Wovon wir leben

"Erhellend, überzeugend und überaus lesenswert." SRF
192 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783552073357
Erscheinungsdatum 20.02.2023
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Zsolnay, Paul
Sammlung Besser lesen mit dem FALTER - Die Bücher zum Podcast Folge 51-100
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
Vilshofener Straße 10 | DE-81679 München
info@hanser.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

Ein literarischer Roman über die brennenden Themen der Gegenwart: Das neue Buch der Bachmannpreisträgerin Birgit Birnbacher

Birgit Birnbacher, der Meisterin der „unpathetischen Empathie“ (Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau), gelingt es, die Frage, wie und wovon wir leben wollen, in einer packenden und poetischen Sprache zu stellen.
Ein einziger Fehler katapultiert Julia aus ihrem Job als Krankenschwester zurück in ihr altes Leben im Dorf. Dort scheint alles noch schlimmer: Die Fabrik, in der das halbe Dorf gearbeitet hat, existiert nicht mehr. Der Vater ist in einem bedenklichen Zustand, die Mutter hat ihn und den kranken Bruder nach Jahren des Aufopferns zurückgelassen und einen Neuanfang gewagt. Als Julia Oskar kennenlernt, der sich im Dorf von einem Herzinfarkt erholt, ist sie zunächst neidisch. Oskar hat eine Art Grundeinkommen für ein Jahr gewonnen und schmiedet Pläne. Doch was darf sich Julia für ihre Zukunft denken?

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ISBN 9783552073357
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FALTER-Rezension

Frauen, die auf Ziegen schauen

Klaus Nüchtern in FALTER 7/2023 vom 15.02.2023 (S. 29)

Birgit Birnbacher ist pünktlich. Der winzige Schnapsladen in der Salzburger Getreidegasse, den die Autorin als Treffpunkt vorgeschlagen hat, könnte auch Schauplatz eines ihrer Romane sein. Mit drei älteren Herren ist er am späten Vormittag fast schon vollbesetzt. Sie stehen am Tresen, trinken und machen ein bisschen Konversation.
Ob er sich hier ansaufen könne, meint einer. Das würde er schon verhindern, antwortet der Ladenbesitzer, ebenfalls nur halb scherzhaft -und schenkt dem Gast noch einen aus. Der Journalist aus Wien erwirbt den Schnaps in Flaschenform, dann erfolgt der vereinbarte Ortswechsel ins wesentlich geräumigere und von der Autorin als "tantchenhaft" charakterisierte Café Mozart, wo man auch keineswegs alleine ist.

Ältere Männer, die zu früh mit dem Trinken beginnen, spielen eine nicht ganz unwesentliche Rolle in "Wovon wir leben", dem dieser Tage erscheinenden neuen Roman der 37-Jährigen. Ein Satz darin geht auf eine Formulierung ihres Salzburger Kollegen Karl-Markus Gauß zurück, der das "Saufen" einmal als eine "Arbeit" bezeichnete, "die bedächtig und ausdauernd erledigt werden muss". Ausdauer und Bedächtigkeit sind den Alteingesessenen aus dem "Innergebirg" ebenfalls vertraut. In dieser alpinen Region Salzburgs spielt Birnbachers Roman, und von dort stammt die aus Schwarzach im Pongau gebürtige Autorin auch.

Schon in der Kindheit der Protagonistin, mittlerweile Ende 30, hatte die Schließung der lokalen Schokoladenfabrik als ständige Drohung über dem Ort gehangen, nun wurde diese tatsächlich dichtgemacht. Die Gekündigten wissen nicht, wohin mit ihrer Ausdauer: "Diese Männer, die nun bereits seit Wochen in ihren Häusern sitzen und in der Mitte des Vormittags innehalten, wenn das Bett gemacht und der Frühstücktisch abgeräumt ist, wenn der Boden gefegt und die Post geholt und der Einkauf gemacht ist, haben keine Festung."

Zu solchen Beobachtungen wurde die Autorin weniger durch den lockdownbedingten Verlust der Tagesstruktur als vielmehr durch erste eigene Arbeitserfahrungen inspiriert. Mit 15 hat sie die Schule abgebrochen. Wobei das Verb, wie sie einräumt, nicht zutreffe, "weil ich ohnehin nie dort war. Ich hätte sogar eine Feststellungsprüfung in Turnen und Musik machen sollen. Da hab ich einen Lachkrampf gekriegt."

Als Mädchen sei sie "schwierig" gewesen, befindet Birnbacher rückblickend; wobei ihr die Eltern - der Vater selbst Lehrer, die Mutter Hausfrau - zu viel durchgehen hätten lassen. Was sie statt zur Schule zu gehen gemacht habe, will sie aber nicht ausbreiten: "Es war jedenfalls nicht schön." Die unbändige Wut, die sie in ihren Teenagerjahren verspürte, resultierte aus dem Gefühl, dass das Leben sinn-und ziellos sei: "Ich habe niemanden gekannt, der für das, was er gemacht hat, gebrannt hätte."

Das änderte sich auch nicht, als Birnbacher nach dem Schulabgang eine Optikerlehre in St. Johann im Pongau absolvierte: "Das Handwerkliche hätte mir schon gefallen, aber ich habe ja nichts angreifen dürfen und praktisch dreieinhalb Jahre nur aufs Bodenwischen gewartet, weil es dann, um halb sieben, vorbei war. Ich habe mir gedacht: ,Ah, das ist also Arbeit: acht Stunden etwas tun, was man nicht mag. Das mach ich sicher nicht!'"

Schriftstellerin zu werden war freilich keine Option. Obwohl der Vater Deutsch unterrichtete und die ältere Schwester Germanistik studierte, habe sie nicht gewusst, dass man das überhaupt als Beruf ausüben könne: "Wo ich herkomme, hätte niemand einem Kind, das gerne schreibt, gesagt: ,Vielleicht wirst du einmal Schriftstellerin.' Ich fühle mich eigentlich nach wie vor unbefugt, mich als solche zu bezeichnen."

Der nächste Schritt führte denn auch noch nicht in die Schreibwerkstatt, sondern nach Äthiopien. Als Entwicklungshelferin betreute Birnbacher in einem fensterlosen Raum zwei Dutzend Säuglinge; sie verspürte dabei erstmals das befriedigende Gefühl, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen, und hatte obendrein auch noch Spaß daran.

"Addis Abeba war die erste Stadt, die ich kennengelernt habe", erzählt sie. "Sehr zum Unmut der geistlichen Schwestern, bei denen wir wohnten, waren wir ständig unterwegs und haben Party mit den Ärzten ohne Grenzen gemacht. Untertags erlebt man ganz schlimme Dinge, die Babys sterben an Unterernährung oder Aids, und trotzdem geht man am Abend aus. Ich bin total dankbar für diese Zeit. Da wird man zurechtgerückt als junger Mensch."

Auch Julia, der Protagonistin von "Wovon wir leben", sind solche Erfahrungen nicht fremd. Der Großvater hatte ihr zwar zu einem Beruf geraten, bei dem sie "einen Stift in der Hand hält", und auch die Mutter hätte für die Tochter eigentlich "etwas Besseres" vorgesehen. Dennoch liebt Julia ihre Arbeit als Krankenschwester, "diese professionelle, gleichzeitig aber immer auch distanziert geschützte Form der Menschlichkeit". Allerdings bleiben ihr im zusehends inhuman getakteten Arbeitsalltag nur noch knappest bemessene "Slots" für echte Zuwendung.

Schließlich verliert sie nach einer Fehlleistung mit lebensbedrohlichen Folgen ihren Job und kehrt ins Kaff ihrer Kindheit und das Haus der Eltern zurück. "Abgestandener Rauch und die Abwesenheit von Kochdunst und Lavendelreiniger" lassen Julia stutzig werden, ehe der Vater zögerlich mit der Wahrheit herausrückt: Die Mutter ist abgehauen -nach Sizilien, wie sich später herausstellt -, weswegen der in hypochondrischen Hinfälligkeitsfantasien schwelgende Verlassene wie selbstverständlich davon ausgeht, dass sich nun die selbst von Asthmaanfällen gepeinigte Tochter um ihn kümmern wird. Und nicht nur um ihn, sondern auch -Care-Arbeit der etwas anderen Art - um eine Ziege, die der Potuznik beim Watten vom Wirten gewonnen hat.

Aurel Potuznik ist Antiquar mit einem ganzen Geschäft voller restaurierter und nie wieder abgeholter Gegenstände, ein Großmeister der Ausdauer und Bedächtigkeit. Der Wirt aber ist leider selbst sein bester Kunde und säuft noch mehr, als im Ort ohnedies schon gesoffen wird.

Dem zur Zeit schwer angesagten Genre der "Autofiction" verweigert sich Birnbacher durch klare Signale der Fiktion. Und mit der Frage nach dem autobiografischen Gehalt kann man sich eigentlich nur zum Affen machen: Dass man Schriftsteller nicht mit ihren Protagonisten und Figurenrede nicht mit den Ansichten der Autorin verwechseln dürfe, ist schließlich aus dem Einführungsproseminar bekannt. Birgit Birnbacher ist da freilich ganz unzimperlich und bekennt freimütig von sich aus: "Das klingt jetzt blöd, aber ich kann eigentlich keine Geschichten erzählen."

Wozu etwas erfinden, wenn man die Realität benennen und beschreiben kann? "Ich hatte den Roman ursprünglich in Steyr angesiedelt. Aber da ging es dann schon damit los, dass ich mir nicht einmal merken kann, welcher Fluss die Steyr ist und welcher die Enns. Also habe ich doch den Ort gewählt, in dem ich aufgewachsen bin. Wenn Sie nach Goldegg fahren, sieht es dort genau so aus wie im Buch beschrieben. Ich bin von Lesern darauf hingewiesen worden, dass selbst Figuren, die ich zu erfinden geglaubt habe, tatsächlich existieren. Ich habe den Pongau aber ohnehin mit Samthandschuhen angefasst und bin viel netter zu den Leuten, als sie es verdient hätten."

Ja, auch die Asthmaanfälle seien "authentisch" und der vom Krieg gezeichnete Großvater dem ihren ebenso nachempfunden wie der "Städter", mit dem Julia eine Liebesbeziehung eingeht, ihrem Mann. Sogar der Ziege sei sie schon persönlich begegnet: "Ich kenne tatsächlich eine Ziege namens Elisa. Sobald sie bei ihrem Namen gerufen wird, ist die total dabei. Die liebt das! Und Ziegen schauen ja so schräg. Man fühlt sich total komisch und wird sofort unsicher."

Unsicherheit ist auch das Stichwort zu Birnbachers später Karriere als Schriftstellerin. Der erste Anlauf endete mit einer Bruchlandung. Sie hatte die Matura nachgeholt, ein Soziologiestudium angehängt und schließlich im Rahmen einer Schreibwerkstatt erste Versuche als Autorin unternommen: "Der Leiter hat mir erklärt, dass mein Zeug nichts mit Literatur zu tun hat. Ich bin voll zur Sau gemacht worden und aufs Klo weinen gegangen." Als sie Freunde im darauffolgenden Jahr drängen, wieder mitzumachen, kommt sie diesem Wunsch nur gegen heftige Bedenken und deswegen nach, weil der Kurs ansonsten wegen mangelnder Teilnehmeranzahl abgesagt worden wäre. Außerdem hatte sie einen Trumpf in der Hinterhand: einen Text, der bei einem Schreibwettbewerb in Deutschland einen Preis gewonnen hatte.

Eine äußerst glückliche Entscheidung, wie sich bald zeigen sollte - sowohl in beruflicher wie in privater Hinsicht. Birnbacher lernte bei dem Workshop ihren späteren Gatten Günther Eisenhuber kennen; er arbeitet heute noch als Lektor für Jung und Jung.

Eisenhuber und Verlagsleiter Jochen Jung waren es auch, die die stets etwas unsichere und unwillige Spätstarterin zum Schreiben ermunterten. "Ich habe immer gesagt: ,Kann ich nicht, freut mich nicht, hab keine Zeit.' Bis mir der Günter ins Gewissen geredet und erklärt hat: ,Du musst dich jetzt einmal entscheiden: Entweder ist alles scheißegal -dann lass es. Oder du meinst es ernst, dann streng dich gefälligst an!' Das war für mich eine Riesensache: Die glauben, dass ich das kann!"

Dieser Glaube wurde durch Birnbachers 2016 bei Jung und Jung erschienenes Debüt "Wir ohne Wal" bestätigt. Das Generationenporträt von desillusionierten und gelangweilten Twentysomethings aus der Provinz ist eigentlich ein Band mit thematisch zusammenhängenden Erzählungen, "sie haben aber halt ,Roman' draufgeschrieben, weil sie meinten: ,Sonst kriegst keinen Preis'".

Den bekam sie dann tatsächlich. Dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung 2016 folgte drei Jahre später der Ingeborg-Bachmann-Preis, den sich Birnbacher mit ihrer Geschichte "Der Schrank" erlas. 2020 dann erschien das gemeinhin als schwierig und karriereentscheidend eingestufte zweite Buch. "Ich an meiner Seite" beruht auf einer realen Lebensgeschichte und handelt vom Verhältnis zwischen einem jungen, resozialisierten Haftentlassen und dessen unkonventionellem Therapeuten.

Der Roman - nun war die Gattungsbezeichnung tatsächlich angebracht - landete auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde im Feuilleton vor allem wegen seines Witzes, der empathischen Erzählhaltung und des soziologisch präzisen Blicks der Autorin gelobt -alles Qualitäten, die auch ihren jüngsten Roman auszeichnen. Lobend hervorzuheben ist darüber hinaus unbedingt der schmale Umfang sowie der zwar schlichte, aber keineswegs ostentativ auf coole Lakonie getrimmte Stil von "Wovon wir leben".

Immer wieder funkeln hier anmutig rhythmisierte und pfiffige Sätze, wie sie der derzeit allseits adorierten, ambitiös aufgepumpten Anabolika-Prosa fremd sind; Sätze wie: "Der Vater ist wortkarg und bringt Berge von Zeug." Oder Beschreibungen wie die folgende, in der die Rückkehr der Protagonistin an den Ort ihrer Herkunft geschildert wird: "Neubau-Cluster, die in Schweinchenrosa in den Nadelwald hinaufkriechen. [] Die hässlichen Schriften auf den Firmengebäuden: Autoteile, Reifen, Farben, Lacke. Alles ist zweckmäßig. Jeder Anflug von Schönheit ist schwul, alles Liebe weinerlich."

Gegen diese Haltung, die sie in ihrer Jugend als eine "Form von Verwahrlosung" erfahren hat, schreibt Birgit Birnbauer an. Ob mit dem Stift in der Hand oder auf dem Laptop, ist wohl nebensächlich. Der Opa darf schon stolz sein.

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