

Als der Weltgeist in Deutschland und Österreich zu Hause war
Ulrich Rüdenauer in FALTER 11/2018 vom 14.03.2018 (S. 40)
Die letzte große Phase der deutschsprachigen Philosophie liegt knapp 100 Jahre zurück: Die 1920er-Jahre waren nicht nur eine Zeit der naturwissenschaftlichen und kulturellen Revolution, sondern auch des Denkens. Zum letzten Mal war der „Weltgeist“ in Deutschland und Österreich zu Hause, zum letzten Mal ging von hier eine Erschütterung durch alle akademischen Elfenbeintürme, und zum bisher letzten Mal wurde ein theoretisches Fundament gelegt, auf dem die Denkgebäude, in denen wir uns heute selbstverständlich aufhalten können, ihren Halt haben.
Es war eine „Zeit der Zauberer“, so der Titel von Wolfram Eilenbergers neuem Buch. Mit vier zentralen Philosophen versucht der Autor diese Zeit zu fassen: Ernst Cassirer, Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein und Walter Benjamin. Alle trieb die Frage um, was es hieß, in diesen umwälzenden Zeiten ein Mensch zu sein. Eilenbergers Studie richtet sich aber weder ausschließlich an Fachkollegen noch will sie alleine einen akademischen Diskurs nachzeichnen.
Vielmehr möchte der Begründer des Philosophie Magazin herausarbeiten, wie Leben und Denken zusammenhängen, wie Theorie zum Motor der eigenen Selbstwerdung werden kann, und welche Themen in den 1920er-Jahren aufgeworfen wurden, die uns heute – angesichts des kaum zu überschauenden technischen und politischen Wandels – noch dringlicher beschäftigen. Eilenberger macht das geschickt: Er geht zwar chronologisch vor, verschränkt aber Biografie und Werk auf erhellende Weise, blendet die verschiedenen Ansätze ineinander, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszustellen. Er liest die wesentlichen Schriften seiner vier Protagonisten noch einmal neu, manchmal gegen den Strich; er zeigt die Unbedingtheit dieser Denker und die Zwänge, in denen sie vor dem Hintergrund der Folgen des Ersten Weltkriegs, von Inflation und Wirtschaftskrise, institutionellen Verlockungen und privaten Liebesverstrickungen steckten.
Das Schöne an diesem Buch: Man muss kein Grundstudium Philosophie absolviert haben, um es zu goutieren. Eilenberger ist nicht nur ein versierter Rechercheur, sondern durch seine schriftstellerischen Fähigkeiten auch ein begnadeter Vermittler. Es macht Freude, mit ihm tief in die Denkleben seiner Helden einzutauchen.