

Touristen sind nicht die anderen, sondern wir!
Kirstin Breitenfellner in FALTER 23/2018 vom 06.06.2018 (S. 30)
Lust auf Urlaub? In diesem Fall sei vor Marco d’Eramos „Die Welt im Selfie. Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters“ gewarnt. Denn bei seiner Lektüre hegt man mehr als einmal den Wunsch, nie mehr zu verreisen. Sich darauf auszureden, dass Touristen ja nur die anderen sind, während man sich selbst den noblen Titel des Reisenden zuspricht, führt hier auch nicht weiter, denn gerade diese Denkfigur gehört zu den Aporien des Tourismus. Wozu sehen sich Menschen Dinge an, die sie bereits aus Büchern, Fotos und Filmen kennen? Um sie mit dem zu vergleichen, was sie sich vorher vorgestellt haben, erklärt d’Eramo mit dem Reiseschriftsteller Mark Twain. Tourismus lebt von der Nachahmung, initiiert von Markern wie dem Weltkulturerbe-Etikett, die dazu tendieren, zum eigentlichen Zweck der Reise zu mutieren und mittels Postkarten, Bewertungen auf Tripadvisor oder dem titelgebenden Selfie reproduziert werden.
Damit halten Touristen eine der größten Industrien in Gang. Mit beinahe 1,2 Milliarden Reisen jährlich macht der globale Umsatz mit Tourismus zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts aus, unterhält knapp 300 Millionen Arbeitsplätze, eine Galaxie von Institutionen, Immobilien und Produkten und firmiert damit auch als der größte Umweltverschmutzer. Besonders in den Touristenstädten hinterlässt er eine alltagskulturelle Wüste. Der seit vielen Jahren im Zentrum Roms lebende Autor weiß davon ein Lied zu singen.
Gegen Ende des Buchs wartet er mit einer überraschenden Wendung auf, indem er darüber nachdenkt, ob hinter dem Volkssport Touristenbashing nicht bloß der Snobismus von Bessergestellten stecken könnte, sich zu einer Verteidigung der Reiselust aufschwingt und sogar darüber spekuliert, ob das Zeitalter des Tourismus seinen Zenit nicht bereits überschritten haben könnte.
Auch wenn diese Diagnose verfrüht ist: Dieses so kluge wie vielschichtige Buch trifft mitten ins Herz unserer Gegenwart, für seine Thesen lohnt es sich, Zeit einzuplanen. Warum nicht gleich als Urlaubslektüre?