

„Mummy-Style? Das ist die Katastrophe an sich“
Barbaba Tóth in FALTER 18/2016 vom 06.05.2016 (S. 43)
Die Münchner Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken über unschuldige und überpraktische Müttermode, den spezifischen Stil deutscher Mütter und warum Französinnen es am Ende doch besser machen
Vinken ist Literaturwissenschaftlerin, aber einem breiten Publikum wurde sie durch zwei populärwissenschaftliche Bücher bekannt. In „Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos“ beschreibt sie, wie sich das Mutterbild seit der Reformation gewandelt hat. In „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“ erklärt sie, welchen Zyklen Moden unterworfen sind und welchen Einfluss die Emanzipation der Frau unter anderem auf Männerkleidung hat. Was liegt also näher, als im Vorfeld des Muttertages mit Barbara Vinken über Mütter und ihre Kleider zu sprechen?
Falter: Frau Professor Vinken, wie hat sich die Mode für Mütter historisch verändert?
Vinken: Im Ancien Régime gab es noch gar keine spezielle Mode für Mütter. Maria Theresia hatte 16 Kinder. Man schnürte dann eben einfach das Korsett nicht so eng und ließ die Kleider lockerer fallen. Auf Renaissancebildern sieht man bei unter der Brust geschnürten Kleidern im Empire-Stil bloß, dass die Falte eben weiter aufgeht und den Bauch fasst. Im 20. Jahrhundert war das Sehen des Bauches ein großes Problem. Zum Beispiel durften Lehrerinnen nicht unterrichten, wenn sie schwanger waren. Das galt als unzüchtig und unschicklich. Der schwangere Körper machte offensichtlich, dass frau Sex hatte – damals, das war vor der Möglichkeit künstlicher Befruchtung. Deswegen setzte die Muttermode sehr lange auf Unschuldigkeit. Kleine Blümchen, Rüschen, Pastellfarben sollten das Offensichtlichwerden des Sex vergessen machen. Die Gegenbewegung in den 1960er-Jahren setzte dafür auf die besondere Betonung der Schwangerschaft. Schlauchartige Ringelkleider setzten den Bauch kugelrund ins rechte Licht. In den letzten Jahren, scheint mir, gehen wir wieder zurück ins Ancien Régime: Es gibt keine spezielle Schwangerenmode mehr, sondern man trägt Kleider, die vielleicht weiter geschnitten sind, im Empire-Stil, in A-Linie, die man dann auch später weiter tragen kann. Oder sehr tief sitzende Hosen. Nichts mehr zu verstecken, aber auch nichts, was betont werden müsste. Schwangerschaft als auch normaler Teil des Lebens.
Die typische Mutter in Wien, aber auch
in Berlin oder München trägt derzeit
gerne einen Parka, eine Umhängetasche,
dazu Sneaker und eine schmal geschnittene Jean, Lederleggings. Es scheint die Standardausrüstung zu sein.
Vinken: Das Wort Standardausrüstung passt gut zu dem, was Sie beschreiben. Da denkt man immer an Im-Dienst-Sein, quadratisch, praktisch, gut. Eine Ausnahmesituation, in der es zu bestehen gilt. An Firlefanz wie Mode kann jetzt nicht gedacht werden und morgens gibt es Wichtigeres als Lippenstift. Meine Kleidung soll funktionieren, im Alltag mit den Kindern praktisch und vor allem bequem sein; schön oder elegant ist anders.
Finden Sie die Kombination aus Parka, schmalen Hosen und Sneakern hässlich?
Vinken: Hässlich nicht. Nichtssagend. Stellen wir uns als Gegenmodell einmal ein Polkadot-Kleid aus den Fünfzigerjahren vor, dazu Pumps mit Pfennigabsätzen. Oder ein weit schwingendes Blumenkleid, einen Bleistiftrock mit Bluse und High Heels. Was urbane Mütter einer bestimmten Schicht in Österreich und Deutschland derzeit gerne tragen, ist Normcore, definitiv.
Sie haben diese Mode, vor allem das Zeigen der Beine in eng anliegenden Hosen aus Leder, Jeansstoff und Ähnlichem, in ihrem Buch „Angezogen“ als Folge der Emanzipation beschrieben. Früher, zur Zeit Ludwigs des Sonnenkönigs etwa, war es mächtigen Männern vorbehalten, ihre Beine so zu inszenieren. Dass es jetzt Frauen machen, zeigt, wie viel Macht sie in der Gesellschaft dazugewonnen haben. Inszenieren sich Mütter deswegen so?
Vinken: Diese Silhouette ist inzwischen ja eigentlich schon wieder überholt. Man geht zurück zu den Fifties, zu den Seventies: weite Röcke, wieder länger, bei den Hosen ist man wieder bei der Culottes. Diese in meinem Buch beschriebene hochbeinige Linie ist zwar noch die Standardlinie, aber sie ist keine modische Linie mehr. Was mir auffällt, wenn ich deutsche oder österreichische Mütter mit kleinen Kindern sehe, ist, dass sie im Gegensatz zu Italienerinnen oder Französinnen nicht die Weiblichkeit feiern, sondern das Praktische betonen. Sie verwischen das Weibliche zugunsten der Funktion. Ich würde nicht sagen, dass da etwas Emanzipatives dran ist, im Gegenteil. Es entspricht ganz der alten Linie: mehr Mutter, weniger Frau.
Die deutsche oder österreichische Mutter ist also immer noch eine andere, mit anderen Vorstellungen und anderem Stil?
Vinken: Ja. Das Sich-Schmücken als Frau ist für italienische oder französische Frauen auch weiterhin selbstverständlich, nachdem sie Mutter geworden sind. Bei uns wirkt es wie ausradiert, ausgelöscht, durchgestrichen. Ein Parka, Turnschuhe – das sind starke sportliche, paramilitärische Elemente. Sie betonen Funktionalität, nicht Schönheit.
Lassen sich solche nationalen, funktionalen Moden aus der deutschen Kulturgeschichte erklären?
Vinken: Die Aristokratie in Deutschland wollte sich aus dem Geist der Aufklärung bildungsbürgerlich mit einem Bild von der Mütterlichkeit reformieren, die das Gegenbild zur weiblichen Verführung, zu Weiblichkeit schlechthin sein sollte. Weiblichkeit, das war Manipulation, Gefahr, Verstörung, Zerstörung. Die Mutter hingegen galt als integre, heilsbringende Kraft, als opferwillig, liebend und vernünftig. Pestalozzi formuliert die Alternative zwischen Mutter und Frau am klarsten: Weltweib oder Mutter. Weltweib stand für Eitelkeit, Mondänität, selbstverblendeten Egoismus: All das sollte die gute Mutter reformieren und läutern. Die Mutter wird nicht biologisch gedacht, sondern sie bestimmt sich durch richtiges, ethisches Verhalten. An ihrem Wesen soll die Welt genesen.
Dieses Bild haben die Nationalsozialisten auch aufgegriffen und es wirkt offenbar noch lange nach. So lange, dass es inzwischen eine Art Sehnsuchtsliteratur gibt, die die französische Mutter heroisiert. Dazu gehören Stilbibeln, wie man so gelassen und schick wie Pariser Mamas wird, Ratgeber, die einem erklären,
warum französische Kinder nicht schreien.
Wie halten sich solche kulturellen Unterschiede so lange?
Vinken: Den Französinnen suggeriert niemand, dass sie aufhören müssen, Frauen zu sein, wenn sie Kinder kriegen; niemand verlangt von ihnen, dass sie Halbzeit arbeiten und damit nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Vorstellung, dass nach dem Kind eben nicht alles ganz anders ist als davor, ist entspannend. Französische Frauen bekommen Kinder und arbeiten weiter, sie hängen ihr Liebesleben nicht an den Nagel – und sie tauschen ihren Kleiderschrank nicht aus. Sie steuern eben nicht auf die Total-Conversion zu. Es ist nun mal amüsant und emanzipiert, Mutter zu werden und Frau bleiben zu dürfen. Und auch nicht gleich als karrierebehindert zu gelten. Französinnen, die ihre Kinder in die Krippe bringen, sind geschminkt und tragen hohe Schuhe; sie sind schließlich auf dem Weg zur Arbeit. Und sehen eben nicht wie Mutter im Volldienst aus. Wenn Frauenmagazine vom Mummy-Style reden, dann ist das schon die Katastrophe an sich.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen:
"Mode ist gefährlicher, als man denkt"
Klaus Nüchtern in FALTER 49/2013 vom 06.12.2013 (S. 28)
Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken erklärt, warum man Mode weder kontrollieren noch ignorieren kann
Mitte November weilt Barbara Vinken gerade in Wien, um im Rahmen der Veranstaltung "Gender tun und lassen" aus ihrem soeben erschienenen Buch "Angezogen. Das Geheimnis der Mode" zu lesen. Vinken ist sehr angezogen. Sie trägt unter anderem einen Pelzmantel aus Neapel und Strümpfe, die gerade genug Fäden haben, um als Strümpfe gelten zu können. Nicht unbedingt das Standardoutfit einer deutschen Professorin der Literaturwissenschaft. In ihrem eingängigen und erfreulich jargonfreien Buch (siehe Rezension in Falter 45/13) befasst sich Vinken mit der Entindividualisierung und -erotisierung der Männermode in der Moderne, mit der Illusion Unisex oder der zeitdiagnostischen Sensibilität von Designern wie Junya Watanabe, Martin Margiela oder Alexander McQueen.
Falter: Es ist ein bisschen plump, aber bevor ich es vergesse, muss ich Sie natürlich fragen, was Sie heute tragen.
Barbara Vinken: Alaïa. Ein unglaublich schweres Kleid, es wiegt mindestens drei Kilo.
Sie waren gerade auf einer Indienreise. Wie groß ist denn Ihr Koffer?
Vinken: Winzig.
Und was kommt dann rein?
Vinken: Nur die paar Sachen, die ich anziehe – und nicht so viele Schuhe.
Wie viel sind nicht viele Schuhe?
Vinken: Wirklich nur drei Paar.
Und wie oft müssen Sie Boutiquen aufsuchen, um doch noch was nachzukaufen?
Vinken: Eigentlich selten. Ich finde es allerdings schön, wenn man auf Reisen Zeit hat, um ein bisschen einkaufen zu gehen.
Was haben Sie aus Indien mitgebracht?
Vinken: Natürlich Seide und Saris. Ich habe mir auch einige Designer angesehen, wobei das Interessante ist, dass die viele europäische Einflüsse aufgreifen. Es sieht ein bisschen aus wie Laura Ashley in den 80er-Jahren, nur schöner.
Sie fliegen Economy?
Vinken: Ich habe kein Honorar gekriegt, dafür bin ich Business geflogen.
Und sind auch noch nie wegen offener Schuhe strafversetzt worden?
Vinken: (Lacht.) Diese Geschichte, die ich in meinem Buch beschreibe, hat sich wirklich zugetragen. Das war eine Dame, die nach Miami flog und wunderbare Blahniks anhatte – allerdings mit nackten Zehen. Und die ist in die Economy versetzt worden und hat es sich auch noch gefallen lassen!
Wo samma?
Vinken: Wo samma, genau! Daran können Sie sehen, dass die USA kein vollständig zivilisiertes Land sind. Dass die Sandale kein Sportartikel, sondern ein hoch raffiniertes, durchstilisiertes Schuhwerk ist, hat man dort noch nicht hinreichend erfasst.
Ästhetisches Raffinement war im linken Milieu der 80er-Jahre, als wir studierten, auch nicht gerade angesagt, oder?
Vinken: Es war geradezu unschicklich. Wer sich bewusst anzog, galt als bürgerlich, spießig, tussig, reaktionär.
Wie sind denn Sie aufgetreten?
Vinken: Ich hatte wohl eine Punk-Phase.
Punk-Punk oder Haute-Couture-Punk?
Vinken: Also nicht Punk-Punk, aber ich hatte mir Wolfsfelle in die Mäntel genäht
Wo, bitte, kriegt man Wolfsfelle her?
Vinken: Die hatte ich auf dem Speicher gefunden. Außerdem strickte man damals noch, und ich habe mir goldene, ganz kurze Kleider gestrickt. Mir hat es immer Spaß gemacht, mich anzuziehen.
Rückblickend haben diese 80er-Jahre aber auch was Rührendes, oder? Indisches Kleidchen, kein BH, Haare, wo sie wachsen – passt schon. Der Körperstylingterror war noch nicht ausgebrochen.
Vinken: Der war noch sehr fern, ja.
Wann ist es gekippt?
Vinken: 1984, 1985.
Was ist da passiert?
Vinken: Abgesehen davon, dass Kohl mittlerweile an der Regierung war – eine interessante Frage. Man sagt ja, dass das "die Wende" war, vielleicht also auch eine Wende zur Reaffirmation von Dekadenz?!
Sogar die Linke hat sich zaghaft der Ästhetisierung geöffnet.
Vinken: Ja, Oskar Lafontaine hat abgenommen, der Körper kam ins Spiel.
Lief das parallel?
Vinken: Ich glaube schon. Es gab auch eine irre Renaissance des Dandys.
Alle lasen Walter Benjamin.
Vinken: Genau. Und der hatte über Adorno gesiegt. Der dandyeske Ästhet hat sich gegen den Dogmatiker durchgesetzt, und das französische Denken gegenüber dem Frankfurter Denken.
Weil Derrida besser angezogen war als Habermas?
Vinken: Viel besser! Aber auch die Vorstellung, dass man nicht nur klar, sondern gut schreiben und mit dem Material der Sprache kunstvoll umgehen kann, hat geholfen, diese Verdammung des Ästhetischen, die ja auch ein Machtdispositiv war, zu durchbrechen.
Ein deutscher Germanist hat mir eine hübsche Anekdote erzählt: Als Jürgen Habermas mal richtig fesch essen gehen wollte, hat er alle in eine Wienerwald-Filiale ausgeführt.
Vinken: Da haben Sie recht: Dem Hedonismus war diese Zeit nicht eben zugeneigt.
Der übertriebenen Körperpflege auch nicht, aber irgendwann mussten sich Frauen die Beine rasieren.
Vinken: Vielleicht war das auch so etwas wie der Beitritt Deutschlands zu Westeuropa, denn in Frankreich und Italien haben die Frauen das eh schon immer gemacht – und in den USA erst recht. Die ganze Freikörperkultur war ja eine Anti-Stil-Kultur: Der Körper ist naturgegeben schön, der nackte Körper ist ein guter Körper – und im Übrigen auch ein a-erotischer. Es versteht zum Beispiel kein Mensch, warum es bei uns noch gemischte Saunen gibt. Außer den Deutschen finden das doch alle bizarr!
Die Popsängerin Amanda Palmer, die einen Anti-Schamhaarrodungszwang-Song geschrieben hat, meinte unlängst, sich als Frau zu rasieren, sei dann okay, wenn man darin so frei sei, wie die Männer es sind. Ist das nicht naiv?
Vinken: Das ist völlig naiv. Außerdem sind die Männer dem Grooming-Terror mittlerweile ja ebenfalls unterworfen. Dass einem bis aufs letzte Schamhaar vorgeschrieben wird, wie der Körper auszusehen hat, ist schon eine Totalerfassung.
In Ihrem Buch zitieren Sie die wunderbare neuseeländische Band Flight of the Conchords: "You think you know fashion / Well fashion is a stranger / You think fashion is your friend / My friend, fashion is a danger". Würden Sie das unterschreiben?
Vinken: Ich glaube, ich habe das in Zusammenhang mit Marie Antoinettes Modepolitik zitiert, die ja wirklich fatal war. Das gilt eigentlich für alle Menschen, die im öffentlichen Leben stehen, vor allem für Frauen. Was gab es nicht für einen Aufruhr über das Dekolleté von Frau Merkel in Bayreuth?! Insofern ist Mode gefährlicher, als man gemeinhin denkt.
Wie finden Sie denn Angela Merkel?
Vinken: Trägt Farbe. (Lacht.) Sie haben übrigens ein schönes Hemd an, wenn ich das mal sagen darf – très jolie!
Und was sagen Sie zu einem Politiker, der sich so stylt?
Vinken: (Betrachtet die ihr gereichte Falter-Seite) Was ist denn das für einer?!
Jörg Haiders Ex-Lebensmensch, der Ex-BZÖ-Abgeordnete Stefan Petzner. Das Bild ist übrigens im Plenum des Parlaments aufgenommen worden.
Vinken: Das heißt, es gibt keine Kleiderordnung im österreichischen Parlament?! Man darf da Sneakers tragen? Find ich ja hot. Voll aufgestylt! Diese Sneakers (Jeremy Scott: Wings 2.0 "Stars & Stripes" für Adidas, Red. ) waren ein totaler Fetisch der Schwarzen.
Mode ist nicht nur gefährlich, weil man sich vergreifen kann, sie ist auch nie unschuldig, weil man ihren Bedeutungsüberschuss nicht kontrollieren kann, oder?
Vinken: Ne. Es passiert hinter unserem Rücken. Es ist ähnlich wie mit der Sprache, die wir auch nie vollständig kontrollieren: Analog zu "Es spricht uns", könnte man auch sagen: "Es zieht uns an". Man kann auch nicht "modefrei" sein, weil das ein System ist, in dem man sich artikulieren muss.
You cannot not communicate.
Vinken: Exactly!
Wobei es zwei Extrempole gibt: das Fashion-Victim und den A-Modischen. Und beide sind gleich hilflos, oder?
Vinken: Es gibt jedenfalls eine sehr aggressive Indifferenz gegenüber Stil: "Ich habe es gar nicht nötig, mich anzuziehen, weil ich ohnedies authentisch bin." Das ist eine narzisstische Verblendung. Ob es den anderen Typus noch gibt, weiß ich gar nicht. Der Sprechakt in diesem Falle wäre wohl eher: "Heutzutage geht alles"; so, als ob es Mode gar nicht mehr gäbe. Das stimmt aber nicht: In 20 Jahren werden wir erkennen, was der Stil von heute gewesen ist.
Sie sind ja Teil des akademischen Jetsets. Wo sind Professoren am besten angezogen?
Vinken: In Italien und Frankreich. Die Stilisierung ist in England am höchsten – die Tweedjacke! –, und die USA sind am korrektesten und konformsten.
Sehen die dann aus wie Intellektuelle aus Woody-Allen-Filmen?
Vinken: In New York schon.
Wobei dieses Understatement nicht ohne Raffinement ist, oder?
Vinken: Es ist eine im höchsten Maße inszenierte Hilflosigkeit und Stilunsicherheit, was in der Tat sehr raffiniert ist.
Und Frauen wie Diane Keaton in "Manhattan" fallen drauf rein – mission accomplished!
Vinken: Keaton ist dort eigentlich der klassische Newport-Dandy, aber der Zweck des männlichen Mode-Understatements wird natürlich völlig erfüllt.
Weil der mütterliche Reflex getriggert wird?
Vinken: Absolut! Ein Beschützerreflex erster Ordnung.
Ich möchte Ihnen ein Zitat vorlesen:
"Die Deutschen aus der besten Gesellschaft halten es mit den Engländern: Sie sind zufrieden, wenn sie gut angezogen sind. Auf Schönheit wird verzichtet. Gut angezogen sein, was heißt das? Das heißt, korrekt angezogen sein."
Vinken: Hört sich an wie Adolf Loos.
Ist auch Adolf Loos.
Vinken: Ein klassischer Vertreter der Moderne. Von ihm stammt ja auch das wunderbare Zitat: "Die weibliche Mode – ein grässliches Kapitel in der Kulturgeschichte." Die Mode-Utopie der Moderne besteht darin, dass die Mode aufhört. Damit hatte sie allerdings unrecht, und letztendlich hat die Ästhetik der Postmoderne gewonnen.
Die Denkfigur ist dem Marxismus sehr ähnlich: Mit der klassenlosen Gesellschaft kommt auch die Geschichte an ihr Ende?!
Vinken: Die Hoffnung ist dieselbe: dass die Figuren der Rhetorik und die Künstlichkeit aufhören und man endlich so ist, wie man ist.
Aus irgendeinem Grund ist die Dialektik der Mode aber nicht stillzustellen?
Vinken: Das ist nun mal Fakt. Und ich würde auch sagen: Gott sei Dank!
Was haben die Apologeten der Mode-Moderne nicht kapiert?
Vinken: Ich glaube, dass die von einem Phantasma der Eigentlichkeit heimgesucht wurden. Aber egal, ob es sich um die Muttersprache oder um die Mode handelt: Man gerät immer in Strukturen, die einen bestimmen. Hinter der Modeverdammung steht eine trügerische Vorstellung von Selbstermächtigung.
Sie zeigen in Ihrem Buch, dass die Moderne in der Moderne – von Loos bis Coco Chanel – auf die Vermännlichung der Frauenmode setzt.
Vinken: Ja, ganz generell besteht das Interessante und Reizvolle an der Mode darin, dass sie immer eine Übertragung ist. Mode ist Rhetorik, eine eigentliche Kleidung gibt es nicht.
Die jeweils propagierte Schlichtheit ist immer artifiziell?
Vinken: So ist es. In der Frauenmode verläuft das meist über Antikisierung: "wie in feuchte Tücher gehüllt". Unter den Musselinkleidern wurden dann aber enge, hautfarbene Trikots angezogen, denn denen war schon klar, dass es Cellulite gibt.
Eine Instanz, die der Moderne widerstrebt, ist der Orientalismus. Woher kommt der?
Vinken: Der ist zum einen etwas Empirisches: Das Modegeschäft von Rose Bertin (Hoflieferantin von Marie Antoinette, Red.) hieß Grand Mogol. Und die moderne Silhouette, die sich der Abschaffung des Korsetts verdankt, ist durch eine Übernahme aus dem nordafrikanischen Raum entstanden: weiße, fließende Seiden, die auf der nackten Haut getragen werden. Außerdem kommt fast jede Stoffart aus dem Orient. Was ich mit "Orientalismus" meine, ist aber der Umstand, dass die Mode als das Andere im Herzen der Moderne stigmatisiert wird: Sie ist noch nicht ganz modern, sondern immer nur auf dem Weg dorthin. Sie gilt als tyrannisch und nicht entwicklungsfähig, dem immer gleichen erotischen Kult verfallen: das Gegenteil von dem, was Rousseau und die Republikaner alle wollten.
Ist so etwas wie Fortschritt in der Mode denkbar?
Vinken: Natürlich nicht.
Aber Revolution?!
Vinken: Das schon.
Sie schreiben, dass es "einer Revolution unseres Gesellschaftskörpers" gleichkäme und sich alle Institutionen ändern würden, falls die Männer in der Mode "die Zeit der großen Entsagung" hinter sich ließen. Vom Standpunkt einer marxistischen Orthodoxie ist das höchst frivol!
Vinken: Ich meinte das eher seismografisch: dass man das dann als Symptom lesen könnte.
Okay, da befinden Sie sich doch noch auf dem Boden marxistischer Rechtgläubigkeit.
Vinken: Danke, das freut mich, dass Sie so großzügig sind.
Apropos Marxismus: Sie schreiben auch, dass die Frauenmode klassenneutral wäre und eher die Sexualmoral entscheidend sei. Herrscht da nicht eine Art Isomorphie?
Vinken: Wie meinen Sie das?
Also wenn Julia Roberts auf der Leinwand die Titten fast aus dem Top kollern, dann ist sie Prostituierte oder Unterschicht.
Vinken: Da haben Sie recht. In der Mode verfügt die Lady, die ja aus einer Klasse kommt, souverän über ihre Reize und muss diese nicht an den Mann bringen. Sie signalisiert, dass sie als Sexobjekt nicht auf dem Markt ist – ohne deswegen a-erotisch zu sein. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, denn die treibende Kraft in der Mode des 19. Jahrhunderts waren die Kokotten und die Kurtisanen, Chanel war ja selber eine. Die selbstständige, nicht verheiratete Frau kommt eigentlich aus diesem Milieu.
Sie schreiben ja auch, dass die Eckpfeiler der Frauenmode Dame und Hure sind.
Vinken: Ich habe aber möglicherweise eine vergessen, nämlich die souveräne, selbstständige Frau.
Haben Sie die letzte "Mad Men"-Staffel schon gesehen?
Vinken: Nein, ich bin dort stecken geblieben, wo Don Drapers Ehe mit dieser reizenden Kanadierin ins Kriseln gerät.
In Ihrem Buch vergleichen Sie Betty Draper mit Joan Holloway.
Vinken: Betty ist natürlich eine höhere Tochter und Ehefrau, wohingegen Joan das Prostituierten-Register bedient. Die emanzipatorischen Potenzen, die da möglicherweise im Verfügen über die eigenen Reize liegen, würde ich mir aber gerne noch einmal genauer ansehen.
Vor allem müssen wir natürlich die dritte Figur in Betracht ziehen: Peggy Olson.
Vinken: Das ist die Selbstständige, genau.
In der Mode ist sie freilich hilflos.
Vinken: Sie verbessert sich aber! Sie ist überhaupt super – meine Lieblingsfigur. Die verliebt sich auch einfach und setzt ihre Sexualität nie als Marktwert ein. Am Anfang ist sie ganz naiv, kapiert dann aber alles sehr schnell. Sie ist diejenige, die die Milieus zu überschreiten vermag.
Hatte "Mad Men" eigentlich Rückkoppelungseffeke in die Modewelt?
Vinken: Natürlich. Es gab sogar eine riesige Banana-Republic-Kampagne, die sich nur auf "Mad Men" bezog. Die Serie ist überhaupt irre modisch: Die Kleider reden eigentlich mehr als die Worte.
Aber was spricht uns eigentlich an? Ist es nicht auch eine seltsame Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Sekretärinnen noch bomb shells waren?
Vinken: Find ich gar nicht. Es ist doch eine superfeministische Serie, die den Sexismus und auch den Antisemitismus dieses Milieus auf eine unglaubliche Weise bloßstellt – nämlich nicht durch Denunziation, sondern indem sie die Mechanismen aufzeigt.
Die Idee, dass man sich zu Mittag schnell mal drei Martinis hinter die Binde gießt, kann man aber schon ein bisschen genießen?
Vinken: Ja, da sind wir nun in der Tat erstaunlich puritanisch geworden. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, mittags einen Drink zu nehmen.
Am Schluss Ihres Buches kommen Sie auf die Mode der Gegenwart zu sprechen. Es liest sich wie Kunstexegese. Und es ist ja wohl auch mehr Kunst – oder kennen Sie Menschen, die Slimane-Anzüge und Kleider von Watanabe tragen?
Vinken: Natürlich.
Auch ein Kleid aus der "Dress meets Body"-Kollektion, in der man wie umoperiert aussieht?!
Vinken: Das habe ich mir gekauft.
Und auch getragen?!!
Vinken: Ja, das ist ein Do-it-yourself-Dress: Man kann die Polster selber arrangieren oder auch rausnehmen und das wie ein ganz normales Sommerkleid tragen. Es stimmt aber natürlich, dass die Modeschauen immer theatralischer werden und ein Image kreieren, das in der Kollektion dann gar nicht mehr umgesetzt wird. Das war früher anders. Es sitzt heute ja auch nicht mehr die Kundschaft dort, sondern die Gesellschaft, die sich inszeniert.
Das schreiben Sie auch einmal in Ihrem Buch: Die ganze Welt war wieder mal in Paris, um sich die neue Kollektion von So-und-so anzusehen. Tatsächlich ist es ein totales Minderheitenprogramm
Vinken: Ja gut, aber tout le monde war nie die ganze Welt, sondern immer nur die, auf die's ankam. Mode war früher noch viel elitärer – geheimgehaltenes Wissen. Heute hängt alles in vier Wochen bei Zara und H&M. Es ist eine totale Demokratisierung, allerdings auf Kosten der Dritten Welt.
Kaufen Sie denn bei Zara ein?
Vinken: Für mein Kind.
How low do you go? Was ist denn das Billigste, was Sie für sich einkaufen?
Vinken: (Lacht.)
Sind Sie ein Snob?!
Vinken: Nee, ich mag ja auch Vintage und finde es sehr attraktiv, etwas anzuziehen, was Leute davor schon mal aussortiert haben. Dieses Moment der Revalorisierung ist derzeit sicher das interessanteste Modephänomen. Aber ich bin total altmodisch und habe einen Fetischismus fürs Handwerk, für die Qualität der Materialien und Verarbeitung.
Ihr teuerstes Kleid?
Vinken: Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Sie können mir ja die Marke verraten, ohne den Preis zu nennen.
Vinken: Alaïa. Mehr muss es echt nicht
kosten.
Was Mode heute ist, zeigt sich an Barack & Michelle
Kirstin Breitenfellner in FALTER 45/2013 vom 08.11.2013 (S. 28)
Früher waren die Männer das schöne, erotisierte Geschlecht. Sie schminkten und schmückten sich, trugen Schuhe mit Absatz, die Waden zur Geltung bringende Kniebundhosen. Mit per Schamkapsel herausgearbeitetem Geschlecht fochten Adelige einen im Wortsinn beinharten Wettbewerb aus. Erst mit der bürgerlichen Revolution wurde der Körper des Mannes im Anzug uniformiert. Seitdem gilt das Paradigma "Frauen erscheinen, Männer sind". Bis heute dient weibliche Mode dazu, körperliche Reize herauszustreichen und die Individualität ihrer Trägerin zum Ausdruck zu bringen, während die männliche Mode nicht einmal diesen Namen verdient. Menswear lautet der passende Begriff für diese hinter ihrer Funktionalität verschwindende Kleidung. Barack und Michelle Obama führen es in Reinform vor: er ganz elegante Uniformität, sie kunstvoller Individualismus.
"Die Mode der Moderne ist das Resultat des Zusammenbruchs einer kosmischen Ordnung", behauptet die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken und meint damit nicht nur die Ständegesellschaft, sondern auch die Geschlechterhierarchie. Ihr Buch "Angezogen" versucht nicht nur, diesen Umbruch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts nachzuzeichnen, sondern auch der Faszination der Mode auf die Schliche zu kommen.
Dazu ruft sie stilprägende Figuren wie Marie Antoinette und Philippe d'Orleans auf, der als Sansculotte mit langen Beinkleidern und kurzen Haaren als Vorläufer der Männermode der Moderne gelten kann. Den theoretischen Hintergrund liefern Hegel, Nietzsche, Rousseau und Baudelaire, Simmel und Bourdieu – allerdings ohne dass sich Vinken zu einer stringenten Interpretationslinie durchzuringen vermag. Am besten wird ihre eigene Leidenschaft für Mode bei der Interpretation von Haute-Couture-Kollektionen seit den 1980er-Jahren spürbar: von der revolutionären (Anti-)Ästhetik des japanischen Trios Miyake, Comme des Garçons und Yamamoto über das Memento mori der Kollektionen von Alexander McQueen bis zum Dekonstruktivismus des Maison Martin Margiela.
Lesung: 17.11., 20.30 Uhr im Odeon