die glanderten" durch die Gegend.
Egger schreibt, spricht und rezitiert in einer dem Deutschen verwandten Sprache, mit artifiziellen Dunkelheiten, fremdartigen Betonungen und unverhohlenem Witz. Am Ende heißt es: "Ich war früher / ein Hund, / und nun ist / kein Hund da." Autor und Lesung waren symbolisch genug gewählt, um nach 30-jährigem Bestehen und etlichen tausend Lesungen den legendären Parterresaal in der Schönlaterngasse zu schließen. Die Alte Schmiede gibt es aber auch weiterhin.

Falter: Was bringt einen Autor dazu, ein derart voluminöses Buch zu schreiben, das überdies aus drei verschiedenen Textsorten plus Zeichnungen besteht?
Oswald Egger: Weil mein Alltag ereignislos ist und ich keine Geschichte abzuhandeln habe, kam ich auf die Idee, ein Tagespensum zu erfüllen. Seit 2002 schreibe ich jeden Tag eine Seite – ich wollte mich auch einmal in der Niemandsbucht aufhalten. Ob die dabei entstandenen Vierzeiler gut sind, ist unwichtig – mich interessierte vielmehr, in welcher Frequenz bestimmte Themen auftauchen.
"Die ganze Zeit" ist eine Art Haupttitel von Suhrkamp anlässlich der Übersiedlung des Verlags nach Berlin. Beim sogenannten Kritikerempfang, bei dem Sie heuer lasen, soll es verständnisloses Kopfschütteln gegeben haben.
Egger: Ich vermute, das entsprach dem Ansinnen des Verlages, der meinte, ich solle ein dickes, wildes, radikales Ding machen, mit allem, was ich will. Wie es jetzt im Betriebsgefüge der Literatur zugeht, kann der Verlag nur gewinnen. Auch wenn die Kritik das Buch unfreundlich behandelt, bleibt es eine editorische Leistung, so einem Projekt die Schulterbreite zu leihen.
Kein Gejammer, dass niemand mehr ­Lyrik liest, von anderen schwierigen Büchern ganz zu schweigen?
Egger: Man hat mir eine Zeitlang attestiert, dass das, was ich tue, zwar interessant sei, aber natürlich nicht gehe. Für alles, was da nicht ging, ist es in den letzten zehn Jahren erstaunlich gut gegangen – das hat mich auch davor bewahrt, das Publikum suchen zu müssen. Ich denke keinen Moment da­ran, wie viele Leser ich habe.
Beim vorjährigen Bachmann-Preis sind Sie durchgefallen.
Egger: Ich wurde eingeladen, ich hätte mich selbst nicht beworben. Ich stellte dem Betrieb die Frage, ob so ein Text geht und erhielt die deutliche Antwort: "Nein!" Der Bachmann-Preis ist interessant, weil er eine Inversion der Sündenbockrituale darstellt. Anstatt einmal im Jahr einen Bock oder ein Schaf zu schlachten, geht jemand die Karriereleiter hoch – das System mit den Kritikern vergewissert sich seiner selbst und lebt bis zum nächsten Jahr.
Sie haben heuer den mit 40.000 Euro dotierten Oskar-Pastior-Preis erhalten. Sie waren mit Pastior, der als hermetisch galt, befreundet. Ist Oswald Egger ein Autor für Autoren, den nur Dichter schätzen?
Egger: Ich verbringe die meiste Zeit mit Dingen, die vermutlich nur mich selbst interessieren. Aber um einmal von mir abzulenken: Ich finde die Arbeitsweise der Mathematiker interessant; das ist ein höchst spezialisierter Betrieb – auch wenn sie drei Jahre nichts voneinander hören, weiß jeder, dass der andere am anderen Ende der Welt seine Arbeit macht. So lebe ich in der Lyrikwelt. Es gibt eine überschaubare Zahl von Autoren, mit denen ich mich in einem Vertrauensverhältnis und nicht in Konkurrenz befinde. Jeder vertraut darauf, dass der andere am Projekt der Poesie weiterarbeitet. Als ich noch kein Autor war, habe ich auch ähnlich gearbeitet.
Mit dem aus Rumänien stammenden Pastior haben Sie als Südtiroler eine Gemeinsamkeit: Sie kommen auch aus einer Minderheit, aus einer "kleinen Literatur" an der Peripherie der Deutschsprachigkeit.
Egger: In der Südtiroler Enklave war die offizielle Sprache eine andere, und die Literatursprache war – ähnlich wie in Österreich – fast eine zweite Sprache, die man erst lernen musste. Deshalb ist die Idee der Interferenz für mich wichtig. Sprachliche Äußerung ist unter dieser Bedingung nicht nur Benennung, es ist eine Art Tuning, man muss sich in den Sprachraum erst einschalten. In Deutschland gibt es – grob gesprochen – nur Wörter und Sachen.
Sie arbeiten an einer Art Natursprache, die nicht ganz leicht zu lesen ist, die Texte klingen mitunter wie eine dem Deutschen verwandte Sprache; es handelt sich aber auch nicht einfach um Gedichte.
Egger: Ich habe selbst nie gesagt, dass ich Lyriker bin. Das wurde mir attestiert – zuerst negativ, es hieß: "Was du machst, sind keine Gedichte." Vor zehn Jahren habe ich das Label des Dichters angenommen – es ist eine Berufsform, die der Literaturbetrieb ausgespuckt hat, die aber auch Geld einbringt. Man wäre schlecht beraten, solche Bezeichnung von sich zu weisen, auch wenn sie nur scheinbar weiterhelfen. Ich weiß natürlich immer weniger, was ein Gedicht ist.
Früher fragte man nach literarischen Vorbildern, die heutige Formel lautet "Von wem haben Sie Angst, beeinflusst zu werden?" .
Egger: Bis 20 habe ich ausschließlich Brecht und Max Bense gelesen. Hölderlin oder Celan kamen erst sehr spät dazu. Ich hätte gerne mehr Vorbilder! Jemand sagte mir kürzlich, ich sei von der dänischen Lyrikerin Inger Christensen beeinflusst. Als mein Vater starb, waren seine letzten Worte "A-ge-ge – Ach geh." Ich beschäftigte mich damals mit der "Ae-ne-is", ich dachte lange über rhythmische Probleme nach – wie gewinnt man Zeit, indem man möglichst viele Silben eines Wortes betont? ­Dadurch entsteht dieses Demiurgische, dieses Schlabbrige in meinem Text, diese Rilke-Dimension. Ohne dass man es ausspricht, sind dann die Gärten und die Mädchen da.
Die Titel Ihrer Bücher klingen nach einem ambitiösen Weltsystem.
Egger: Für mich sind seit längerem Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen" unglaublich wichtig. Im Vorwort beschreibt Wittgenstein, wie er 20 Jahre da­ran gearbeitet hatte, dann aber merkte, dass daraus kein Buch würde. Mir geht es um keinen Systementwurf, um keine Behausung. Jean Paul ist mir näher als Hölderlin. Was tut Jean Paul? Er schreibt ein Buch, und noch ein Buch, wo die Grenze zwischen beiden ist, lässt sich schwer sagen. Dazwischen trinkt er ein Bier – das ist auch eine Form, mit der Misere umzugehen.

weiterlesen