

Es gibt ihn noch, den guten Nationalismus
Robert Misik in FALTER 45/2021 vom 12.11.2021 (S. 22)
Antiglobalismus der klügsten Art. Wolfgang Streeck legt endlich seine "politische Ökonomie des ausgehenden Neoliberalismus" vor
Gerne wird Wolfgang Streeck als "linker Nationalist" apostrophiert, die Frankfurter Allgemeine Zeitung warf ihm jüngst eine "bis zum Hass gesteigerte Abneigung gegen die EU" vor. Solche Schnellurteile und Etikettierungen werden Streeck nicht gerecht. Er ist links, für die pluralistische Demokratie, für die sozialen Rechte der am meisten Bedrängten -und deshalb für kräftige Nationalstaaten.
Der renommierte Ex-Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung argumentiert gegen eine "Verwirtschaftlichung der Gesellschaft" und einen "freigelassenen internationalen Hochkapitalismus", besondere Verachtung hat er für internationalistisch-liberale Konzepte einer global governance, in der die mächtigsten Regierungen plus supranationale Gebilde ein bisschen herumregulieren -in derart homöopathischen Dosen, dass sie es gleich auch lassen könnten. Im Sattel sitzen Kapital, große Konzerne, die Finanzinstitutionen.
30 Jahre radikalisierter Neoliberalismus und Globalismus haben eine verheerende Bilanz vorzuweisen: Die Reichsten werden immer reicher, die anderen werden es nicht. Der Druck auf normale Arbeitnehmerschichten wird immer stärker, die Prekärsten kommen unter die Räder. Dadurch stockt die Konsumnachfrage, für staatliche Investitionen fehlt wegen Steuerdumping und Milliardengeschenken für die Superreichen das Geld, das Wirtschaftswachstum ist entsprechend niedrig. Weit in die Mitte der Gesellschaft machen sich das Gefühl von Abstiegsangst und auch ein Verdruss an etablierter Politik breit, von der sich viele nicht mehr vertreten fühlen.
Globalismus und der mit ihm verbundene Politikmodus ist für Streeck aber auch ein Anschlag auf die Demokratie. Demokratie herrscht nur im Nationalstaat, dessen Regelungsfähigkeit wird aber immer mehr entzogen, sei das juristisch durch internationale Verträge oder Vorrang für EU-Recht, sei das durch die Kraft des Faktischen der globalen Märkte. Wer ausschert, wird autoritär niedergemacht.
Streecks Buch ist explizit "der Versuch einer Rehabilitierung des Nationalstaates als Arena demokratischer Politik im Kapitalismus". Die populistischen Revolten sind für Streeck demokratische Revolten, wenngleich in perverser Form. Sozialpolitik, eine Politik der Gleichheit, die den Aufstieg der vielen möglich macht, eine keynesianische Steuerung, das ist alles nur im Nationalstaat möglich. Wenn die Welt "überhaupt regiert werden soll", kann sie "nur unterteilt regiert werden". Globales Regieren ist schon alleine darum nicht möglich, weil dann alles zu komplex wird.
Staaten existieren aber nie für sich alleine, und vorwärts kommen können sie auch im Streeck'schen Sinne nur in Kooperation miteinander. Am Ende liefe auch das auf einen schlampigen Pragmatismus hinaus, bei dem sowohl national als auch supranational gehandelt wird. Nehmen wir nur ein Beispiel: Die deutschen Sozialdemokraten haben gerade die Wahlen gewonnen, müssen eine wackelige Ampelkoalition schmieden, wollen dabei ein paar Dinge wie Mindestlohn und Re-Regulierung auf unregulierten Arbeitsmärkten hinbekommen -und auf globaler Ebene mit einer Mindestbesteuerung für Konzerne das Steuerdumping bekämpfen. All das ist mühsam und geht nur in so kleinen Schritten voran -aber so extrem weit entfernt von Streecks Philosophie ist das auch wieder nicht, wie er mit seiner Dichotomie von "Globalismus" und "demokratischer Nationalstaat" tut.
Man muss Streecks Meinungen nicht teilen, aber man kann seine Beweisführung nicht mit flotten Sprüchen und kosmopolitischer Romantik vom Tisch wischen.