

Der Auserwählte
in FALTER 49/2024 vom 04.12.2024 (S. 30)
Er galoppiert auf einem Schimmel über weite Felder. Er ringt seine Gegner im Judo nieder und taucht in einem eiskalten See unter. Er warnt vor Mineralwasser, abgefüllt in Plastikflaschen, denn das schneide die Menschen von der Lebenskraft des Wassers ab. Er verteufelt EU und Nato. Dazu, dass Russland Krieg gegen die Ukraine führt, sagt er: "Wirklich, ist das so? Waren Sie selbst dort?"
Die Rede ist nicht von Wladimir Putin, sondern einem Mann, der den Diktator und Gewaltpolitiker in Moskau bewundert und imitiert. "Die Chance Rumäniens ist russische Klugheit", sagt Călin Georgescu, der am 24. November im ersten Durchgang der rumänischen Präsidentschaftswahl zur allgemeinen Überraschung den ersten Platz erreicht hatte. Er verdankt dies vor allem den Auslandsrumänen, die massiv für einen Mann gestimmt haben, der Rumänien aus Nato und EU herausführen und unter den Schutz von Russland bringen will. Wie war dies möglich in einem Land, in dem die Ablehnung des übermächtigen östlichen Nachbarn bisher tief im kollektiven Bewusstsein verankert war?
Georgescus Erfolg ist ein Organversagen von Staat und Eliten in Rumänien. So hat der scheidende Präsident Klaus Johannis -einst Projektionsfläche für Demokratie und Rechtsstaat - mit den zahlreichen Geheimdiensten des Landes eine Schattenmacht aufgebaut, der korrupte Politiker aus den großen Parteien zuarbeiteten. Zehn Jahre hat Johannis das Präsidentenamt innegehabt. Zweimal war er gewählt worden, getragen von demokratischen Massenprotesten gegen Korruption, Misswirtschaft und postkommunistische Machtklüngel. Johannis wandte sich jedoch von seinen Wählern ab, verweigerte jede Kommunikation mit Bürgern und Medien und pflegte im armen Rumänien einen abgehobenen und luxuriösen Lebensstil. Eine ungeheure Wut wuchs im Land heran.
Rechtsextremisten nutzen dies aus, wie die Partei AUR des lärmenden Neofaschisten George Simion und die Partei SOS Rumänien der unflätig schimpfenden Diana Şoşoacă. Die Medien beschäftigten sich gerne mit diesen schlagzeilenträchtigen Populisten. Sie übersahen dabei, was im Hintergrund geschah. Über soziale Netzwerke, aber auch bei Besuchen in Dörfern brachte sich Georgescu als unabhängiger Kandidat in Stellung. Er ging dorthin, wo Hauptstadtpolitiker und -medien nicht zu finden waren.
Georgescu inszenierte sich wie einst der charismatische Führer der faschistischen Legionärsbewegung Corneliu Zelea Codreanu (1899-1938). Er spricht langsam und klar, verwendet Begriffe aus der orthodoxnationalistischen Tradition: Volk, Boden, Auferstehung, Sieg. Georgescu erklärt, Gott habe ihn auserwählt, um die Rumänen zu erlösen. Er gründete die Vereinigung "Ahnenerde" - so hieß einst Codreanus Zeitung.
Trotz Verletzung des Wiederbetätigungsverbots reagierte die Justiz kaum. Georgescu umgab sich mit bekannten Schauspielern und einem Vizepräsidenten der Rumänischen Akademie der Wissenschaften. Er behauptete, als Unabhängiger gegen das System zu kämpfen. Kaum jemand nahm ihn ernst. Und nun haben mehr als zwei Millionen Menschen ihn gewählt. Wie ist das zu erklären?
Georgescu ist kein unabhängiger Kämpfer gegen das Establishment, sondern ein Mann des Systems. Seine sichtbare Karriere hat er in der Ministerialbürokratie gemacht, aber auch international in Organisationen der Uno. Der ausgebildete Agronom spricht mehrere Fremdsprachen und hat breite internationale Erfahrung. Das macht Eindruck in einem Land, das von Korruption und intellektuell schwachen Politikern geprägt ist. Es gibt aber auch Hinweise auf eine Karriere im Schattenreich. Nach zuverlässigen Medienberichten soll Georgescu dem Auslandsgeheimdienst DIE angehören, einer in die Zeit des Diktators Nicolae Ceauşescu (1965-1989) zurückreichenden prorussischen Zelle. Diese verlor auch nach 1989 nicht ihre Macht, sondern hievte Gefolgsleute an wichtige Stellen. Georgescu behauptet, für seinen Wahlkampf keinen einzigen Leu ausgegeben zu haben. Dabei verbreitet er seit Jahren aufwendige Videopropaganda, zuerst über Youtube, in den letzten Wochen vor allem auf Tiktok - neun von 18 Millionen Rumänen benutzen Tiktok. Georgescu ist das Produkt einer tief im Geheimdienstsystem verwurzelten antiwestlichen und prorussischen Gruppe, die sich erfolgreich sozialer Medien bedient.
In Moskau feiert man Georgescus Erfolg. Das loyalste Nato-Land am Schwarzen Meer, das der Ukraine wichtige Hilfe leistet, droht, in das Lager der Putin-Freunde zu kippen -zur Freude der Vasallen des russischen Machthabers in der EU, der Premierminister Ungarns und der Slowakei, Viktor Orbán und Robert Fico. In Rumänien herrschen Aufruhr und Angst. Die Vorsitzenden der Sozialdemokraten und der Nationalliberalen sind zurückgetreten. Viele Menschen, die wegen der schlechten Kandidatenauswahl nicht gewählt haben und sich von offenkundig gefälschten Meinungsumfragen in die Irre führen haben lassen, sind entsetzt.
In der zweiten Runde der Wahlen tritt mit Elena Lasconi eine Politikerin der proeuropäischen Partei USR gegen Georgescu an. Lasconi ist eine wenig erfahrene und nicht sehr überzeugende Lokalpolitikerin. Die Rumänen stehen vor einer Richtungsentscheidung - soll das Land in EU und Nato bleiben oder nach Osten abdriften? Dass gerade die Diaspora in der EU letztere Variante gewählt hat, gehört, freilich nur auf den ersten Blick, zu den vielen bizarren Aspekten dieser Geschichte.
Diese hat auch eine österreichische Dimension. Innenminister Gerhard Karner von der ÖVP hat mit seiner letztlich erfolglosen Blockade des Schengen-Beitritts Rumäniens Wasser auf die Mühlen rumänischer Putinisten geleitet. Österreich gilt vielen Rumänen als bösartiges Land, das nicht nur Rumänen diskriminiert, sondern dessen Holzunternehmer die rumänischen Wälder ausplündern -was alles andere als ein Gerücht ist.
Kaum jemand in Österreich weiß, dass Rumänen nach den Deutschen die größte Einwanderungsgruppe im Land sind. Und niemand interessiert sich dafür, dass in rumänischen Gottesdiensten in Wien bisweilen Putin-Propaganda betrieben wird. Georgescu verdankt seinen Erfolg nicht nur Tiktok, sondern auch Geheimdienstnetzwerken und vielen orthodoxen Priestern, gerade in der EU, die den Westen hassen und bekämpfen. Die Spur führt damit auch direkt nach Wien.