

Zwischen Austrofaschismus und Antibabypille
Alfred Pfoser in FALTER 42/2024 vom 18.10.2024 (S. 15)
Erneut ein historischer Roman der in Linz geborenen, heute in Innsbruck lebenden Autorin Judith W. Taschler. „Nur nachts ist es hell“ breitet die Erinnerungen einer pensionierten Ärztin, Jahrgang 1895, aus, die in den 1970er-Jahren ihrer Enkelin aus ihrem Leben erzählt. Wieder ist es ein Buch mit einer Ansammlung üppiger Schicksale, prallvoll mit Affären, Dramen und Tragödien, mit einer breit gefächerten Familiengeschichte zwischen Oberösterreich und Wien, mit Atemlosigkeit entlang der österreichischen Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts erzählt, die ja nicht wenige Katastrophen und Zäsuren bot.
Ein dezidierter Frauenroman, der exemplarisch von den Schwierigkeiten weiblicher Emanzipation handelt, vom Erwachen der Sexualität, von den Barrieren, die sich dem Berufswunsch entgegenstellen, von Glück und Unglück in der Ehe. Geschickt und effektvoll mäandert die fiktive Autobiografie der Elisabeth Tichy, geborene Brugger, zwischen Schauplätzen, Zeiten und Personen und befördert mit der Schilderung der Irrungen und Wirrungen bei der Leserschaft Spannung und Anteilnahme.
Auch als politisches Buch will der Roman verstanden sein. Viele Seiten lang beschäftigt sich die Icherzählerin mit ihrer Arbeit als Geburtshelferin, bei der sie in einen der großen politischen Konflikte des vergangenen Jahrhunderts hineingezogen wird. Die Forderung nach Straffreiheit für den Schwangerschaftsabbruch wird in den 1920er-Jahren von den konservativen Kräften abgeschmettert.
In der Auseinandersetzung um den § 144 ergreift die Ärztin eindeutig Partei. Schwangere Frauen wenden sich an sie, weil sie von ihrem sozialen Engagement und ihrer politischen Haltung wissen, sie aber blockt ab, weil sie nicht die Schließung ihrer Ordination riskieren will. Schließlich zeigt sie sich bereit, amateurhaften „Engelmacherinnen“ zur Seite zu stehen, und instruiert sie, mit welchen Werkzeugen, Medikamenten und hygienischen Vorkehrungen sie arbeiten sollen, um das Leben ihrer Kundinnen nicht in Gefahr zu bringen.
In der Zeit des Austrofaschismus landet sie für einige Tage im Gefängnis. So quasi nebenbei werden die Fortschritte in der Medizin referiert, auch in Hinblick auf Verhütungstechniken – von den „Frommsern“, als welche Kondome seinerzeit bezeichnet wurden, bis zur Antibabypille.
Nicht zufällig ist Elisabeths Mentor in der Schule der Geschichtslehrer, der sie mit
seinem Faible für Politik fasziniert und mit dem sie später eine heiße Liebesaffäre
beginnen wird. Die Icherzählerin selbst versteht sich ebenfalls als Historikerin,
was in zahlreichen sozial- und kulturgeschichtlichen Exkursen zu Buche schlägt.
„Nur nachts ist es hell“ ist quasi ein Sequel von Taschlers Erfolgsroman „Über Carl reden wir morgen“ (2022); die Geschichte der Familie Brugger, die im Mühlviertel tatsächlich eine Mühle betreibt, und wo Elisabeth ihre ersten Jahre verbringt, wird weitergeschrieben.
Während die Protagonistin in ihrer Jugend nach Wien ausbricht und nach dem Ersten Weltkrieg in eine honorige, konservative Wiener Ärztefamilie einheiratet, bleibt sie trotz der räumlichen Distanz mit ihren drei Brüdern eng verbunden. Die Schicksale rund um die Mühlviertler Hofmühle sind wahrlich nicht arm an Turbulenzen.
Vor allem die Lebensgeschichten der Zwillingsbrüder bieten ein reichlich verworrenes, jedenfalls aber großes Drama. Zu den Ingredienzen des auf Spannung getrimmten Romans zählt das Chaos in der Liebe, so auch hier: Die beiden haben Sex mit der gleichen Frau. Nur, wer ist der Vater der Kinder? Als während des Nationalsozialismus eine jüdische Familie in der Hofmühle Unterschlupf findet, werden das Versteckspiel und der Identitätstausch unerträglich und die Zwillingsgeschichte nimmt eine tragische Wendung, die sich offensichtlich der Schreibstrategie des immer wieder leicht übersteuerten Romans verdankt: Nur ja nicht langweilen! Einer breiten Leserschaft wird das vermutlich gefallen, dem Absatz des Buches dienlich sein.