

Hart in der Sache, aber zur Diskussion bereit
Tobias Heyl in FALTER 3/2011 vom 19.01.2011 (S. 19)
Um den Jahreswechsel 1969/70 hatte der Suhrkamp Verlag elf Tage geschlossen. "Durch die lange Pause wurden sehr viele Arbeiten nicht erledigt, die Verlagsarbeit konnte nur zäh beginnen", notiert Verleger Siegfried Unseld ungnädig zu Beginn seiner Verlagschronik des Jahres 1970. Bis zu seinem Tod im Jahre 2002 wird er von nun an die wichtigsten Ereignisse im Alltag seines Verlags festhalten, eine reiche Quelle für die Literatur- und Ideengeschichte dieser Jahrzehnte. Der erste Band liegt jetzt gedruckt vor: Auch nach dem Umzug nach Berlin sieht sich der Verlag seinen heroischen Frankfurter Jahren verpflichtet.
Der Chronik des Jahres 1970 vorangestellt ist die Chronik jenes Konflikts, der 1967/68 den Verlag erschütterte. Die Suhrkamp-Lektoren verdächtigten ihren Chef der Komplizenschaft mit dem Kapital und wollten ihm eine Lektoratsverfassung aufzwingen, die ihn erst entmachtet und etwas später enteignet hätte. Unseld hat diesen Konflikt souverän für sich entschieden. Hart in der Sache hat er seine Interessen vertreten und gleichzeitig durch permanente Diskussionsbereitschaft all jene widerlegt, die ihn als Patriarchen alten Schlags dämonisieren wollten. Dieser Doppelbegabung, verbunden mit unstillbarer Neugierde und einer berserkerhaften Arbeitswut, verdankt Suhrkamp seine bis heute singuläre Stellung unter den deutschsprachigen Verlagen. Unseld kümmerte sich um die finanziellen Angelegenheiten des Verlags mit der gleichen Leidenschaft, wie er während eines Rom-Aufenthalts über die wichtigsten zeitgenössischen italienischen Lyriker informiert werden wollte, nahm strapaziöse Autoreisen auf sich, um seine Autoren auch noch in entlegenen Alpentälern zu treffen, und sorgte mit persönlichen Besuchen dafür, dass der Verlag engen Kontakt auch zu kleineren Buchhändlern hielt.
Erstaunlich selten lässt er sich zu einem Urteil über die Manuskripte hinreißen, die er nebenher auch noch gelesen haben muss. Die ersten 50 Seiten "Malina"-Manuskript zum Beispiel auf dem Rückflug von Rom: Aber muss ein Siegfried Unseld erklären, warum nun auch Ingeborg Bachmann von ihm verlegt wird?