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Kurzbeschreibung des Verlags
In den sechziger Jahren erlebt die Bundesrepublik ihren bis dahin radikalsten Wandel: Traditionelle Werte verlieren ihre Überzeugungskraft, die bürgerliche Kleinfamilie gilt vielen als Zwang, Studenten tragen ihren Protest aus den Universitäten auf die Straße, die erste Generation der RAF formiert sich. Als Gerichtsreporter der »Zeit« ist Uwe Nettelbeck mittendrin. Er berichtet von alltäglichen Schicksalen, aber auch über einige der spektakulärsten Strafsachen der Nachkriegszeit, etwa den Prozess gegen den »Kirmesmörder« Jürgen Bartsch oder den Frankfurter Brandstifterprozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und andere.
Nach fast fünfzig Jahren versammelt dieser Band erstmals die Gerichtsreportagen, die Nettelbeck zu einem der bekanntesten Journalisten des Landes machten. Bis heute gehören sie zu den besten Artikeln, die je in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden. Nettelbeck schreibt verständlich, stets getrieben von dem Wunsch, die Motive, die Umstände und die Geschehnisse zu begreifen und sie dem Leser begreiflich zu machen. So entsteht ein einzigartiges Panorama jener bewegten Zeit. Doch seine meisterhaften Texte sind mehr als nur Zeugnisse: Immer stellt er sich auf die Seite der Opfer von Justiz, Politik und Gesellschaft. Wo andere überreden wollen, fordert er vom Leser, Partei zu ergreifen.
Mehr Informationen
ISBN
9783518424827
Erscheinungsdatum
06.04.2015
Genre
Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Warum soll man Gerichtsberichte aus der Zeit von 1967 und 1969 lesen, noch dazu in Buchform unter dem wenig anregenden Titel „Prozesse“? Der Name des Autors, Uwe Nettelbeck, könnte ausschlaggebend sein. In den 1960er-Jahren Redakteur im Feuilleton der Zeit, später kurz bei Konkret, dann Herausgeber der Zeitschrift Republik, legte er sich schon früh mit den Mächtigen an. Von seiner Kritik nahm er weder den Justizapparat noch den Kulturbetrieb oder seinen eigenen Arbeitgeber aus. Es dauerte auch nicht lange, bis er aus dem Journalismus überhaupt ausstieg. Seiner Leidenschaft, gegen autoritäre Strukturen anzuschreiben, tat das keinen Abbruch.
Nettelbeck rüttelte am System mit klaren, unmissverständlichen und dennoch äußerst eleganten Formulierungen. Diese „Gerichtsberichte“, die seine Frau und Mitstreiterin Petra Nettelbeck nun acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes herausgegeben hat, sind ein journalistisches Lehrstück. Sie zeichnen sich durch Unbestechlichkeit, akribische Recherche und starke, nachvollziehbare Bewertung aus und sind das Porträt einer Gesellschaft, die Nettelbeck von polizeistaatlichen Strukturen durchdrungen sah.
Den Gerichtssaal beschreibt Nettelbeck als Soziotop. Nicht die Tat interessiert ihn in erster Linie, sondern die Geschichten dahinter. Damit entschuldigt er weder die Frau, die die Ehefrau ihres Geliebten erschossen hat, noch den Jugendlichen, der Kinder bestialisch ermordete.
Vielmehr gibt er ihnen ein menschliches Antlitz zurück, das durch Medienkampagnen und voreingenommene Richter nur allzu leicht abhanden kam. Aber nicht nur die Angeklagten sind für Nettelbeck interessant. Richter, Staatsanwälte und Verteidiger analysiert und kritisiert er mit derselben Detailliertheit.
Es ist auch stets klar, für wen er Partei ergreift, wobei Nettelbeck herkömmliche Täter-Opfer-Schemata sprengt. Das Buch endet mit einer Brandrede gegen angepassten, systemkonformen und deshalb so gefährlichen Journalismus. Schon allein deshalb sollte man es heute lesen.