

Wutbewirtschaftung plus österreichische Irrwitzigkeit
Robert Misik in FALTER 34/2024 vom 21.08.2024 (S. 19)
Wir nennen das ab jetzt den herbertkomplex. Die fortlaufende Untersuchung der Gegenwart", schreibt Thomas Köck lapidar. "Der herbertkomplex ist der Rechtsruck, der kein Ruck mehr ist, sondern eine jahrzehntelange Verschiebung sämtlicher demokratischer Grundprinzipien." Kein Ruck, sondern "Rechtserdrutsch". "herbertkomplex", das steht für die Gesellschaftskrankheit, deren Symptom Herbert Kickl ist, der "herbert", der durchgehend nur in Kleinschreibung vorkommt, um ihn nicht zu groß zu machen.
In der "Chronik der laufenden Entgleisungen" hat der österreichische Stückeschreiber und Theatermacher eine Art Buchführung der Gegenwart vollbracht. Chronik, Tagebuch, mit Eintragungen über ein Jahr. Eine Sammlung der Niederträchtigkeiten. Eine Soziologie des Alltäglichen.
Es ist ein Buch zum Wahljahr, zur Europawahl, zur hiesigen Nationalratswahl, zur deutschen Landtagswahlsaison -alle haben das Zeug dazu, die Demokratien in Brand zu setzen. Köck dokumentiert, wie wir uns alle an das Unerträgliche gewöhnt haben.
Er hält die Geschehnisse des politischen Alltags fest, listet die Entgleisungen der Höckes und der Kickls auf, die wir so schnell vergessen. "Ich war eigentlich immer froh, wenn ich von Österreich nichts gehört habe, nichts gesehen und mich niemand genötigt hat, mich damit zu beschäftigen", schreibt Köck gleich zu Beginn.
Aber jetzt beschäftigt er sich damit, und auch mit sich, mit seiner Herkunft aus der oberösterreichischen Arbeiterklasse, mit diesem Österreich und seinen Spaltungen. "Gekränkte Männer waren schon immer die größte Gefahr für alle Beteiligten."
Die Spaltungen produzieren Verwundungen. Der Rechtsextremismus plustert sich zur Partei des kleinen Mannes auf. Gleichzeitig zur Partei der Reichen. "Ich kann Klasse riechen -und so leid es mir tut, aber ich kann auch die Muster riechen, wie sich diese Klasse reproduziert, wie sie Raum einnimmt."
Ohne ökonomische Untersuchungen kommt man nicht weiter, zugleich, bemerkt Köck, tue er sich mittlerweile schwer, "wieder eine ökonomische Begründung herbeizuzitieren, again and again. Ich glaube, der herbertkomplex sitzt wesentlich tiefer." Haider, Strache, herbert, "toxische Männlichkeit in Reinform".
Halb Schlägerbande mit Wodka-Red-Bull, "vermengt mit so einer spezifischen österreichischen Oberschicht, Pullover um die Schultern, Rolex und Mittelscheitel am Wörthersee". Klasse, Ungleichheit, Rassismus, Männlichkeit, Wutbewirtschaftung.
Plus österreichische Irrwitzigkeit: "Man stelle sich vor, der deutsche Kanzler würde in einem Weinkeller stehen und armutsbetroffenen Menschen unter lautem Gejohle von seinesgleichen empfehlen, sie mögen doch Hamburger essen gehen."
Thomas Köck umkreist Anekdoten, Symptome, Tiefendynamiken, er spinnt Fäden in einem lapidaren Sound, zugleich in einem Gestus des Dringlichen. Und er schreibt sich über das Jahr wund. "Diese endlos sich auskotzende Gegenwart, diese Abstumpfung vor den Ereignissen." Kult der Härte, Ethnonationalismus, die Anbetung der Winner, sie "vermengen sich zum neoliberalen Faschismus im österreichischen Hauptabendprogramm".
Empört man sich, spielt man ihnen schon in die Hände. Bekämpft man sie "inhaltlich", läuft man ihren "Inhalten" hinterher. Was immer man tut, der "herbertkomplex" leckt sich die Finger.
Köck will das Unheil aufhalten und fürchtet, "dass es vielleicht kommen wird, wie es kommen muss".