

Nora, Fanta und Khady kämpfen um ihre Würde
Sigrid Löffler in FALTER 29/2010 vom 23.07.2010 (S. 29)
Die von der französischen Immigrationspolitik angewiderte Marie NDiaye legt mit "Drei starke Frauen" einen starken Roman vor
Aus Protest gegen Nicolas Sarkozys unduldsame Immigrationspolitik ("Wegkärchern!") hat sie nach dessen Wahl zum Präsidenten 2007 Frankreich verlassen und ist nach Berlin gezogen: Marie NDiaye, die 43-jährige Autorin mit französischer Mutter und senegalesischem Vater. Als ihr im November 2009 für ihren Roman "Drei starke Frauen" der Prix Goncourt zugesprochen wurde, erhielt sie die Quittung aus Sarkozys Lager: ohne Widerruf keine Preisverleihung, forderte die Präsidentenpartei. NDiaye blieb bei ihrer Kritik an Sarkozy und nahm den Preis trotzdem in Empfang. Auch sie eine starke Frau.
Streng genommen handelt es sich bei "Drei starke Frauen" weniger um einen Roman als vielmehr um drei separate Erzählungen, die nur über ihre Protagonisten lose miteinander verknüpft sind. Die geografischen Bezugspunkte sind Dakar in Senegal und die französische Provinz. In allen drei Geschichten geht es um die problematischen Beziehungen zwischen weißen Franzosen und schwarzen Senegalesen, um Migrantentum und ethnische Mehrfachidentität.
Aber nicht der kulturelle Austausch ist NDiayes Hauptthema, sondern sozio-kultureller Ausschluss in vielen Varianten. Die Familie bietet da keinen Schutz, im Gegenteil: kein Zusammenhalt, nirgends. Marie NDiyaes prekär gemischte afro-französische Familien von entwurzelten, gescheiterten Vätern, unzuverlässigen Ehepartnern, desorientierten, haltlosen Kindern sind der eigentliche Austragungsort für alle gesellschaftlichen Konflikte. Auch Morde kommen vor.
Die Männer machen in allen drei Erzählungen denkbar schlechte Figur – als Kontrastfolie für die Frauen, denen Marie NDiayes besonderes Augenmerk gilt. Die afro-französische Rechtsanwältin Norah, die senegalesische Lehrerin Fanta, die afrikanische Analphabetin Khady – alle drei werden von den Männern in die Opferrolle gedrängt, aber alle drei widersetzen sich und wahren ihre Würde, so unterschiedlich sie sind und so extrem ihre Notlagen auch sein mögen.
Die Juristin Norah wird von ihrem senegalesischen Vater, den sie seit Jahren nicht gesehen hat, aus Paris nach Dakar gerufen. Er will sie nötigen, ihren Bruder vor Gericht zu verteidigen, der wegen angeblichen Mordes an seiner Stiefmutter im Gefängnis sitzt. Norahs Vater ist ein Familientyrann, ein manipulativer, verlogener Egozentriker. Ihr Bruder ist ein verwöhntes, nichtsnutziges Vatersöhnchen. Ihr deutscher Ehemann ist ein charmanter Schmarotzer, der sich von ihr aushalten lässt. Norah behält sich vor, wie sie reagieren, wie sie sich gegen die väterliche Zumutung wehren wird. Kann sein, dass sie den Kampf gegen den Vater aufnimmt.
So, wie es sich auch Fanta vorbehält, ob sie es weiterhin bei ihrem windigen und neurotisch gestörten französischen Ehemann Rudy aushalten oder ob sie diesen verlassen will. Rudy hat sie unter falschen Vorspiegelungen dazu verleitet, ihren guten Job als Lehrerin am Lyzeum in Dakar aufzugeben und ihm in die französische Provinz zu folgen, wo sie ihren Beruf nicht ausüben darf und nun als unglückliche Hausfrau versauert.
Am übelsten mitgespielt wird der Heldin der dritten Erzählung. Als junge Witwe wird Khady von ihrer Schwiegerfamilie in Dakar als nutzlose Esserin vor die Tür gesetzt und einem Schlepper überantwortet: Er soll sie nach Europa schleusen.
Die illegale Einwanderung gelingt Khady allerdings nicht. Nach entsetzlichen Leiden und Misshandlungen unterwegs – sie wird ausgeraubt und zur Prostitution gezwungen – und nach jahrelangem Herumirren in Wüstenstädten stirbt sie völlig entkräftet an den Stacheldrahtzäunen, die Europa gegen Afrika abgrenzen und die sie nicht übersteigen kann.
Und doch entwickelt sie ungeahnte Seelenstärke, indem sie verstehen lernt, wie ihre bisher unbegriffene, begriffslose Welt funktioniert. Ihre Würde, ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein liegt in ihrem Namen, den sie sich immer wieder vorsagt: Sie ist Khady Demba, "in ihrer ganzen Einzigartigkeit".