

„Kinderkriegen ist das neue Mutig“
Sara Schausberger in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 10)
Während in Vorarlberg gerade eine hitzige Debatte darüber läuft, wo künftig Abtreibungen stattfinden können, beschäftigen sich gleich zwei österreichische Debüts mit dem Thema. Anna Katharina Laggner stellt die eigene Zwillingsschwangerschaft ins Zentrum von „Fremdlinge“, und in Anna Neatas Roman „Packerl“ zieht sich die zu frühe Schwangerschaft wie ein transgenerationales Erbe durch das Leben der Protagonistinnen.
„Kinderkriegen ist das neue Mutig“, schreibt Laggner, die in ihren Protokollen vom Schock berichtet, Zwillinge in sich zu tragen. Die österreichische Autorin und Radiomacherin hat bereits einen Sohn im Volksschulalter, als sie überraschend noch einmal schwanger wird. In genauen Aufzeichnungen, die sie in Trimester und Schwangerschaftswochen unterteilt, berichtet sie sehr persönlich von ihren Ängsten und Nöten. „Über ein Kind wäre ich unglücklich. Über zwei Kinder bin ich todunglücklich“, zitiert Laggner, 1977 in Graz geboren, aus einem Gespräch mit ihrem Lebensgefährten Alex. Wohltuend ehrlich erzählt sie von ihren Zweifeln und den Gesprächen in der Abtreibungsklinik, wo die Psychotherapeutin meint, es wäre eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. „Wie sollen wir uns da für das Bessere entscheiden? Ich verstehe die Phrase, finde sie aber unpassend. Bei Pest und Cholera weiß ich, was ich bekomme. Bei Kindern nicht.“
Der Tonfall bleibt selbst in den verzweifeltsten Momenten stets trocken und humorvoll; etwa, wenn sich Laggner darüber wundert, dass Schwangerschaft mit SS abgekürzt wird und sich niemand daran stört. Stellenweise nervt es allerdings, dass über alles noch ein weiterer Scherz gerissen werden muss. Es wäre wohltuend, dürfte die Unsicherheit einmal auch ganz unverwitzelt stehenbleiben.
Als die Zwölf-Wochen-Frist vorbei, die Entscheidung für die Zwillinge also gefallen ist, geht es in „Fremdlinge“ vor allem darum, wie der Körper der Schwangeren plötzlich nicht mehr dieser alleine gehört. Zwei Föten befinden sich in Laggners Gebärmutter, „Truppentransporter“ nennt sie deren Freund. Und das Umfeld greift ihr ständig an den Bauch, kommentiert dessen Umfang, stellt unangemessene Fragen.
Laggners kurzweiliges, feministisches Buch endet mit einem Cliffhanger: Die Zwillinge kommen zur Welt. Nur allzu gerne wüsste man, wie das Leben der nun fünfköpfigen Familie weitergeht.
Über die Schwangerschaft hinaus blickt Anna Neatas „Packerl“. Die 1987 in Salzburg geborene Autorin hat sich schon in ihrem preisgekrönten Theaterstück „Oxytocin Baby“ auf originelle Weise mit den Themen Schwanger- und Mutterschaft sowie Abtreibung beschäftigt. In ihrem Debütroman erzählt sie von drei Frauengenerationen: Elli, Alexandra und Eva; Großmutter, Mutter und Tochter. Die Handlung erstreckt sich von 1942 bis 2022 und stellt in einzelnen Episoden immer eine der Protagonistinnen ins Zentrum. Jedem Erzählstrang folgt man gerne.
Alle Frauen der Familie werden früh in ihrem Leben ungewollt schwanger. Tante Ursel muss eine illegale, blutige Abtreibung am Küchentisch über sich ergehen lassen. Elli bringt das Kind des gerade aus Russland traumatisiert heimgekehrten Alexander auf die Welt. Alexandra treibt im Winter 1974, kurz vor Einführung der Fristenlösung, ab. Und Eva ist 17, als ihre Mutter mit ihr zum Gynäkologen fährt, der den Schwangerschaftsabbruch durchführt.
Anna Neata, 1987 geboren in Oberndorf bei Salzburg und Sprachkunst-Absolventin an der Angewandten, bleibt nah dran an ihren Figuren und und macht glaubwürdig greifbar, wie sehr das persönliche Schicksal auch gesellschaftliche Ursachen hat.
Elli war seinerzeit beim BDM (Bund Deutscher Mädchen); die Nazi-Ideologie lässt sie bis zu ihrem Ende nicht ganz los. Ihre linke Tochter Alexandra schaut sich im Frühling 1983 gemeinsam mit ihrer ersten Liebe Hannes die Konfrontation zwischen Bruno Kreisky und Alois Mock im Fernsehen an, und die an Depressionen leidende Eva steht – endlich glücklich – in der Menge am Ballhausplatz, nachdem das Ibiza-Video veröffentlicht wurde.
Die Handlung spielt über weite Strecken in Salzburg, und auch sprachlich sind die Protagonistinnen klar verortet. Den Vornamen geht regelmäßig der Artikel voran, und auch Ausrufe wie „Aua, bist deppert“ oder „Hör mir auf mit dem Schmarren“ lassen an der Herkunft aus Österreich keinen Zweifel. Umso mehr verwundet es, wenn dann von einer „Schreinerlehre“ oder von einem „Splitter“ im Handballen die Rede ist – ein Lapsus, der das Lesevergnügen an diesem ansonsten untadeligen Debüt aber nicht nachhaltig zu trüben vermag.
Geschickt etwa thematisiert Neata die Sprachlosigkeit ihrer Figuren. Die Frauen der Familie eint zwar eine Erfahrung, die sie aber dennoch nicht miteinander teilen können. Manchmal liegen Jahrzehnte zwischen den einzelnen Kapiteln und sie enden mit einem Cliffhanger, der dann nie ganz aufgelöst wird. Das erzeugt eine Spannung, die sich durch den gesamten, recht detailfreudigen Roman hindurchzieht. Von Ellis Angst, dass die Milch für den Grießbrei überkocht, oder Evas Fotomotiven erfährt die Leserin viel. Die Geheimnisse der einzelnen Familienmitglieder aber lassen sich bis zum Schluss oft nur erahnen.
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