

Vom „Revolver“, der immer geladen ist
Felice Gallé in FALTER 12/2024 vom 20.03.2024 (S. 36)
Sie ist preisgekrönte Lifestyle-Bloggerin, Bestsellerautorin und sechsfache Mutter. Die amerikanische Mormonin Gabrielle Blair bezeichnet sich als Demokratin und ist „pro choice“, tritt also für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche ein. Damit distanziert sie sich von sogenannten „Trad(itional) Wives“, die mit Babybildern, Brotrezepten und Bibelzitaten Tiktok-Fame erlangen und mit der Radikalisierung junger Frauen im Dienste der nationalistischen Rechten verbunden werden.
Die Autorin lebt in der Normandie. Die Renovierung ihres Herrenhauses aus dem 16. Jahrhundert dokumentiert sie für ihre zahlreichen Follower in den sozialen Medien, wo sie als „Design Mom“ populär ist. Während ihr erstes Buch eine Stilfibel für das Leben mit Kindern war, geht es diesmal um Grundsätzliches: Sexualität, Verhütung, Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche.
Blair fordert, dass Verhütung Männersache werden muss. Dafür hat sie 28 Argumente für Diskussionen (nicht nur) am Stammtisch gesammelt, darunter „Männer sind fünfzigmal fruchtbarer als Frauen“ und „Spermien leben bis zu fünf Tage“. Jedes Argument untermauert sie mit Fakten und Zahlen und manchmal ebenso drastischen wie schiefen Vergleichen (in denen Hundekot und volle Harnblasen eine Rolle spielen). Ihr direkter Ton dürfte auch Strategie sein. Die Autorin spitzt bewusst zu, und das hat seinen Wert, schließlich geht es ihr um einen radikalen Perspektivenwechsel.
Auch konkrete Forderungen an die Politik schlägt Blair vor. Viele stammen aus dem Katalog der Frauen(gesundheits)bewegung. Allen voran: sexuelle Bildung an Schulen und einfacher Zugang zu kostenfreien Verhütungsmitteln.
Schade, dass sie von den feministischen Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen nicht auch die zeitgemäße Sichtweise übernommen hat, dass die Eizelle der Frau und die Samenzelle des Mannes bei einer Zeugung verschmelzen. So wimmelt es im Buch von aggressiven, ja „gefährlichen“ Samenzellen, die auf eine hilflos abwartende Eizelle losstürmen, um sie zu befruchten.
Die Autorin reproduziert damit Seite für Seite die Stereotypen des aktiv Männlichen und des passiv Weiblichen. In Argument 16, „Männer in die Verantwortung zu nehmen, macht Frauen nicht zu Opfern“, erklärt sie allerdings ausdrücklich, dass sie Frauen nicht als schwach zeigen oder ihre Handlungskompetenz infrage stellen will.
Da Frauen aber schon längst Verantwortung tragen, sei es nun an der Zeit, den Scheinwerfer auf die Männer zu richten. Zumal: „Ihr Revolver hat immer eine Kugel im Lauf.“ 24.208 fruchtbare Tage errechnet Blair für einen Mann nach 80 Jahren Lebenszeit, 480 für eine Frau.
Dazu kommt für die Autorin, dass Männer steuern können, wann und wohin sie „ihr Sperma platzieren“. Als mögliche Orte schlägt sie vor: auf den Bauch oder in die Hand der Partnerin, in ein Taschentuch, eine Socke, eine Zimmerpflanze. „Oder aber sie platzieren ihre Spermien in der Vagina ihrer Sexualpartnerin und setzen sie so dem schwerwiegenden Risiko einer ungewollten Schwangerschaft aus.“
Um das verantwortungsvoll zu vermeiden, priorisiert die Autorin zwei Lösungen: Kondome und Vasektomie, also die Sterilisation von Männern. Beides sei einfach, günstig, verlässlich und von geringeren Nebenwirkungen begleitet als Verhütungsmittel für Frauen. Damit seien sie auch die pragmatische Lösung, um die Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen zu senken.
Die Bereitschaft, diese Kontrazeptiva für Männer anzuwenden und zu unterstützen, ist für Blair der Prüfstein: Geht es den konservativen Männern und reaktionären Politikern und Richtern tatsächlich um weniger Abtreibungen? Oder doch um die Kontrolle von Frauen?