

"Paulína, das könnte ich sein"
Sebastian Fasthuber in FALTER 5/2025 vom 31.01.2025 (S. 30)
Der Literaturbetrieb lechzt nach Neuem. Ein Erstling mit einem flotten Titel von einer jungen Autorin bringt viel Medienpräsenz. Beim zweiten Roman hält sich das Interesse bereits in Grenzen, zu einem dritten kommt es oft gar nicht. Die nächsten Debütantinnen sind dran.
Susanne Gregor hatte das Glück, dass ihr erster Roman "Kein eigener Ort" 2011 eher unbeachtet im Kleinverlag Edition Exil erschienen ist. Sie konnte sich als Autorin ohne falsche Erwartungen entwickeln, veröffentlichte in der Folge Bücher im Grazer Literaturverlag Droschl und in der Frankfurter Verlagsanstalt. Die Aufmerksamkeit für ihre Arbeit ist organisch gewachsen.
"So ist es gesünder und tragfähiger", sagt sie. Eigentlich will sie sich mit dem Drumherum, ob Erfolg oder Misserfolg, aber möglichst wenig beschäftigen: "Ich gebe die Texte in bestmöglicher Form ab. Ab dem Zeitpunkt habe ich nicht mehr in der Hand, was damit passiert."
Ihr fünfter Roman "Halbe Leben" erscheint diese Woche bei Zsolnay und dürfte ihr den Durchbruch bringen. Auf der ORF-Bestenliste im Februar findet er sich ganz weit vorn. Ihr Kalender ist gut gefüllt mit Terminen für Lesungen. Außerdem steht Gregor auf der Shortlist für den hochdotierten Literaturpreis Wortmeldungen, der kritische Texte auszeichnet.
Heimlich, still und leise ist die in der Slowakei geborene Autorin zu einer großen Erzählerin gereift. Dabei schreibt sie in einer einfachen, kunstlos wirkenden Sprache. Für Zierrat oder gar Prätention ist in ihren Büchern kein Platz.
Umso mehr setzt sie auf Figurenpsychologie. Sie braucht nicht viel Raum, um glaubhafte, lebendige Figuren zu konstruieren. Auf nicht einmal 200 Seiten gelingen ihr diesmal drei fantastische Frauenporträts: die auf Karriere bedachte Klara, ihre nach einem Schlaganfall verwirrte Mutter Irene und deren Pflegekraft Paulína.
"Die Idee war, über eine slowakische Pflegerin zu schreiben", sagt Gregor. "Wenn ich Leuten vorgestellt werde, höre ich oft: 'Ah, du kommst aus der Slowakei. Wir haben eine nette Slowakin, die unseren Opa pflegt. Sie gehört quasi schon zur Familie.' Der letzte Satz ist in mir nachgehallt. Er klingt schön, aber ich weiß nicht, ob er stimmt." Diese Konstellation steht im Mittelpunkt des Romans: Eine fremde Person nimmt intim am Familienleben teil, bleibt aber stets in einer dienenden Rolle.
Die drei Hauptfiguren zeichnet aus, dass sie "Halbe Leben" führen. Alleinerzieherin Paulína ist hin-und hergerissen zwischen ihrer Arbeit in Oberösterreich und ihren beiden halbwüchsigen Söhnen in der Slowakei, die sich selbst überlassen sind.
Klara ist Mutter einer Tochter, jedoch voll auf ihre Arbeit in der Immobilienbranche fixiert und nimmt nur sporadisch am Familienleben teil. Und Irene, die sich bis zu ihrem Schlaganfall um das Kind gekümmert hat, kann nicht mehr so wie früher.
Paulína fügt sich schnell in das neue Setting in einem modernen Haus auf dem Land ein. Aber je länger sie bei der Familie ist, umso mehr brodelt es in ihr. Klara und ihr Mann Jakob sind nicht so lieb, wie sie zunächst scheinen. Sie beuten Paulína aus, als Dank bekommt sie ab und zu ein Kuvert mit Geld. "Die beiden stehen für einen bestimmten Typ Gutmensch", sagt Susanne Gregor. "Sie denken an die Armen, sie spenden. Aber es darf nie auf Kosten ihrer eigenen Wünsche gehen. Dann kommen sie drauf, dass sie vielleicht doch egoistischer sind, als sie gedacht haben."
Im Laufe der Arbeit ist ihr aufgegangen: "Paulína, das könnte ich sein. Mein Leben wäre in der Slowakei komplett anders verlaufen. Von der Literatur kann man dort unmöglich leben." Gregor war neun Jahre alt, als sie 1990 mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester in den kleinen oberösterreichischen Ort Wartberg an der Krems zog.
Sie waren die ersten Migranten im Dorf. Dass das Ankommen nicht so leicht war, ist ihr erst viel später klar geworden. "In dem Moment mussten wir uns zurechtfinden. Wir waren damit beschäftigt, die Sprache zu erlernen und so weiter."
Heute bezeichnet sich Susanne Gregor als halbe Österreicherin und halbe Slowakin. Was ist für sie der größte Unterschied? "Die Menschen gehen hier davon aus, dass ihnen die Welt offensteht. Das war für mich ein kultureller Flash. Auch in der Slowakei denkt man inzwischen individualistischer, aber die Familie hat noch einen unglaublich hohen Stellenwert."
Mit "Halbe Leben" ist ihr Herkunftsland für sie auserzählt. Bereits in den beiden Vorgängerromanen "Das letzte rote Jahr" (aus der Perspektive von 1989) und "Wir werden fliegen"(ein 90er-Jahre-Buch) hat sie sich intensiv mit ihm beschäftigt.
Ihre Arbeitsroutine kann Gregor, die eine zwölfjährige Tochter hat und zwei Tage die Woche Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, auf einen Satz herunterbrechen: "Ich schreibe, wenn ich Zeit habe."
Der Geniedünkel mancher männlicher Kollegen, die sich fernab von Care-Arbeit frei entfalten können, ärgert sie: "Schreiben ist eine Arbeit wie jede andere. Es nervt mich, wenn Autoren sagen, sie können nur in der Karibik oder nur von fünf bis zehn Uhr kreativ sein." Nachsatz: "Man fragt auch einen Handwerker nicht, ob er gerade inspiriert ist."