

Die rätselhafte Köchin und ihr naiver Verehrer
Kirstin Breitenfellner in FALTER 32/2017 vom 09.08.2017 (S. 29)
Marie NDiayes Welt ist unheimlich. Sie wird bevölkert von Figuren, die schwer zu durchschauen sind und sich manchmal sogar in Tiere verwandeln. Bereits mit 17 Jahren legte NDiaye ihren ersten Roman vor. Das war 1985. Es sollte 24 Jahre dauern, bis sie für „Drei starke Frauen“ den renommierten Prix Goncourt erhalten sollte. Im Juni hat die öffentlichkeitsscheue Autorin ihren 50. Geburtstag gefeiert.
Ihre Bücher geben viel zu denken. Nachdenken ist auch die Hauptbeschäftigung ihrer Figuren. Sie versuchen sich einen Reim auf das emotionale Monster Mensch zu machen. Gerade damit versteht NDiaye eine Spannung zu erzeugen, die in der nichtkriminalistischen Gegenwartsliteratur ihresgleichen sucht.
So auch im neuen Werk „Die Chefin“, das den Untertitel „Roman einer Köchin“ trägt. Diese beginnt ihre Laufbahn als Dienstmädchen und bringt es bis zur Inhaberin eines erstklassigen Restaurants mit einem Stern. Wie die Köchin heißt, erfährt man erst auf der letzten Seite des Buchs. Wer sie ist, das kann man sich nur aus den Nachforschungen ihres ehemaligen Jungkochs zusammenreimen. Er versucht vergeblich, seiner unerfüllten Liebe – der um 20 Jahre älteren „Chefin“, wie er sie konsequent nennt – habhaft zu werden.
Eine komplexe, abgründige Persönlichkeit wird hier durch das Prisma einer naiven betrachtet. Dem Vergleich mit großen Vorbilder dieses Genres, etwa Thomas Manns „Doktor Faustus“, hält NDiayes Kunst der Erhellung durch konsequente Verdunklung mühelos stand. Je mehr der Ich-Erzähler, der mittlerweile als Frühpensionist im spanischen Lloret de Mar lebt, die herrische Persönlichkeit der Chefin und ihre Unterwerfung unter ihre bösartige Tochter zu verstehen versucht, desto mehr entzieht sie sich ihm. Und umso mehr zieht sie ihn an.
Offenbart wird währenddessen ihre Kunst, ihre Faszination für das Kochen als existenziellen Akt jenseits der Lustbefriedigung. „Die Chefin“ ist ein opulenter Roman mit – ungewöhnlich bei NDiaye – beinahe so etwas wie einem Happy End.