

Ich kann beim besten Willen nur Hakenkreuze erkennen
Klaus Nüchtern in FALTER 7/2023 vom 17.02.2023 (S. 31)
Das heliozentrische Weltbild ist natürlich Quatsch. Wie sonst wäre es möglich, dass sich ausgerechnet in den der Sonne am nächsten liegenden Gipfeln der Berge der Schnee hält, hä?! Das dürfte Kopernikus, Kepler & Co wohl entgangen sein. Im Unterschied zu Peter Bender, 1893 in Bechtheim geboren, Kampfpilot im Ersten Weltkrieg, Gründer der "Wormser Menschengemeinde", 1944 in Mauthausen ermordet und Vertreter der sogenannten "Hohlwelttheorie".
Dass die Erde eine hohle Kugel ist, auf deren Innenseite wir wandeln, ahnte man schon lange. 1864 hat Jules Verne diese Theorie in Science-Fiction umgesetzt, der US-Amerikaner Cyrus Reed Teed, auch unter dem selbstgewählten Namen Koresh bekannt, hat sie kurz darauf "wissenschaftlich belegt". Anfang des 20. Jahrhunderts gewinnt dann die Lehre auch in Deutschland ihre Anhänger, nicht zuletzt durch ihren umtriebigen Propagandisten Bender, der sich für die Reinkarnation Teeds hält und mit einer Koresh-Gemeinde in Florida korrespondiert.
Wer sollte sich eines solchen weitgehend vergessenen Obskuranten annehmen wenn nicht der Grazer Büchner-Preisträger Clemens J. Setz, der es liebt, von Verrückten, Eigenbrötlern und Exzentrikern bevölkerte Parallelwelten zu ersinnen? Diesfalls auf Grundlage von Quellen aus deutschen und amerikanischen Archiven, mithilfe derer der Autor das Faktengerüst für "Monde vor der Landung" rekonstruiert hat.
Der Clou des Unterfangens liegt in der mimetischen Anverwandlung: Der Erzähler schreibt sich sozusagen bis an die schmerzgepeinigten Schädelnähte in Benders durch einen Flugzeugabsturz nachhaltig havarierten Kopf hinein, durch den Halluzinationen, Visionen und Assoziationen flackern, dass es nur so seine Art hat.
All das wird einerseits ausfantasiert, andererseits durch authentische Belege untermauert, die der Autor in Form von Zitaten aus Benders Roman "Karl Tormann", aus Briefen, Broschüren und psychiatrischen Gutachten oder als Fotos und Faksimiles in seinen Roman collagiert hat. Darunter auch eine Skizze, mit der Bender seine bizarre Theorie von der "Quadratform der Geschlechter" erläutert und welche unübersehbar Hakenkreuzgestalt hat -obgleich der eher unpolitische Wirrkopf der inhumanen Ideologie gar nicht anhängt.
Auf seinem ureigensten Terrain, jenen Regionen menschlichen Verhaltens, in denen Skurriles ins Sinistre übergeht und der Slapstick in den Horror kippt, läuft Setz auch in "Monde vor der Landung" immer wieder zu großer Form auf. Was Bender im Krieg oder im Gefängnis (wo er wegen Betrug und Steuerhinterziehung einsitzt) durchmachen muss, gewinnt albtraumhafte Dringlichkeit; und die sowohl mentale als auch buchstäblich handgreifliche Machtergreifung des Nationalsozialismus wirkt besonders bösartig, wo sie von Bender in einer Mischung aus Ignoranz, Feigheit und Indolenz nur wie nebenher wahrgenommen wird, obwohl sie ihn und seine engsten Angehörigen unmittelbar betrifft: Seine Frau Charlotte, eine österreichische Jüdin, wird zusehends drangsaliert und schließlich wenige Woche nach ihrem Mann in Auschwitz zu Tode gebracht.
Allerdings überlässt sich der Autor auch ziemlich haltlos seiner Lust an Abschweifungen, Aufzählungen, Exkursen und Einschüben. Eine stringente Erzählung, die jenseits loser Bezüge zum querulierenden Querdenkertum der Gegenwart auf eine These zusteuerte, ergibt sich daraus nicht. Warum man sich über 500 Seiten lang im Kopf Benders aufhalten soll, weiß letztendlich wohl nur einer: Clemens J. Setz.