

Nur saufen, ficken und beten
Christoph Bartmann in FALTER 12/2025 vom 21.03.2025 (S. 12)
Bei der letzten Volkszählung hatte Róznowice 1434 Einwohner. Der Ort liegt sehr abgelegen am Fuß der Niederen Beskiden, einer der „wildesten Ecken Polens“, wie die Webseite Poland Soul Travel wissen will. Wild in jeder Hinsicht ist auch das Leben der Figuren in Urszula Honeks wunderbarem kleinen Beskidenroman „Die weißen Nächte“, und die Autorin weiß, wovon sie spricht. Schließlich stammt sie aus Racławice, das kaum einen Katzensprung entfernt ist von Róznowice.
Dass die (süd-)polnische Peripherie, das oft so genannte „Polen B“, auf der literarischen Weltkarte erschienen ist, hat viel mit dem Schriftsteller Andrzej Stasiuk und seiner Frau Monika Sznajderman zu tun. In ihrem gemeinsamen Verlag Czarne ist auch Honeks Roman erschienen, und ein Zitat Stasiuks findet sich auf der Rückseite des Covers: „In dieser grausamen Welt vermag die Literatur das Schöne zu entdecken. Urszula Honek macht das meisterhaft.“ Das sehen auch andere so, weshalb die „Weißen Nächte“ auch für den diesjährigen International Booker Prize nominiert sind.
Honek macht dabei aber vieles anders als der ihr ansonsten geistesverwandte Stasiuk. Das Wilde und Grausame, das bei diesem stets ins drastisch Maskuline driftet, behält bei ihr selbst dann seinen poetischen Zauber, wenn von Selbstmorden und Brandkatastrophen, vom Schweineschlachten, von tristem Sex und billigem Schnaps die Rede ist.
Die Autorin hat drei in Polen vielbeachtete Gedichtbände vorgelegt, ehe sie manche Motive und Figuren ihrer Lyrik zu einem eigentümlichen Prosagebilde weiterentwickelte. Ihr „Roman in dreizehn Geschichten“ erzählt – stets am Ort haftend, aber durch die Zeit springend – von Menschen und Verhältnissen in Róznowice. Nichts läuft auf einen Plot oder irgendeine forcierte Handlung hinaus, das Leben der Leute driftet fast von allein dem Unglück entgegen.
Man fragt sich gelegentlich, wann diese Geschichten spielen? Sicher nicht in einer fernen Vergangenheit, aber soll das wirklich die Gegenwart in Róznowice sein, wo es außer Holzfällen, Frisieren und Schlachten keine Jobs, außer Saufen, Ficken und Beten keine Freizeitbeschäftigungen gibt? Auch die Busverbindungen in den Niederen Beskiden sind hier miserabel. Wer aber schon einmal in der Gegend war, weiß, dass dort dank EU-Fördergeldern selbst in entlegensten Winkeln ein futuristisches Wartehäuschen stehen kann.
Dergleichen aber kommt im Roman nicht vor, würde die Reduktion des dörflichen Lebens aufs Elementare auch nur stören. Wer sich also von Honek durch die Niederen Beskiden geleiten lässt, wird Dinge sehen, die man ansonsten nicht wahrnähme, wird aber auch Dinge nicht sehen, die einem ansonsten ins Auge sprängen. So aber funktioniert der Roman: Man lässt sich vom verzauberten gelblichen Licht der weißen Nächte in andere Zustände versetzen, die mit der Wirklichkeit bei Tage nicht viel zu tun haben müssen.
Bei allem Zauber zeichnet sich diese Prosa durch große Handfestigkeit aus. Honek liebt Hunde, jedenfalls kommt auf fast jeder Seite einer vor. Und diese Hundebetrachtungen, wie auch die anderen Tierbetrachtungen, vor allem jene von Schweinen kurz vor der Schlachtung, sind mitfühlend und präzise.
Wie in vielen polnischen Romanen wird viel und gerne Wurst verzehrt, lässt sich einiges übers Wurstmachen und -essen lernen. Unüberbietbar poetisch und mit christologischer Anspielung etwa werden jene beschrieben, die diese Würste fabrizieren: „Die Körper der Hausfrauen sind schwer, aufgedunsen, und sie schmerzen. Sie sehen aus wie Ballons, die nicht abheben können. Würde man sie anstechen, so flöße zuerst die ein Leben lang unter dem Herzen gestaute Galle und dann salziges Wasser ab.“
Urszula Honeks „Die weißen Nächte“ ist ein herrliches Buch. Man sollte es lesen, am besten wohl gleich in Róznowice.