

Stefanie Panzenböck in FALTER 45/2020 vom 06.11.2020 (S. 34)
Sobald die Sonne untergeht, durchfährt mich ein seltsamer Schauer“, notierte der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić. Nicht vor dem Tod fürchte er sich, sondern vor der Nacht, „begleitet von der Schlaflosigkeit und ihren wahnsinnigen Martern“. Über 60 Jahre lang führte der Schriftsteller und Diplomat, der für seine großen Romane wie „Die Brücke über die Drina“ berühmt wurde, Aufzeichnungen über durchwachte Nächte, die von Angst und Atemnot, Erschöpfung und dunklen Gedanken geprägt sind. Bisweilen auch von glücklichen Momenten. Dann schreibt Andrić etwa von „Seligkeit ohne Worte und Erinnerungen“.
Michael Martens, Südosteuropa-Korrespondent der FAZ und Autor der brillanten Andrić-Biografie „Im Brand der Welten“, übersetzte die Miniaturen zur Schlaflosigkeit und eröffnet damit eine neue Perspektive auf den großen europäischen Schriftsteller.