Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe IV: Das Spätwerk

Band 1: Zettel's Traum
1536 Seiten, Mehrteiliges Produkt
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ISBN 9783518803004
Erscheinungsdatum 11.10.2010
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
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Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

Vor 40 Jahren veröffentlichte Arno Schmidt sein wichtigstes Werk, Zettel's Traum: 1334 DIN-A-3-Seiten stark, über zehn Kilogramm schwer und als Faksimile vervielfältigt. Schmidts eigene Befürchtung – »Es wird sich nicht mehr setzen lassen« – hatte sich bewahrheitet. Vor dem komplexen Layout des dreispaltigen Romans mit seinen zahlreichen Randglossen kapitulierten Setzerei und Verlag.

Nun endlich erscheint Zettel's Traum, das Werk, das Arno Schmidt auf einen Schlag berühmt machte, als gesetztes Buch. Jahrelange Arbeit von Setzern, Editoren und Korrektoren war nötig, um einen lesefreundlichen Schriftsatz herzustellen, ohne den Charakter des »Überbuchs« (Arno Schmidt) zu verändern und seine Eigenheiten zu glätten.

Mit dieser Ausgabe gilt es, einen Riesenroman neu zu entdecken: Er erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem alternden Schriftsteller Daniel Pagenstecher und der sechzehnjährigen Franziska Jacobi und von Leben und Werk Edgar Allan Poes. Er entwirft eine eigene Literaturtheorie in der Nachfolge Sigmund Freuds und entwickelt wie nebenbei eine neue Rechtschreibung, die zum Beispiel die wahren Eigenschaften eines »Pleas'-see=Rocks« enthüllt. In Zettels' Traum finden Arno Schmidts Bemühungen um eine moderne Prosaform und eine angemessene sprachliche Abbildung des menschlichen Bewusstseins ihren vorläufigen Höhepunkt.

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FALTER-Rezension

Ich glaub, ich steh im Wald

Sebastian Fasthuber in FALTER 50/2010 vom 17.12.2010 (S. 37)

Arno Schmidts "Zettel's Traum" ist nach 40 Jahren in der definitiven Form erschienen

Die Möglichkeit, dass ich ein Buch über Edgar Poe schreibe", berichtete Arno Schmidt (1914–1979) seinem Verleger Ernst Krawehl im Mai 1964 kurz und knapp. "Das Material sprintet förmlich auf mich zu."
Ein schönes Bild, das harmlos anmutet, wenn man weiß, was aus dieser Idee einige Jahre später geworden ist. Mit seinem Poe-Buch "Zettel's Traum" hat Schmidt in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre in einem schreiberischen Dauersprint das voluminöseste und merkwürdigste literarische Werk geschrieben, das in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entstand.
Nach 40 Jahren Wartezeit konnte es diesen Herbst endlich in der Form erscheinen, in der der Autor es sich gewünscht hatte. Als die erste Ausgabe 1970 veröffentlicht wurde, war die Setzkunst noch nicht so weit, mit dem Text, der über drei miteinander korrespondierende Spalten ("TextSträhnen") läuft, vernünftig umzugehen.
Schmidts Typoskript wurde damals samt handschriftlicher Änderungen als Faksimile im Format DIN A3 gedruckt. Dem Schriftsetzer Friedrich Forssman sowie den Redakteuren Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach ist es zu danken, dass das deutsche Pendant zu "Finnegans Wake" jetzt in authentischer, so gut wie eben
möglich lesbarer Form zugänglich ist.

Neben Edgar Allan Poe, der Schmidt sein ­Leben lang beschäftigte, war denn auch James Joyce eine maßgebliche Inspirationsquelle. Schmidt hatte die Arbeiten des Iren in den 50ern für sich entdeckt und in seiner selbstgewählten Bargfelder Isolation den geheimen Plan gefasst, das schwer ­zugängliche Joyce'sche Spätwerk an Wortgewalt noch zu übertrumpfen.
Als dritter Mann und geistiger Vater im Bunde gesellte sich noch Sigmund Freud hinzu. Hier begab sich der Autor auf dünnes Eis. Er übertrug Freuds tiefenpsychologische Annahmen sehr frei auf das Reich der Literatur und bezog diese auf die Wortwahl der Dichter.
Für Schmidt ließ sich an den größten Dichtern studieren, wie das Unbewusste sich ins Werk einschreibt. Nicht das tatsächlich Geschriebene zähle in erster Linie, sondern das darunter Verborgene, das sich in der Lautstruktur versteckt hielte und erst bei entsprechender Durchleuchtung durch den Leser äußere. Dem Ganzen gab er mit seiner "Etym"-Theorie auch einen wissenschaftlich klingenden Namen.
So weit, so gut. Leider lief der Pfad, den Schmidt als Poe-Analytiker verfolgte, schnurgerade in eine Richtung. Es ging ihm eigentlich nur um das Triebhaft-Sexuelle. Da wird aus dem Ganzen ("whole") flugs ein Loch ("hole"), aus "twilight" zuerst "twilit" und dann "toilit". Und so weiter. Mitunter muss man schmunzeln oder auch mal lachen; über einen derart breiten Raum ausgewälzt aber wirkt sich die ewiggleiche, pardon, Stoßrichtung des Texts auf die Lektüre bisweilen ermüdend aus.
Dabei galt Arno Schmidt noch in den 50ern als ein nicht nur ästhetisch fortschrittlicher Autor, dem in prüder Nachkriegszeit für einige Stellen im Roman "Seelandschaft mit Pocahontas" sogar eine Klage wegen Pornografie angehängt wurde.
Während man sich zehn Jahre danach ringsum sexuell befreite, schrieb Schmidt "Zettel's Traum" nieder und verwandelte sich in einen Griesgram, der die ­gesellschaftlichen Umbrüche nur mehr am Rande via TV und die Jungen als langhaarige Wilde wahrnahm. Seine Fixierung auf sexuell konnotierte Subtexte mutet
vor diesem Hintergrund wie der Spleen
eines schrulligen älteren Herrn an.
Natürlich, so wenden seine Jünger aus der treuen Dechiffriergemeinde ein, die mit dem "Bargfelder Boten" seit 40 Jahren ein eigenes Periodikum herausgeben, natürlich ist es nicht Arno Schmidt direkt, der aus dem Buch spricht und die Etyms erforscht. Der Erzähler von "Zettel's Traum" trägt jedoch viele Züge des Autors.
Daniel "Dän" Pagenstecher lebt als Übersetzer und Privatgelehrter im fiktiven Kaff Ödingen in der Lüneburger Heide. Er beherrscht das Buch mit seinen oftmals dozierenden Ausführungen. Ihm zur Seite gestellt hat Schmidt lediglich das Übersetzerehepaar Paul und Wilma Jacobi sowie deren Tochter Franziska. Sie besuchen Dän, um sich über Poe auszutauschen.
Bei aller Gelehrtheit, und das trägt zum Lesevergnügen bei, zeigen die Figuren höchst menschliche Schwächen. Dän kämpft mit den hartnäckigen Avancen der minderjährigen Franziska, die ebenso mit der dominanten Wilma zu schaffen hat wie deren Mann, der sich in den Alkohol flüchtet. Nach 24 Stunden – der Vergleich mit "Ulysses" liegt auf der Hand – bleibt Pagenstecher wieder allein zurück. Er erklärt sich noch bereit, Franziska bei ihrer Ausbildung finanziell zu unterstützen – unter der Bedingung, dass sie ihn nie wieder aufsucht. Man muss ihm zugute halten, leicht fällt es ihm nicht. ",Hau ab Kerl ! : in Deine WahnWeltn !', ruft er sich gegen Ende voller Selbstekel zu.
1968 war das Buch fertig. Schmidt hatte die Kommunikation mit der Außenwelt weitgehend aufgegeben. Seine Frau Alice schrieb dem Verleger über das Verhalten ihres Mannes: "Keine Spaziergänge mehr – kein Sitzen im Garten – kein Sonntag – kaum die Möglichkeit eines Gespräches: Auf Fragen nur abwesend nervöse Antworten: bestenfalls. – In ständigem Gemurmel, wortprobierend, bewegten sich die Lippen. Völlige Vernachlässigung der eigenen Gesundheit. Völlige Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht ZT betraf."
Vor diesem Hintergrund wäre es ein Leichtes, den Schmidt der späteren Jahre mit seinen Zettelkästen und ewigen Anspielungen als pathologischen Fall anzusehen. Als einen großen Autor, der sich in einen Wahn verrannt hat. So manches spricht auch dafür, dass er über seinen Versuchen, Joyce und Freud zu übertreffen, ein bisschen gaga geworden ist.
Ja, und? Ein durchschnittlich arbeitendes Hirn mit Anspruch auf Wochenende und Waldspaziergänge bringt nun eben keine Werke wie "Zettel's Traum" hervor. Natürlich darf man sich den späten Schmidt als einen ordentlichen Kauz vorstellen, der sich in ein Selbstgespräch mit der Literaturgeschichte zurückgezogen hat.
Die Qualitäten von "Zettel's Traum" und den danach noch folgenden Büchern schmälert das keineswegs. Es macht sie zu einem Gutteil sogar aus. Hier hat jemand bedingungslos gebrannt, bis hin zur schleichenden Selbstzerstörung. Bei allen Einwänden, die man gegen gewisse Tendenzen in Schmidts Spätwerk ins Feld führen kann, und trotz des Unbehagens, das einen beim Lesen zeitweilig beschleicht, handelt es sich um ein in der Form einzigartiges Werk eines brillanten Sprachkünstlers.
Das Buch, wie es nun in einem Schuber mit vier Bänden im Format 34 mal 26 Zentimeter vorliegt, wiegt gut sieben Kilogramm. Zum Vergleich, und um ein Gefühl dafür zu bekommen, worauf man sich einlässt: "Infinite Jest" ("Unendlicher Spaß") von David Foster Wallace, dessen Titel sich übrigens wie "Zettel's Traum" von Shakespeare herleitet, brachte es auf knapp 1,5 Kilo. Schmidt-Einsteigern sei deshalb dringend davon abgeraten, mit "Zettel's Traum" anzufangen. Zum Einlesen eignen sich die Romane "Seelandschaft mit Pocahontas" und "Kaff auch Mare Crisium" sehr gut, ebenso seine immens klugen, in verschiedenen Ausgaben erhältlichen Aufsätze und Radiofeatures zu anderen Autoren.

Wer es danach wirklich wissen will, sollte sich ein Jahr Zeit nehmen und diszipliniert täglich zwei, drei Stunden für das Buch reservieren. Bevor man ganz aussteigt, könnte man es noch mit kursorischer Lektüre versuchen. Mal eine Seite, mal zwei – vielleicht ist es ja so gerade recht: "Wörter+Bilder, die wie im Traum zusamm,komm'; eine Weyla mit-einander tandsn: ! – (+ dänn=wieder auseinander laufn: ...)".

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