Radio Nacht

Roman | Klimaproteste, Pandemie, die Bedrohung durch Russland: Von einer Zeit, in der die Hoffnungen auf radikale Veränderungen in der Ukraine begraben werden
472 Seiten, Hardcover
€ 26.8
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ISBN 9783518430729
Erscheinungsdatum 12.09.2022
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
Übersetzung Sabine Stöhr
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
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Kurzbeschreibung des Verlags


Als »Barrikadenpianist« hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker – Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter.


Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am Null-Meridian ist Schluss. Dort sendet sein »Radio Nacht« rund um die Uhr Musik, Poesie und Geschichten in die sich verfinsternde Welt.




Radio Nacht, in der Ukraine 2020 erschienen, ist nicht nur ein sprachliches Feuerwerk, sondern ein Gegenwartsroman von eminenter Aktualität. Klimaproteste, Pandemie, die Bedrohung durch Russland – er handelt von einer Zeit, in der die Hoffnungen auf radikale Veränderungen begraben werden
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ISBN 9783518430729
Erscheinungsdatum 12.09.2022
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FALTER-Rezension

Revolution und Ejakulation

Erich Klein in FALTER 39/2022 vom 28.09.2022 (S. 37)

Ob es Glück oder Pech war, dass "Radio Nacht" schon fertig war, als der Krieg begann, sei dahingestellt. Seinem Ruf wird der im deutschen Sprachraum bekannteste ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch mit seinem neuen Roman allemal gerecht: Geschichten zu liefern aus einem Land voller Tragödien, ein tobendes erzählerisches Chaos voller Verrücktheit und Anarchie samt obligatorischer Portion Machotum.
Juri Andruchowytsch, 1960 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geboren, studierte 1989 am Moskauer Gorki-Institut Literatur. Seine literarischen Anfänge als Lyriker beschrieb er in seinem vor einigen Jahren auf Deutsch nachgereichten Romanerstling "Karpatenkarneval" (2019): Rabaukentum im hintersten und zugleich westlichsten Winkel des Sowjetimperiums.

Kein ukrainischer Schriftsteller hat in den letzten zwei Jahrzehnten derart viel Werbung für sein Land gemacht wie Andruchowytsch, auch wenn dabei die Erwartungen mancher westlichen Leser - etwa in Sachen Nostalgie gegenüber dem Habsburgerreich, wozu Galizien einst gehörte - gehörig enttäuscht wurden. Kakanien wurde nie effektvoller dekonstruiert als in "Zwölf Ringe" (2005), dem bislang besten Roman von Andruchowytsch.

Zu einem vergleichbaren Unternehmen - der Beschäftigung mit den Mythen seiner Heimat am Ostrand der Karpaten -kehrt der Autor nach fast einem Dutzend weiterer Bücher in "Radio Nacht" zurück. Die namentlich im Roman nie genannte Ukraine hat etliche Revolutionen hinter sich, als der Erzähler von einem ominösen "Internationalen Interaktiven Biografischen Komitee (IIBC)" den Auftrag erhält, die Biografie eines gewissen Josip Rotsky zu schreiben.

Damit endet auch schon die Übersichtlichkeit des 472 Seiten starken Romans, der sich aus unzähligen kleineren und größeren Prosastück nie wirklich zusammensetzt, um stattdessen permanent auseinanderzufallen.

Selbst in Bezug auf den Namen des Protagonisten herrscht Unklarheit: "Josip Rotsky -Osip? Vielleicht Josiph? Oder sogar Joseph und Józef? Oder gleich Joasaph und Josaphat? Josip Rotsky. Ein prätentiöser Hybride aus Brodski und Roth. Letzterer war seinem Geburtsort nach ebenfalls ein brodskyj beziehungsweise brodywskyj, einer aus Brody. Dies nur am Rande."

Ort des Geschehens ist im Wesentlichen die Stadt Nashorn, hinter der man das galizische Lemberg/Lwiw vermuten darf. Um das Figurenpersonal zu vervollständigen, begibt sich besagter Rotsky spazierend auf den dortigen Festungsberg, von dem er in Begleitung des Raben Edgar zurückkehrt. Rotsky ist ehemaliger Rockmusiker, außerdem steht sein Name auf der Erschießungsliste einer gewissen "Liga der Unkrautvernichter der Nationalen Einheit". Er tritt als DJ im Club "Xata morgana" eines gewissen Myromyr-Slavojar Servus (alias Meph) auf. Rotsky beginnt seine nächtliche Moderation mit "Wenn Gott unser Vater ist, dann ist der Teufel unser Busenfreund" und legt dann auf: Elton John, Soap&Skin, alle möglichen Ukrainer. Wie Rotsky ist auch Meph auf der Flucht. Wovor genau, wird man nie so recht erfahren.

Rasch kommt der Erzähler hingegen zu seinem Hauptthema, das ewig Weibliche, das in seinem Fall immer mit "A" beginnt: Ariadne, Adriana, Arianda bis Anna-Maria und Alpha-Omega. Rotskys Begleiter, der Rabe Edgar, kommt beim Zählen gar nicht mehr mit, mit wie vielen Frauen sein Herr im Bett war.

Allerdings ist einiges über das Innenleben des Protagonisten zu erfahren: "Josip Rotsky hatte genau jene komfortable Grenze erreicht, nach der er beim Sex endlich völlige Freiheit genießen konnte. Nicht die postpubertäre, stürmisch-naive Abhängigkeit des Anfängers, nicht die krisenhafte, krampfartige Verzweiflung des 40-jährigen Liebhabers, zu jeder zitternden Torheit bereit, nein, ihn leitete die konzentrierte und umsichtige, wählerische Herangehensweise des erfahrenen und leicht übersättigten Connaisseurs, fähig zu bewerten, auszuwählen, den rein erogenen Parametern folgend."

Zwei Drittel des Buches bestehen aus derart herrenreiterischen Erläuterungen des Themas Sex samt Variationen: diversen Arten der Ejakulation, von Sex während der Menstruation, Sex am Morgen, in der Schweiz, an einem norwegischen Fjord und in den Tiroler Alpen sowie Ausführungen über das Prinzip VKV (Vor-Koitus-Vereinbarung).

Anstatt einen durchgehenden Plot zu erstellen, bewegt sich Andruchowytsch in hohem dichterischem Ton und wilden Sprüngen durch Räume und Zeiten hinweg. Rotskys amouröse Abenteuer verwandeln sich im fortgeschrittenen Alter in eine recht eigenwillige Liebesgeschichte mit einer gewissen Anima, die wohl für alle vorangegangenen "As" steht.

Mal treffen wir in einem Schweizer Gefängnis auf Rotsky, der dort für den Direktor Klavier spielt und Umgang mit einem "Superhirn" namens Jeffrey Subbotnik pflegt; Letzterer, Spieleerfinder, Anhänger von Verschwörungstheorien und Finanzgenie, besitzt möglicherweise das ganze Geld dieser Welt.

Mal führt der immer deutlicher als Faust-Paraphrase erkennbare Roman zu "prestigeträchtigsten Events Europas mit hohem Coolness-Faktor", in die Welt der Biennalen, Triennalen und wie sie alle heißen. Beißender Spott und Ironie bezüglich Obskurantentum und Kulturindustrie werden vom Autor häufig überstrapaziert, besser gelungen sind die nostalgischen Erinnerungen an die Zeit, da der Protagonist Rotsky auf Kiews Barrikaden Klavier spielte.

Dass es sich dabei um sarkastische Reminiszenzen an die Kiewer "Revolution der Würde" von 2013/14 handelt, deren Errungenschaften in den Folgejahren wieder im ukrainischen Politikalltag unterzugehen drohten, ist offensichtlich. Dann bricht der Roman unvermittelt ab.

"Radio Nacht" ist voller literarischer, historischer und politischer Anspielungen, von der Bibel über Goethe bis zu Edgar Allan Poe und Thomas Mann. Ob Juri Andruchowytsch jene beißende Satire auf ukrainische Verhältnisse gelang, die wohl intendiert war, darf bezweifelt werden.

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