

Die Äpfel und Birnen der Anerkennung
Klaus Nüchtern in FALTER 41/2018 vom 12.10.2018 (S. 43)
Philosophie: Axel Honneth liefert ein eher akademisches Close Reading zum Anerkennungsbegriff
Niemand wird bestreiten, dass die Frage der Anerkennung ein aktuelles und relevantes Thema ist. Sobald man aber näher zu bestimmen sucht, was damit überhaupt gemeint sein soll, wird man schnell erkennen, wie vielschichtig und facettenreich dieser Begriff ist. Der vielstrapazierte Begriff der „Wertschätzung“ etwa beschränkt sich ja nicht auf die Zuerkennung eines Status im juridischen Sinne, sondern meldet Anspruch darauf an, als besonders wert- oder verdienstvolles Individuum wahrgenommen zu werden.
Der deutsche Sozialphilosoph Axel Honneth ist der Anerkennungsauskenner schlechthin. Mit „Kampf um Anerkennung“ habilitierte er sich 1990 bei Jürgen Habermas, und das Thema hat ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Nun legt er ein Buch mit dem schlichten Titel „Anerkennung“ vor. Im Untertitel ist es als „Eine europäische Ideengeschichte“ ausgewiesen, wobei der Kontinent auf Frankreich, Großbritannien und Deutschland zusammenschrumpft, was Honneth damit begründet, dass die relevanten politisch-philosophischen Diskurse fast alle in den jeweiligen Sprachen erschienen seien.
Ausgangspunkt und Leitlinie der Studie ist die These, dass die Konzepte der Anerkennung aus sozialhistorischen Gründen in den drei Ländern von Beginn an unterschiedlich akzentuiert sind und das auch bis ins 20. Jahrhundert so bleibt. In der französischen Ideengeschichte war „Anerkennung“ etwa von Anfang an stark negativ besetzt. Bereits beim Herzog La Rochefoucauld (1613–1680), der den Moralisten zugerechnet wird, fände sich jene „negative Anthropologie“ vorgebildet, die sich ein Jahrhundert später beim Genfer Kollegen Rousseau in der Unterscheidung zwischen „amour de soi“ und „amour propre“ manifestiert. Übersetzt bedeutet beides so viel wie „Selbstliebe“, allerdings schließt nur Letzteres das Bedürfnis mit ein, die eigenen Verdienste mögen von den anderen anerkannt und bestätigt werden. La Rochefoucauld und in der Folge Rousseau gehen davon aus, dass der Mensch aus Eitelkeit und Geltungsdrang prinzipiell besser dastehen möchte, als er ist. Den sozialgeschichtlichen Hintergrund dafür bildet, so Honneth, das Erodieren der feudalen Ständeordnung, was im zentralistischen Frankreich des 17. Jahrhunderts zu einem Wettstreit um die Gunst des königlichen Hofes führte, an dem sich nun „nicht mehr nur die Mitglieder der weitgehend machtlos gewordenen Aristokratie (beteiligten), sondern auch die der aufsteigenden Bourgeoisie“.
Das Angewiesensein auf die Bestätigung durch andere aber entfacht bei den Anerkennungsdenkern der französischen Linie, zu denen Honneth auch noch Sartre, Althusser und Judith Butler zählt, die Furcht vor einer drohenden Selbstentfremdung. Denn wenn ich mich, um vor den Augen der anderen zu bestehen, entsprechend verhalte und inszeniere, werde ich eines Tages selbst nicht mehr wissen, wer ich „wirklich“ bin. Diese Sichtweise ist der schottischen Aufklärung – Honneth ruft David Hume und Adam Smith als Kronzeugen auf – vollkommen fremd, der Begriff der „sympathy“ im Gegensatz zu dem der „amour propre“ ausschließlich positiv besetzt. Im Gegensatz zu Rousseau stellt für Hume der als unparteiische Instanz internalisierte Beobachter keine Gefahr, sondern die Voraussetzung allen moralischen Handels dar: „Anerkennung heißt hier (…), einem anderen Subjekt den normativen Status einzuräumen, uns durch Billigung oder Tadel über die moralische Angemessenheit unserer eigenen Verhaltensweisen zu belehren“. Honneth deutet diese Haltung – nicht zuletzt bei dem als Freier-Markt-Apologeten missverstandenen Adam Smith! – als Widerstand gegen eine durch den Kapitalismus beförderte besitzegoistische Überformung der Gesellschaft.
Im deutschen Idealismus sorgt Immanuel Kant mit seinem Kategorischen Imperativ für eine transzendentale Wende, indem er die Anerkennung des anderen zur Voraussetzung für die Selbstbestimmung des Subjekts als intelligibles Wesen macht. Fichte wiederum sieht die wechselseitige Anerkennung über einen Sprechakt („Aufforderung“) gestiftet und nimmt auf diese Weise die Diskursethik des 20. Jahrhunderts (Karl-Otto Apel, Habermas) vorweg. Und Hegel schließlich sorgt durch eine Historisierung und Institutionalisierung des Anerkennungsbegriffs dafür, dass das abstrakte Subjekt auch Fleisch auf die abstrakten Knochen gepackt bekommt.
So weit, so gut. Wenn Honneth nach diesem Vergleich von Äpfeln mit Birnen abschließend über eine mögliche Synthese nachdenkt und zu dem Schluss kommt, dass Hegel besser etwas mehr Hume in seinen Tank getan hätte, ist das zwar nachvollziehbar, man beginnt sich aber auch die Frage zu stellen, was das mit den Anerkennungsdebatten der Gegenwart zu tun hat. Abgesehen davon wäre es selbst aus einer rein ideengeschichtlichen Perspektive interessant gewesen, zu erfahren, welche Wege die Höhenkammdiskurse der Philosophie genommen haben, bis sie bewohntes Gebiet erreicht und sich institutionell verfestigt haben, ins Bewusstsein der Gesellschaft vorgedrungen sind.
Das Buch beruht auf Honneths Vorlesungen von 2017 an der University of Cambridge. Das merkt man ihm auch an. All die Rückblicke und Rekapitulationen, Vorausschauen und Vorhabensbekundungen mögen im Hörsaal hilfreich sein, in gedruckter Form entfaltet der Schotter der Selbstreflexion, den der Denkfluss mit sich schiebt, eher bremsende Wirkung bei der Lektüre dieses philosophiehistorischen Close Reading, das man dennoch mit Gewinn liest.