

Wehe, du schreibst einmal darüber
Sebastian Fasthuber in FALTER 46/2021 vom 19.11.2021 (S. 36)
Die US-Autorin Carmen Maria Machado (Jg. 1986) zählt zur Speerspitze der queeren Literatur. Ihre Texte richten den Blick auf den weiblichen Körper in einer von Männern geprägten Gesellschaft, dabei sind sie zugleich sinnlich, fantasievoll und hochreflektiert.
Der literarische Anspruch spiegelt sich in der Rezeption: Machados Erstling, der Erzählband "Ihr Körper und andere Teilhaber", war für den prestigeträchtigen National Book Award sowie 28 (!) weitere Preise nominiert, immerhin zehn davon gewann er. Ihr Romandebüt "Das Archiv der Träume" (Originaltitel: "In the Dream House") nimmt ein Thema ins Visier, das von Literatur wie auch Film bislang wenig behandelt wurde: Missbrauch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Es handelt sich um eine Autofiktion, erzählt wird Machados eigene Leidensgeschichte. Nach einer kurzen religiösen Phase in der Jugend und halbherzigen Versuchen mit jungen Männern geht sie relativ spät ihre erste Beziehung mit einer Frau ein. Beide sind angehende Schriftstellerinnen.
Nach einer traumhaft schönen ersten Zeit und großartigem Sex beginnt Carmens zierliche, blonde Freundin sie zu überwachen, zu manipulieren und wüstest zu beschimpfen. "Ich verbiete dir, jemals darüber zu schreiben", sagt sie eines Tages. Letztlich sollte sich Machado nicht daran halten - ein persönlicher Triumph.
"Das Archiv der Träume" geht jedoch weit über eine biografische Aufarbeitung hinaus. Das Buch ist eine hochgradig artifizielle Konstruktion. Die Autorin beleuchtet die toxische Beziehung in jedem der kurzen Kapitel aus einer anderen Perspektive, sie spielt literarische Formen vom Bildungsroman bis zur Gespensterhausgeschichte durch und unternimmt dazwischen gut dosierte Ausflüge in Literaturgeschichte und Erzähltheorie. Diese Exkurse stören überhaupt nicht, vielmehr bereichern sie das Buch sogar und lenken auch ein wenig davon ab, wenn im Kapitel davor wieder etwas Arges passiert ist.
Ein schauderhaft schönes Buch, samt amerikanischem Happyend als Draufgabe.