

Über einen Kämpfer, der um sein Lebenswerk bangt
Oliver Hochadel in FALTER 35/2024 vom 30.08.2024 (S. 32)
Was er von den Beatles halte, wollte Peter Handke 1967 auf einer Party von Jürgen Habermas wissen. Kenne er nicht. Ihm deshalb das Etikett weltfremd aufzukleben, würde jedoch in die Irre führen, wie Philipp Felsch in seinem so leichtfüßigen wie einfühlsamen biografischen Essay "Der Philosoph" zeigt. Oft wird Habermas in zwei Personen unterteilt: einerseits der unglaublich belesene und produktive Theoretiker des kommunikativen Handelns, der einen schwer verdaulichen Buchziegel nach dem anderen verfasst; andererseits der engagierte Intellektuelle, der mit seinen schneidend scharfen publizistischen Interventionen die öffentlichen Debatten in Deutschland seit den 1960er-Jahren prägt.
Felsch zeichnet Habermas' intellektuellen Weg vom Assistenten Theodor Adornos in Frankfurt bis zu seinen aktuellen Stellungnahmen zum Ukraine-Krieg nach. Und kann zeigen, was die beiden Habermas verbindet. Der Philosoph sah seine Lebensaufgabe darin, die junge und fragile bundesdeutsche Demokratie nach dem Zivilisationsbruch des Dritten Reiches zu festigen. In der Politik müssten wir lernen zu "deliberieren", also gegensätzliche Positionen in einem kollektiven und nie abschließbaren Lernprozess gemeinsam zu verhandeln und der Vernunft zur Herrschaft zu verhelfen. Habermas, der postnationale Verfassungspatriot, greift immer dann zur spitzen Feder, wenn er diese Errungenschaften bedroht sieht und sich identitäre Ideologien breitmachen.
Felsch, auf du und du mit den philosophischen Strömungen der Gegenwart, ist ein versierter Erklärer. Er kann komplexe Debatten mit ein, zwei Sätzen auf den Punkt bringen. Zweimal hat er Habermas in seinem Bungalow in Starnberg besucht und schafft es sogar, uns den jeglicher Form der Personalisierung abholden Meisterdenker nahe zu bringen. Im Juni wurde Habermas 95 Jahre alt. Es schmerzt zu erfahren, dass er sein Lebenswerk, die mühsame Einübung in die Demokratie, aufs Äußerste bedroht sieht.