

Bestialische Helden
Sigrid Löffler in FALTER 4/2015 vom 21.01.2015 (S. 39)
Knallhart, wortkarg, lapidar: US-Veteran Phil Klay erzählt Geschichten aus dem Irak-Krieg
Was genau haben die US-Streitkräfte eigentlich im Irak-Krieg gemacht? Tagaus, tagein? Neun Jahre lang? Von der Invasion 2003 bis zum Abzug im Jahr 2012?
Es gibt wichtige Romane über den Irak-Krieg von deutscher und irakischer Seite, etwa von Thomas Lehr, Sherko Fatah oder Najem Wali, nicht aber aus amerikanischer Sicht. Das hat sich jetzt schlagartig geändert, seit der ehemalige US-Marine Phil Klay seine Sammlung von Kurzgeschichten über den Irak-Krieg vorgelegt hat. Die US-Kritik feiert den Band "Redeployment" als eine der bezwingendsten Darstellungen des Irak-Kriegs. Phil Klay wurde dafür sofort mit dem National Book Award 2014 ausgezeichnet. Zu Recht.
Phil Klay ist Kriegsveteran. Er weiß, wovon er spricht. Der heute 31-Jährige diente 2007 elf Monate lang im US Marine Corps im schlimmsten Kriegseinsatz, nämlich in der irakischen Provinz al-Anbar, in der die beiden berüchtigten und schwer umkämpften Dschihadisten-Hochburgen Falludscha und Ramadi liegen, die heute in der Hand der IS-Terrormilizen sind. In den zwölf Storys, die nun auf Deutsch unter dem Titel "Wir erschossen auch Hunde" erschienen sind, erzählt Klay vom Alltag im Irak-Krieg und von dessen moralischen Nachwirkungen.
Keine einzige Geschichte ist autobiografisch, doch jede beruht auf Klays eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Für jede Geschichte wählt er einen anderen Ich-Erzähler und damit auch einen anderen Blickwinkel auf den Krieg. Seine Perspektivfiguren sind Marines im Kampfeinsatz, Mitarbeiter in Wiederaufbauteams, Militärseelsorger oder Veteranen, die nach ihrer Rückkehr in die USA mit ihrem Kriegstrauma und dem Leben als Zivilisten fertig zu werden suchen.
Die Storys sind knallhart, wortkarg, lapidar und nüchtern erzählt, ihr Pathos liegt im Understatement; Ingrimm, Bitterkeit und Trauer über so viel vergeudetes Leben, verschwendete Ressourcen und sinnlos zerstörte Städte, Anlagen und Strukturen sind dennoch immer spürbar und werden lesbar als indirekte Kritik an einer US-Regierung, die diesen Krieg willkürlich vom Zaun gebrochen hat.
Es sind Geschichten über Heldenmut und Mordlust, Todesangst und Verzweiflung, wilde Aggression und Machogehabe, Männerfreundschaft, Selbstlosigkeit, Wut, Zynismus und Hoffnungslosigkeit angesichts eines Krieges, dessen Sinn sich den schwer bewaffneten jungen Amerikanern nicht erschließt: Sie finden sich in einem Land wieder, das sie nicht verstehen, und unter Menschen, die ihnen zutiefst fremd bleiben und deren Konflikte sie nichts angehen.
Dieser asymmetrische Krieg mit einem unsichtbaren und ungreifbaren Gegner, der sich in zivilen Wohngebieten verbirgt und aus dem Hinterhalt mit Straßenminen, Sprengfallen, Heckenschützen und Selbstmordattentätern operiert, fördert das Beste und das Schlimmste in den US-Marines zutage, Heldentum ebenso wie Bestialität.
Phil Klay erzählt etwa von einem Sergeant, der erschossen wird, während er verletzte Marines zu bergen versucht, aber auch von einem völlig kaputten anderen Sergeant, der seine Männer mit selbstmörderischen Befehlen in den Tod schickt, nur um auf der Feindkontakttafel der Kompanie den Spitzenplatz zu behalten.
Aus amerikanischer Sicht ist der Irak-Krieg eine komplexe und hochtechnisierte industrielle Kriegsmaschinerie mit einem ausgeklügelten Regelwerk, das sich im chaotischen Kampfalltag allerdings rasch als grotesk realitätsfremde Ausgeburt pedantischer Bürokratenhirne erweist, als technisch durchorganisierter Wahnsinn.
Mit grimmigem Sarkasmus beschreibt Klay etwa die surrealen Bemühungen ziviler "reconstruction teams", der irakischen Bevölkerung beim Wiederaufbau ihrer Infrastruktur und ihrer Industrien zu helfen, die die Amerikaner vorher selbst systematisch zerschlagen haben.
Nicht um dringend benötigte Projekte wie Wasserwerke oder Krankenhäuser, die auch Frauen behandeln, kümmern sich die Wiederaufbauteams. Stattdessen sollen irakische Kriegswitwen mit Bienenstöcken ausgestattet und im Wüstenland zu Imkerinnen ausgebildet werden. Und der "Matratzenkönig von Nord-Kansas" schickt Baseballtrikots und Schläger, damit irakische Knaben anhand der Baseballregeln Fairplay und Demokratie erlernen.
Solche absurden Existenzgründerprogramme sind aber ohnehin zum Scheitern verurteilt, weil die amerikanischen Fördergelder meist in den Taschen korrupter Scheichs verschwinden.
Die ständige Todesangst bei den Patrouillengängen und Hausdurchsuchungen immer im Visier von Scharfschützen, brutalisieren die Marines und zerstört sie moralisch.
Bald machen sie keinen Unterschied mehr zwischen aufständischen Kombattanten und Zivilisten, die nur das Unglück haben, dass ihr Wohngebiet sich in eine Kampfzone verwandelt hat. Aus Marines werden blindwütige Killer, die Frauen und kleine Buben erschießen – und eben auch Hunde.
Und das Schlimmste: Daheim interessiert sich niemand für den Irak-Krieg und dessen Veteranen. Dieser Krieg macht niemandem Ehre. Amerika will ihn so rasch wie möglich vergessen. Die tiefe Sinnlosigkeit des Ganzen gipfelt in dem nihilistischen Satz: "Wir führten Krieg im Irak, weil wir im Irak Krieg führten."