

„Spritzmittel gehören verboten“
Benedikt Narodoslawsky in FALTER 16/2018 vom 20.04.2018 (S. 10)
Der Ökologe Johann Zaller über eines der unterschätztesten Themen in der Gesellschaft
Pestizide sind überall: Man fand sie in der Antarktis, in Flohkrebsen 10.000 Meter unterm Meeresspiegel und in der Nabelschnur von Babys. Am 27. April stimmen die EU-Staaten über ein Verbot der Neonicotinoide ab – eine Pestizidgruppe, die Bienen im großen Stil vernichtet. Österreich wird für das Verbot stimmen, kündigte Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) am Sonntag an.
Boku-Professor Johann Zaller will noch weiter gehen. Er untersuchte die Wirkung anderer legaler Pestizide und beschreibt sie in seinem neuen Buch „Unser täglich Gift“.
Fipronil, Glyphosat und Neonicotinoide
Benedikt Narodoslawsky in FALTER 11/2018 vom 16.03.2018 (S. 41)
Ökologie: Johann Zaller rechnet mit der Pestizidindustrie ab und stößt damit hoffentlich eine Debatte an
Sie heißen HCB, Fipronil, Glyphosat, Neonicotinoide oder noch komplizierter und sie sind mittlerweile überall: auf den Polkappen, in den Tiefen der Weltmeere, in verlassenen Bergseen, Flüssen, Gletschern, Pflanzen, Tieren, Menschen. Man fand Schadstoffe, die seit mehr als drei Jahrzehnten verboten sind, in Flohkrebsen, die 10.000 Meter unterm Meeresspiegel leben. Man fand das Insektizid DDT im Fettgewebe von Pinguinen in der Antarktis.
Man fand 56 Pestizide in handelsüblichen Rosensträußen. Jedes dritte davon gilt als besonders bedenklich, da es Krebs erregen könnte. In der Nabelschnur von Neugeborenen entdeckten US-Forscher mehr als 230 Chemikalien, darunter viele Pestizide. Es sei so gut wie sicher, schreibt Johann Zaller in „Unser täglich Gift“, „dass wir alle, ob in der Landwirtschaft tätig oder nicht, Pestizidrückstände in unserem Körper haben“. Wir haben das Gift gegessen, eingeatmet, es uns als Kosmetika auf die Haut geschmiert oder über unser Gewand aufgenommen. Wind und Wasser trugen es von den Feldern und Gärten über den ganzen Erdball.
Die Folgen sind verheerend. Fast ein Viertel der in der EU gefährdeten Arten sind durch Schadstoffe bedroht, die aus der Land- und Forstwirtschaft stammen. In den vergangenen 35 Jahren schrumpfte die heimische Artenvielfalt an Insekten und Spinnen nahezu um die Hälfte. Vögel sterben am Gift, Fledermäuse verhungern, Nagetiere verenden, Hummeln verlieren die Orientierung, und Bienen werden chemisch kastriert. Das weltweit eingesetzte Atrazin führt nicht nur zur Unfruchtbarkeit von Fröschen, sondern manchmal sogar zu deren Geschlechtsumwandlung.
Auch die Verursacherspezies Mensch bekommt die Folgen am eigenen Leib zu spüren. Allein in den USA sind jährlich mehr als 10.000 Krebsfälle auf Pestizide zurückzuführen. Für Weinbauern in Frankreich gilt Parkinson durch Spritzmittel offiziell als Berufskrankheit. In Mexiko sind die Hirne von Kindern, die in einer pestizidbelasteten Region leben, merkbar schlechter entwickelt. Neuere Studie weisen darauf hin, dass das umstrittene Pflanzengift Glyphosat zu Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes, Depressionen, Herzinfarkten und Unfruchtbarkeit führen könnten.
Johann Zaller lehrt am Institut für Zoologie der Universität für Bodenkultur in Wien mit den Schwerpunkten Ökologie der Pflanzen, Ökologie der Tiere, Ökosystemforschung, Biologischer Landbau, Agrarökologie, Umweltschutz. Er erforschte selbst, wie sich das Mittel auf die Natur auswirkt: Er besprühte Pflanzen mit Glyphosat und analysierte daraufhin den Bodenorganismus. Ergebnis: Die Mykorrhiza-Pilze, die die Pflanzen mit Nährstoffen versorgen, nahmen um die Hälfte ab. Regenwürmer wurden dicker, inaktiver und bekamen nur noch halb so viele Nachkommen. In weiteren Experimenten untersuchte er die Auswirkung eines Herbizids in Laichgewässern von Erdkröten und wies in Folge Schwanzfehlbildungen bei Kaulquappen nach.
„Erstmals in der Weltgeschichte hat eine einzige Spezies, nämlich wir Menschen, es geschafft, den gesamten Planeten zu vergiften“, schreibt Zaller und erklärt, woran das System krankt. Etwa an den Zulassungen von gefährlichen Pestiziden, die kaum unter realen Bedingungen und nur sehr eingeschränkt getestet wurden, und an Verbandelungen zwischen der Industrie und den Behörden, die die Pestizide zulassen und kaum kontrollieren.
Aufgrund falscher Beratung bringen Landwirte zu viele Pestizide aus, und den Umgang von Hobbygärtnern mit Spritzmitteln kann man nur dilettantisch nennen. Dazu kommt, dass Lobbygruppen der Hersteller kritische Wissenschaftler öffentlich diskreditieren – Zaller spricht dabei aus eigener Erfahrung. Deren Argument, dass Pestizide nötig seien, um die Weltbevölkerung ernähren zu können, widerlegt der Ökologe und stellt sogar die Sinnhaftigkeit der Pestizide insgesamt infrage. Er beruft sich dabei auf Studien, die zeigen, dass Pestizide nicht zur Ertragssteigerung beigetragen haben.
Zaller driftet manchmal ins Polemische ab und wiederholt sich mehrmals, aber er argumentiert ebenso fakten- wie meinungsstark. In seiner 240-seitigen dichten Anklageschrift zeigt er, was schiefgegangen ist, als der Mensch versuchte, sich die Erde untertan zu machen. Heraus kommt ein Buch, das wütend macht und das Zeug dazu hat, eine längst notwendige gesellschaftliche Debatte über die Landwirtschaft auszulösen. Und nein, wenn Sie den Apfel vor dem Verzehr abwaschen, verschwinden die Pestizide nicht aus ihm.