Putins Briefkasten

Acht Recherchen
219 Seiten, Taschenbuch
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ISBN 9783518463246
Erscheinungsdatum 13.02.2012
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
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HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

Eines Morgens, in einer ihm »selber nicht ganz klaren Anwandlung«, fährt Marcel Beyer an den Stadtrand von Dresden, um dort einen Briefkasten noch einmal zu sehen, nicht irgendeinen, sondern den Wladimir Putins, der in den achtziger Jahren hier lebte. Er findet ihn nicht mehr vor. Aber was Beyer auf seiner Spurensuche wahrnimmt und aufschreibt, entwickelt sich unterderhand zu einem Kurzporträt Putins, das erhellender ist als jede dickleibige politische Biographie. Was immer Beyer hier in seinen Erzählungen und Skizzen in den Blick nimmt - seien es Blumen oberhalb des Genfer Sees, eine von Rimbaud aufgegebene Kleinanzeige, ein einäugiger Löwe im Dresdner Zoo, von Dostojewskij zum Brüllen gebracht, ein kleinformatiges Gemälde von Gerhard Richter oder Lessings Ofenschirm in Wolfenbüttel -, stets entzünden sich an konkreten Phänomenen seine Überlegungen zu Sprache, Kultur und politischer Geographie.

»Putins Briefkasten«, Marcel Beyers Sammlung seiner unveröffentlichten Erzählungen und Denkbilder, ist ein Buch über Wahrnehmung, Stil, über das Hören und Schreiben. Und wir werden, während wir diese Abfolge einzelner Momente und Bewegungen staunend lesen, so ganz nebenbei zu blitzartigen, überraschenden Einsichten geführt.

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ISBN 9783518463246
Erscheinungsdatum 13.02.2012
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FALTER-Rezension

Den Löwen so lange fixieren, bis er brüllt

Claus Philipp in FALTER 11/2012 vom 16.03.2012 (S. 23)

Marcel Beyer sucht im Osten nach Wladimir Putins altem Postbriefkasten – und flaniert noch weiter

Der Autor und Schauspieler Hanns Zischler hat unter dem Titel "I Wouldn't Start from Here" eine denkwürdige Sorte von Orientierungshilfen essayistisch und gebührend lose in Verbindung gebracht – leicht erratische Zeichnungen, die Ortsfremden zeigen sollen, wie sie am schnellsten dorthin kommen, wo sie hinwollen – hier die Straße lang, dann links und dann 200 Meter weiter noch einmal, und hinter dem Häuserblock noch einmal zwei, drei Minuten gerade aus.
Daran mag man denken, wenn man in Marcel Beyers jüngstem Buch "Putins Briefkasten" immer wieder mit einem "Taumel" konfrontiert wird, der den Dichter erfasst, "wenn ich meinen angestammten Ort verlasse und einer Himmelsrichtung folge: Nach Osten". Das klingt im ersten Moment unkonkret. Aber wie in Zischlers Wegweise-Doodles und in allen großen kleinen Flaneurstexten ist dieser "Taumel des Erwachsenen" ein zwar schwankendes, aber letztlich doch solides Fundament für Wahrnehmungen.

Wenn man mit Beyer aufbricht, dann präsentieren sich fremde Stadtlandschaften plötzlich mit einem Detailreichtum, aus dem der Erzähler permanent ureigenste Interessen und (Lektüre-)Obsessionen herauskondensiert. Anmerkungen zu Typografien und Schriftbildern an Hauswänden gehen unvermittelt über in Anmerkungen zu einem Reisebericht von Joseph Conrad oder Versuchen, der eigenen Schreibhaltung auf den Grund zu
gehen: "Ich arbeite vom Rand her,
auch ganz konkret, beim Satzbau, wenn ich etwa statt mit dem Subjekt mit einem Farbwort beginne, um zu erkunden, wie sich der Satz von dort auf ein ­Subjekt hinlenken lässt. Beim Lesen zieht mich das Abgelegene
an oder, wie es mitunter böswillig heißt, das Abseitige. (...) Auch von draußen stößt man in das Herz der Dinge vor."
"I wouldn't start from here": Der Schriftsteller und Flaneur setzt an mit einer wortwörtlich unhaltbaren Bewegung, aber was er in den Blick und in Sprache fasst – selbst wenn es nicht mehr da ist wie ein alter Briefkasten am Stadtrand von Dresden –, das wirft allemal mehr an Anschaulichkeit ab als die gegenwärtigen Medienbilder des den Massen vor Freude zuweinenden Wladimir Putin.
In der Titelgeschichte macht sich Beyer auf in die Radeberger Straße 101, wo der KGB-Agent Putin Mitte der 1980er-Jahre ­lebte: "Ein Mann, dessen Leben so wenig anekdotisches Material bereithält, dass seine Biografen es als mitteilenswert erachten, Mitgliedern eines hiesigen Anglervereins sei der damals neu eingetretene Mann ausschließlich wegen seiner unerträglichen Pedanterie aufgefallen."

Hier biegt der Erzähler wieder ab, einerseits real, in einen zoologischen Garten, andererseits aber auch in der Erinnerung: Er imaginiert Dostojewski, der mit seiner Frau 1867 vor einem Raubtiergehege steht und einen Löwen so lange mit seinem starren Blick fixiert, bis dieser zu brüllen beginnt. Beyer fragt sich mit Hans Blumenberg, ob diese Geschichte nicht ein "Lob der russischen Sprache" sei, "die sich noch dort als mächtig erweist, wo sie gar nicht gesprochen wird". Was ihn wieder zu Putin führt: wie der im Wendejahr 1989 mit Geheimdienstkollegen hastig Aktenberge vernichtete. Wie er gleichzeitig löwenhaft meinte, "für ihn sei es durchaus in Ordnung gewesen, dabei zuzusehen, wie die Deutschen ihren Geheimdienst in Stücke rissen".
Auf den knapp 13 Seiten über "Putins Briefkasten" finden sich mehr erhellende Anmerkungen über politische Strategie als in einer ganzen Woche Wahlberichterstattung aus Russland. Der Flaneur behelligt uns aber nicht weiter mit einer Moral oder einer Schlussfolgerung. Er zieht weiter, sammelt, verfasst Texte wie diese fürs deutsche Feuilleton oder diverse Randerscheinungen. Daraus entsteht irgendwann ein kleines Buch. Zuerst ist man irritiert, dass Suhrkamp so etwas pronto in seiner Taschenbuchreihe versteckt, aber letztlich ist es nur angemessen und konsequent. Wer sucht, der findet: ein kleines Meisterwerk.

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