

Ein Buch, in dem es nur noch ums Überleben geht
Tabea Soergel in FALTER 37/2015 vom 11.09.2015 (S. 30)
Schlimmer könnte es nicht beginnen. Fünf Männer finden im Unterholz eine wehrlose, möglicherweise sterbende Frau und haben der Reihe nach Sex mit ihr. Ohne erkennbare Lust, so wie sie alles, was sie finden, auf Brauchbarkeit prüfen und den Rest kaputtmachen. Weil Menschen nun einmal so sind unter dem dünnen Lack der Zivilisation – Ungeheuer.
Das ist der Auftakt zu Heinz Helles Roman über fünf Freunde, die nach einem Wochenende auf einer Tiroler Berghütte feststellen, dass in ihrer Abwesenheit die Apokalypse stattgefunden hat. Sie hadern nicht mit diesem Schicksal, sondern konzentrieren sich mit unerbittlicher Effizienz aufs Wesentliche: das Überleben. Überleben heißt, in Bewegung zu bleiben. Also gehen sie los. Auf ihrem Weg stoßen sie auf niedergebrannte Orte, verwüstete Infrastruktur, Tote – und werden selbst immer weniger.
Wie schon Helles Debüt „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ zeichnet sich auch sein zweites Buch durch wissenschaftlich präzise, rhythmische Sprache und Ungerührtheit im Ton aus. Diese Kombination wirkt hier noch zwingender. Der Erzähler betrachtet seine Umgebung wie durch ein Brennglas, während er bis zur völligen Erschöpfung läuft und sich der Takt seines Atems und seiner Schritte mit dem Rhythmus der Sprache synchronisiert. Auch die Lakonie ist angesichts der Handlung konsequent: Wer ums Überleben kämpft, verschwendet seine Kraft nicht an Gefühle.
Erstaunlicherweise folgt man dem Erzähler, dieser immer kälter werdenden Wahrnehmungs- und Überlebensmaschine, mit wachsender Anteilnahme. Die menschlichen Regungen, die er sich nicht mehr leisten kann, übertragen sich auf den Leser. In seiner Kompromisslosigkeit ist „Eigentlich müssten wir tanzen“ so beeindruckend wie erschütternd. Nicht dass man allen Ernstes mit einem Happy End gerechnet hätte, doch wie am Ende genüsslich auch noch die grausigsten Aspekte des Genres durchgespielt werden, verschlägt einem dann doch den Atem. Man muss sich Heinz Helle als quietschvergnügten Autor vorstellen.