

Humor als Notwehr: Der neue Hirschl ist ziemlich bizarr und sehr düster
Sebastian Fasthuber in FALTER 4/2024 vom 26.01.2024 (S. 26)
Jonas löscht nicht nur Brände, sondern auch den Durst. Immer wieder versucht es der chronisch Erfolglose mit neuen Geschäftsideen. Die jüngste ist ein Feuerlöschunternehmen, das besonders rasch anrückt und nebenbei kühle Getränke offeriert. Auch ein Selfie vor den Flammen gehört dazu
Zwar ist Jonas nur eine Nebenfigur in Elias Hirschls neuem Roman "Content", aber eine besonders gelungene. Er haust in einem desolaten Gebäude und hat noch mit jedem Business einen Bauchfleck hingelegt. Aber der arme Tor denkt immer positiv.
Er hat die sinnentleerte neoliberale Werbesprache, um die es Hirschl wie schon zuletzt in "Salonfähig" auch hier geht, komplett verinnerlicht. Seine Leistung preist er so an: "Während regierungsgestützte Feuerwehrdienste langsam und antriebslos sind, nutzt Brand Recognition den Wettstreit des freien Marktes als Motivation, als Anstachelung zu einer schnelleren, effizienteren und kostengünstigeren Löschung (...)."
"Content" ist wieder ein satirischer Roman. Diesmal geht es statt der Welt der Politik um Start-ups und Content-Farmen, die völlig sinnbefreite Videos, Online-Artikel und Listen anfertigen. Die Angestellten sind verkrachte Jungautorinnen, die schon mangels ausreichender Aufmerksamkeitsspanne am Schreiben ihres ersten Romans gescheitert sind, oder davon träumen, Gags für amerikanische Talkshows zu schreiben.
Hirschl ergeht sich mit Vorliebe in absurden Szenarien, die mit Fortschreiten der Handlung immer bizarrer werden. Der Großteil des von Smile Smile Inc. produzierten Contents verschwindet noch, bevor er online geht. Womit verdient das Unternehmen Geld? Auch die Eigentümerverhältnisse sind dubios. Und was passiert tief unter dem Firmengebäude, wo einst Kohle abgebaut wurde?
Die namenlose Ich-Erzählerin blickt auch nicht richtig durch. Der Autor stellt sie den Lesern als wenig zuverlässigen Guide durch die grelle und zugleich düstere Welt, die er in seinem Roman zeichnet, zur Seite. Ressourcenverschwendung und Klimawandel sind darin schon ein Stück weiter fortgeschritten. Alles steuert auf ein apokalyptisches Ereignis zu.
Währenddessen kommt der Hauptfigur ihr Leben abhanden. Ihre Wohnung brennt aus. Die beste Freundin übersiedelt in die USA. Ins Büro muss sie auch nicht mehr gehen, die Arbeit lässt sie von einer KI erledigen. Und eines Tages kann sie nicht einmal mehr auf ihre Social-Media-Konten zugreifen. Eine andere Person scheint diese zu nutzen. Diese sieht ihr auf Insta-Fotos verdammt ähnlich -nur ist sie schöner, wirkt glücklicher.
Was Hirschl nicht bietet, ist eine große, plausible Geschichte samt Figuren, mit denen man mitfühlen kann. Als von der Postmoderne und US-Schriftstellern wie David Foster Wallace oder Mark Z. Danielewski geprägter Autor versteht er sich dafür umso mehr auf groteske Mikroerzählungen und teils zum Schreien komische Szenen, wie sie im deutschsprachigen Raum sonst kaum jemand zu schreiben versteht.
In Popsongs funktioniert die Kombination aus fröhlicher Musik und melancholischen Texten oft gut. Hirschl, der durch die Schule der Poetry Slams gegangen ist, überträgt das erfolgreich auf die Literatur, indem er traurige Dinge in Form von Witzen abhandelt.
Im neuen Roman hat der Humor schon den Charakter von Notwehr, derart dystopisch sieht die nahe Zukunft darin aus.