Gesellschaft als Risiko

Soziologische Situationsanalysen zur Coronapandemie
311 Seiten, Taschenbuch
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ISBN 9783593513232
Erscheinungsdatum 21.07.2021
Genre Soziologie/Sozialstrukturforschung
Verlag Campus
Illustrationen Maria Hobbing
Beiträge von Sören Altstädt
Beiträge von Sarah Lenz, Martina Hasenfratz, Natalia Besedovsky, Annerose Böhrer, Elisabeth Boßerhoff, Ekkehard Coenen, Marie-Kristin Döbler, Viola Dombrowski, Christian Eberlein, Michael Grothe-Hammer, Oul Han, Marc Hannapel, Martina Hasenfratz, Marco Hohmann, Roman Kiefer, Matthias Kullbach, Sarah Lenz, Ruth Manstetten, Nadine Maser, Sighard Neckel, Larissa Pfaller, Lukas Schmelzeisen, Tobias Schramm, Nina Sökefeld, Paul Weinheimer, Christian Baron
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HerstellerangabenAnzeigen
Beltz Verlagsgruppe GmbH & Co. KG
Werderstr. 10 | DE-69469 Weinheim
info@campus.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

Der Ausbruch von Covid-19 im Dezember 2019 versetzte Gesellschaften weltweit in einen Ausnahmezustand. Von der rasanten Verbreitung des Virus geht eine doppelte Risikohaftigkeit aus: Durch die Pandemie werden Gesellschaften einerseits in einen besonders riskanten politischen, ökonomischen und sozialen Zustand versetzt. Andererseits wird das fundamentale Element menschlichen Zusammenlebens, das »in-Gesellschaft-sein«, zu einem gesundheitlichen Risiko für bestimmte soziale Gruppen und Subjekte, was wiederum den Ausgangspunkt für weitreichende politische, ökonomische und soziale Risiken bildet. Diese empirische Studie zu den gesellschaftlichen und sozialen Begleitfolgen der Pandemie untersucht in Interviews und thematischen Essays, wie Menschen in Deutschland die hervorgebrachten subjektiven und kollektiven Risiken wahrnehmen und bearbeiten.

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ISBN 9783593513232
Erscheinungsdatum 21.07.2021
Genre Soziologie/Sozialstrukturforschung
Verlag Campus
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Beiträge von Sören Altstädt
Beiträge von Sarah Lenz, Martina Hasenfratz, Natalia Besedovsky, Annerose Böhrer, Elisabeth Boßerhoff, Ekkehard Coenen, Marie-Kristin Döbler, Viola Dombrowski, Christian Eberlein, Michael Grothe-Hammer, Oul Han, Marc Hannapel, Martina Hasenfratz, Marco Hohmann, Roman Kiefer, Matthias Kullbach, Sarah Lenz, Ruth Manstetten, Nadine Maser, Sighard Neckel, Larissa Pfaller, Lukas Schmelzeisen, Tobias Schramm, Nina Sökefeld, Paul Weinheimer, Christian Baron
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FALTER-Rezension

Kann man über den Lockdown erzählen?

Andrea Roedig in FALTER 42/2021 vom 20.10.2021 (S. 37)

Soziologie: Ein Sammelband mit Interviews zur Corona-Pandemie als Gefahr und als Gleichmacher

Für eine kurze Zeit machte die Corona-Pandemie unsere Erfahrungen gleich. Im Lockdown zu sein bedeutete, sich in einer „gesamtgesellschaftlichen“ Situation wiederzufinden, die paradoxerweise darin genau bestand, das In-Gesellschaft-Sein zu unterbinden. Dieser Zustand steigerte das Mitteilungs- und Lesebedürfnis enorm, war Anlass für tonnenweise produzierte Corona-Tagebücher, ist aber auch ein gefundenes Fressen für soziologische Forschung.

Eine Gruppe deutscher Nachwuchswissenschaftler machte sich bereits im April 2020 daran, narrative Interviews über die Erfahrungen mit dem ersten Lockdown und über gefühlte Risiken der Pandemie zu führen. Dass das Buch mit den Ergebnissen erst jetzt erscheint, ergibt einen interessanten verfremdenden Effekt, denn die frühe Zeit der Pandemie, ohne Impfung und Medikamente, scheint fast schon vergessen und wirkt im Rückblick noch einmal bedrückender klaustrophob: „Und dann die ganze Nacht über hatte ich eigentlich nur darüber nachgedacht, was ist, wenn sie irgendwie ansteckend ist?“, erzählt eine 28-jährige Lehrerin über ein geplantes Treffen mit einer Freundin, das sie schließlich absagt.

60 Interviews haben die Soziologinnen und Soziologen geführt, 25 davon sind im Buch zu Porträts beziehungsweise Situationsbeschreibungen ausgearbeitet und von theoriegeleiteten Essays flankiert, die sich etwa kritisch mit der Heroisierung bestimmter Berufsgruppen beschäftigen oder mit der Bevorzugung traditioneller Familienformen bei den Corona-Maßnahmen.

Als Leitfaden für die Interviews dient Ulrich Becks fast in Vergessenheit geratene Theorie der „Risikogesellschaft“ aus den 1980er-Jahren, derzufolge technischer Fortschritt in der Moderne immer neue Risiken schafft, die zu weiterer Modernisierung zwingen, wobei manche Bevölkerungsgruppen mehr und manche weniger unter den Folgelasten der Innovation zu leiden haben. Covid-19 lasse sich als eine Facette der „Risikogesellschaft“ verstehen, lautet das Fazit.

Die Frage nach der Gefahreneinschätzung und dem persönlichen Risikoverhalten spielt folglich eine zentrale Rolle in den Porträts. Wie stehen die Befragten zu den Pandemiemaßnahmen der Regierung, wie versuchen sie sich zu schützen? Eine Studentin im Sample etwa hat zu Beginn der Pandemie einen Job in einem Supermarkt angenommen, sich aber bereits nach dem ersten Arbeitstag vom Kassendienst wieder befreien und für kontaktärmere Tätigkeiten einteilen lassen.

Eine Managerin arbeitet unbeeindruckt im Homeoffice weiter und hatte ihr Leben schon vor der Pandemie krisenstabsmäßig im Griff, inklusive Toilettenpapiervorrat, „noch bevor es die Witze darüber gab“. Die Mutter eines chronisch kranken Kindes bleibt gelassen, weil sie die Angst um ihren Sohn schon seit Jahren kennt. Ein Krankenpfleger sieht sich aufgrund seines Risikoberufs selbst als Gefahr für andere und fordert die „harte Tour“ vom Staat. Ein Ladenbesitzer hält, nachdem Bekannte in seinem Umfeld symptomlos erkrankt sind, Covid-19 für eine statistische Verirrung.

Krankenpfleger, Assistenzärztin, Student, Schauspielerin, Schülerin, Geflüchteter in einer Wohngemeinschaft, Tanzlehrerin, Manager mit Arbeitsplatz in Tokio, Altenpflegerin, Verkäuferin, Malerin, Lehrerin, pensionierter Verfahrensmechaniker – das Sample der Befragten ist weit gestreut, die Lebensrealitäten und Lebensalter sehr verschieden, und doch lesen sich diese Berichte auf fast erstickende Weise ähnlich.

Das liegt zum einen an dem frühen Zeitpunkt der Interviews im April und Mai 2020, der Lockdown war da gerade ein paar Wochen alt und die Aussagen zur Pandemie fielen entsprechend unsicher und abwartend aus. Zudem kommt trotz des weiten Interviewspektrums hier nur die Mittelschicht in ihren Aussagen vor – wirkliche Extreme und Ausreißer gibt es nicht. Dass alles ähnlich klingt, liegt aber auch an der Forschungsmethode.

Diese Pandemieerfahrungen sind keine direkten Icherzählungen von Betroffenen, sondern Berichte, gefiltert und geformt durch den Blick der Soziologen und Soziologinnen, die ihrerseits als Ich im Text auftauchen und sich in ihrer Rolle als Beobachterinnen beobachten: „Ich komme mir ein bisschen wie ein Schaulustiger vor, der in eine Art Terrarium glotzt.“

Die 25 Porträts sind also auch Forschungstagebücher, Corona-Erzählungen zweiter Ordnung sozusagen. Die Rechnung geht an manchen Stellen auf, an anderen wiederum scheint es, als störten sich die beiden Perspektiven oder dämpften sich gegenseitig ab. Wie müssen wir erzählen, um mehr zu erfahren, als wir schon wissen? Diese aus narrativen Interviews gewobenen „soziologischen Geschichten“ jedenfalls sind im Ton noch viel zu zaghaft. Vielleicht haben wir aber auch, bereits abgestumpft, zu viele Corona-Erzählungen gehört und gelesen.

Der Überdruss am Thema spielt dem Buch nicht gerade in die Hände. Wichtig aber ist vor allem der Versuch, einen in ­Vergessenheit geratenen kritischen Diskurs über „Risiko“ wieder zu beleben. In einem der Essays im Band erinnert Michael Grothe-Hammer an Niklas Luhmann. Der Gegenbegriff zu „Risiko“ sei nicht „Sicherheit“, hat der gesagt, denn Sicherheit sei eine Fiktion. Anders als die „Gefahr“, die einem von außen zustoße, sei Risiko durch eigenes Verhalten beeinflussbar, wenn auch niemals ganz zu vermeiden. Warum wird in unserer Gesellschaft Covid-19 vornehmlich als vermeidbares Risiko wahrgenommen, nicht als Gefahr?, fragt Grothe-Hammer. Auch darüber, wie „Gesundheit“ zum politischen Thema und „Krankheit“ zum Risiko geworden ist, lohnt es sich, weiter nachzudenken.

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