

Der diskrete Charme des Ostküsten-Adels
Stefan Ender in FALTER 41/2013 vom 11.10.2013 (S. 10)
Louis Begley macht einfach weiter. Und das ist gut so, wie sein entspannter Roman "Erinnerungen an eine Ehe" beweist
Im hohen Alter sieht sich der Mann im Allgemeinen und der Schriftsteller im Speziellen mit nachlassenden Kräften konfrontiert. Manch einer, man denke an Philip Roth, schreibt Beruf und Berufung dann ganz ab. Mancher macht noch ein bisschen weiter – mit begrenzter Verve, mit entspannt-lapidarer Lässigkeit.
Louis Begley hat nach langen Jahrzehnten als erfolgreicher Anwalt in New York erst spät mit dem Schreiben begonnen. Als er 1991 mit dem autobiografischen Roman "Lügen in Zeiten des Krieges" debütierte, war er bereits 58 Jahre alt. Danach hat sich der in Polen geborene und von den Nazis verfolgte Jude immer wieder zu europäischen Schauplätzen hingezogen gefühlt, die schon zu den Sehnsuchtsorten amerikanischer Reisender gehörten, als der Kontinent noch überwiegend monarchisch geprägt war: "Mistlers Abschied" (1998) spielt in Venedig, "Wie Max es sah" (1994) in einer Villa am Comer See.
Nachdem zuletzt Begleys dritter Roman über den frühpensionierten Anwalt Schmidt erschienen war, erzählt der mittlerweile 79-jährige Autor in "Erinnerungen an eine Ehe" von einem erfolgreichen Schriftsteller im letzten Lebensabschnitt, der aus Europa nach New York zurückkehrt. Nach langen Jahren in Paris – wohl über eineinhalb Jahrhunderte so etwas wie die Auslandsmetropole künstlernder Amerikaner – will Philip, so sein Name, in New York den Verlust seiner geliebten Frau verkraften, die schon auf der sechsten Seite an Leukämie stirbt.
Philip besucht zur Zerstreuung eine – enttäuschende – Aufführung der New York City Ballet Compagnie. Als er in der Pause an die Bar geht, um einen Whiskey zu trinken, trifft er auf eine alte Bekannte aus längst vergangenen Pariser Tagen, Lucy De Bourgh Snow. Ende der 60er-Jahre hatte er die aus ältestem Ostküsten-Adel stammende Lebefrau erstmals kennen und für eine Nacht auch lieben gelernt. Lucy, die "fickt wie eine Mänade", und der Icherzähler, ein "mittelmäßiger Liebhaber", dem es "an Talent und Stehvermögen" fehlt: Die Vereinigung sollte eine einmalige bleiben.
Für ihr Alter (Anfang 70) immer noch "erstaunlich gut aussehend", trägt Lucy jedoch schwer an der Hinterlassenschaft ihrer gescheiterten Ehe mit dem erfolgreichen Investmentbanker Thomas Snow. Hass und Häme für ihren mittlerweile verstorbenen Ex-Mann haben die einst lebenslustige Frau in ein – immerhin relativ begütertes – Monument der Verbitterung verwandelt. Philip muss an die Zeiten in Paris denken, und bei einem Dinner in Lucys großzügig dimensionierter Park-Avenue-Wohnung werden seine Erinnerungen unter Einnahme kalter Speisen und zahlloser Drinks wieder aufgefrischt.
Philip ist verblüfft von der Verwandlung der einstigen Belle de la nuit, und weniger als ehemaliger Freund denn als Romancier beginnt er sich für Lucys Fall zu interessieren. Neben ausführlichen Gesprächen in einem französischen Restaurant (das kalte Huhn vom Deli möchte sich Philip nur ungern noch einmal antun) trifft er kapitelweise ehemalige Bekannte, die ihm die Ereignisse der letzten Jahrzehnte aus ihrer Perspektive schildern sollen: die erfolgreiche Fernsehjournalistin Jane, zweite Ehefrau des Ex-Manns von Lucy; Alex van Buren, einen langjährigen Bekannten der beiden, und Jamie, den Sohn von Lucy und Thomas.
Als stil- und stimmungsvolle Kulisse für diese Hintergrundgespräche dient das Habitat der alten New Yorker High Society: neben besagter Park-Avenue-Wohnung noch vornehme Clubs und reihenweise Häuser in den Hamptons.
Für seine Tour der Erinnerungen bedient sich Begley oft eines verblüffend einfachen Tons. Absätze werden mit simplen Hauptsatzfolgen eröffnet – "Irgendwann vor dem Sommer traf ich Lucy auf einem Empfang der britischen Botschaft. Es war ein schöner milder Abend" – und auch wieder mit solchen beendet: "Er liebt mich wirklich, antwortete sie. Ich denke, er braucht mich. Vielleicht brauche ich ihn auch."
Der Geschichte aber ist das nicht abträglich, sie verströmt den diskreten Charme der Nonchalance. Auch Philip Roth hätte eigentlich ruhig noch ein bisschen weitermachen können.