

Autor mit Blick für die kleinen Risse im Leben
Sebastian Fasthuber in FALTER 22/2017 vom 02.06.2017 (S. 36)
Alejandro Zambra wird als junger Meister der lateinamerikanischen Literatur gefeiert. Etwas verzögert erscheinen seine Werke nun in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp. Mit seinem 2003 verstorbenen chilenischen Landsmann Roberto Bolaño, als dessen Nachfolger er mitunter bezeichnet wird, hat er nicht viel gemein. Während Ersterer aus dem Exil auf seine Heimat blickte, zu der er ein gespaltenes Verhältnis hatte, wuchs Zambra in den Jahren der Pinochet-Diktatur auf, die für ihn der Normalzustand war. Bis er 15 war, kannte er nichts anderes.
Im Gegensatz zu Bolaño, der extrem lebte und auch beim Schreiben maßlos war, ist Zambra ein Autor der Mittelschicht. Seine Texte schildern das alltägliche Leben zwischen Routine und Scheitern. Auf den ersten Blick wirken sie unspektakulär – fast so, als wollten sie nicht zu viel Aufhebens um sich machen, dem Leser nicht zu nahe treten. Dann aber entfalten sie ihren Reiz, der in der Eleganz der Prosa liegt, in den ungewöhnlichen Erzählperspektiven und in der Melancholie, die die Stories in „Ferngespräch“ wie süßes Gift transportieren.
Viele Figuren empfinden ihr Leben hier als Simulation, nicht umsonst spielen Computer eine große Rolle. Die Erzählung „Erinnerungen eines Personal Computers“ ist sogar aus der Sicht einer Maschine geschildert. Sie setzt ein, als ein Mann sich einen PC kauft. Von da an bestimmt dieser sein Leben. Später kommt eine Frau dazu und hängt den Computer ans Internet. Am Ende bringt der Mann das Gerät seinem Sohn, zu dem er jahrelang keinen Kontakt hatte. Von seinem Stiefvater hat der Bub freilich längst einen leistungsstärkeren Computer bekommen. Das Geschenk landet im Keller, die Geschichte endet.
In „Familienleben“ hütet ein Mann das Haus einer Familie, während diese vier Monate im Ausland verbringt. Anfangs läuft es ganz geordnet ab, er füttert sogar regelmäßig die Katze. Als diese aber verschwindet, gerät alles aus den Fugen. Alejandro Zambra ist ein Autor mit Blick für die kleinen Risse im Leben, die man erst bemerkt, wenn die Fassade zu bröckeln beginnt.