
Gewissen und Gemächt
Lina Paulitsch in FALTER 33/2022 vom 17.08.2022 (S. 29)
Jetzt hat Lisa Eckhart also einen Krimi vorgelegt. Oder ist das Fantasy? Jedenfalls ist wieder was passiert, in Paris. Am Centre Pompidou hängt ein Straßenmusiker, festgezurrt an den bunten Rohren der Fassade. Als einem Touristen Blut auf die Glatze tropft, ist klar, dass es sich nicht um eine installative Performance handelt. Nein, hier wurde gemordet, und das schon zum wiederholten Male.
Eckharts Roman "Boum" kreist in wirren Handlungssträngen um einen Serienmörder. "Le Maestro Massacreur" tauft ihn die Presse der französischen Hauptstadt, die Bevölkerung habe sehnlichst auf ihn gewartet. Endlich Mord, endlich Aufregung! Und dann sind die Opfer auch noch Musikanten. Welch Freude für die kulturverliebten Franzosen!
In diesen banalen Plot führt Eckhart drei Macho-Kommissare und eine weibliche Hauptfigur aus Leoben ein. Aloisia ist weder dick noch dünn, weder intelligent noch dumm, sondern einfach nur langweilig. Sie macht sich selten Gedanken über irgendetwas, hat keinen eigenen Willen und kommt nach Paris, weil da ein Mann auf sie wartet. Romains zehn Quadratmeter große Wohnung (die Witze über die winzigen Appartements gehören zu den besseren dieses Buchs) ist so eng, dass allein Sex die Möglichkeit bietet, sich aus dem Weg zu gehen. Aber, évidemment, Romain ist ein Filou, ein betrügender Casanova, der täglich eine andere "Nana" in sein Bett schleppt. Weil ihre Eltern das Haus in Leoben schon verkauft haben, bleibt Aloisia in Paris und rennt in die Arme der bösen Bettelmafia.
Spätestens an dieser Stelle muss man zurückblättern. Hat die Kritikerin was verpasst? Ein Detail überlesen? Oder hängt hier tatsächlich nichts zusammen? Trotz kurzer, abgehackter Sätze strandet die Leserin im Erzähl-Wirrwarr.
Lisa Eckhart, Jahrgang 1992, wurde als Kabarettistin bekannt. Seit ihren Bühnenanfängen löst sie regelmäßig Kontroversen aus, am prominentesten jene um Antisemitismus. "Den Juden Reparationen zu zahlen, das ist, wie dem Red-Bull-Gründer Mateschitz ein Red Bull auszugeben", erzählte sie etwa ihrem Publikum. Auf johlendes Lachen folgte später Entrüstung. Vor allem in Deutschland, wo Eckhart besonders erfolgreich ist. Eckhart inszeniert sich als Dandy-hafte Kunstfigur, als extravagant gekleideter Teufel, der wirklich alle Tabus zu brechen versucht. Kannibalismus, Sexualpraktiken und Klischees über Nationalitäten, Religion und Geschlechter gehören zu den Triggern ihrer Provokation.
Auch in "Boum" tritt die Provokationslust offen zutage. Frauen sind in diesem Roman allesamt "Huren", Models, Hostessen oder arbeitslos; Männer rein triebgesteuerte, kriminelle Haudegen. Auch die grausig-erregenden Schilderungen von Sex sollen verstören, schon klar. Wie andere Skandalautoren versucht Eckhart zu verwirren. Handelt es sich nun um reaktionär-konservativen Mist, soll sich die Leserschaft fragen, oder um den Spiegel der Gesellschaft?
Doch zu provozieren vermag "Boum" nicht. Dafür müsste man dem Text erzählerisch folgen können. Auf 368 Seiten franst die Handlung immer weiter aus, die Figuren bleiben statisch. Wo ist denn das Lektorat abgeblieben? Einige Rechtschreib-und Grammatikfehler stören den Lesefluss ebenso wie bemühte Pointen. Etwa: "Neben seinem Gemächt steht erstmals sein Gewissen. Und es bleibt hart bis in der Früh." Nicht politisch, aber stilistisch fühlt man sich von einem derart dürftigen Schreibstil doch wieder provoziert.



