

Gefühlsecht und wohlerzogen
Klaus Nüchtern in FALTER 44/2024 vom 01.11.2024 (S. 29)
Gleich mit ihren ersten beiden Romanen avancierte die in der nordwestlichen Provinz Irlands aufgewachsene Sally Rooney (Jg. 1991) zur literarischen Klassensprecherin der sogenannten Millennials. "Conversations with Friends" (2017) und "Normal People"(2018) schienen das Lebensgefühl und Liebesleben der Twentysomethings auf den Punkt zu bringen und wurden millionenfach verkauft.
"Intermezzo" nun, zeitgleich im englischen Original und in deutscher Übersetzung erschienen, bewegt sich im selben Fahrwasser wie seine Vorläufer und wurde von Kritik und Publikum ebenso wie diese konsultiert: als Auskunftsbüro über die Gefühlslage einer Generation, die dem Klischee zufolge als emotional instabil und weltanschaulich wackelig gilt.
Das Erleben und Bequatschen von Beziehungen steht einmal mehr im Mittelpunkt von Rooneys angeblich bestem (Die Zeit, SZ), in jedem Fall aber längstem Roman. Das Personal ist mit der Autorin gealtert, zumindest mehrheitlich: Drei der fünf Protagonisten sind über dreißig, zwei von ihnen allerdings erst Anfang zwanzig, und dieser Altersunterschied ist es auch, der das bisschen Handlung, die auf knapp 500 Seiten ausgebreitet wird, äh, vorantreibt. Denn dass Ivan, 22, sich mit der 36-jährigen Margaret etwas anfängt, findet nicht bloß dessen frisch verwitwete Mutter, sondern vor allem dessen um zehn Jahre älterer Bruder Peter bedenklich. Dieser unterhält seinerseits eine Affäre mit der ums Nämliche jüngeren Naomi, ist zugleich aber noch seiner Ex, Sylvia, verfallen, die - nach einem schweren Unfall operiert - zu schmerzfreiem Sex nicht mehr fähig ist und Peter deswegen verlassen hat; was gelegentliches Rumfummeln mit Happy End aber keineswegs ausschließt.
Seit Altem Testament, Ägypten und Griechenland wird das ungleiche, verfeindete Brüderpaar als Stoff für Mythen, Epen und Romane gern genommen.
Im vorliegenden Fall geht der große, als arrivierter Anwalt tätige Bruder Peter dem jungen, nerdigen und ein bissl autistischen Schachgenie Ivan gehörig auf den Wecker; paternalistische Herablassung kollidiert mit spätpubertärem Aufbegehren; Versuche zur Versöhnung und Verständigung verfehlen ihr Ziel auf peinsame Weise.
Dabei ist keine der in diesem Pentagramm amouröser Querelen verstrickten Personen wirklich böse oder auch nur gemein, eher im Gegenteil. Außer für Schach und das Wohlergehen von ums Herrchen gekommenen Hunden interessieren sich die von Schuldgefühlen und Selbsthass Angenagten durchaus nicht nur für die eigenen Gefühle, sondern schon auch sehr für jene des geliebten und begehrten Visavis.
Der Sex, der in zahlreichen, um kein kitschiges Klischee verlegenen Szenen performt wird, ist eigentlich immer super; das bisschen vorschnelle Ejakulation wird durch das ehrliche emotionale Engagement der Beteiligten locker aufgewogen: "Still liebten sie sich, und ihre Intimität fühlte sich vollkommen und perfekt an, ihr Wissen übereinander tiefer als alle Worte." Kaum wo in der Literatur der Gegenwart wird so wortreich und wohlerzogen gevögelt wie bei Sally Rooney: Immer "Darf ich?" und "Gut so?" fragen; immer "bitte","danke","gerne" sagen.
Ebenso handlungsarm wie humorbefreit, ist "Intermezzo" umso reicher an detailpusseligen Beschreibungen, die den ohnedies schon viskosen Erzählfluss auf Endmoränentempo runterbremsen. Ausführlich wird geduscht, Geschirr gespült und aufs Handy geblickt: Das Wort "Display" kommt gezählte 45 Mal vor. Der zivilisationskritische Befund, dass die Generation Y zu viel Zeit am Handy verbringt, wird hier bestätigt.
Ansonsten braucht man sich um diese zumindest spirituell keine Sorgen zu machen. Menschen wie Peter, Ivan, Naomi, Margaret und Sylvia kommen ziemlich sicher in den Himmel.