

Das Leben hinter den zwei Körpern des Königs
Thomas Leitner in FALTER 11/2020 vom 11.03.2020 (S. 36)
Kulturgeschichte: Der schillernde Historiker Ernst Kantorowicz erhält seine erste, fulminante Biografie
Erstaunlich, dass erst jetzt eine umfassende Biografie des schillerndsten Historikers des 20. Jahrhunderts erscheint: Ernst Kantorowicz. „EKa“ (so durften ihn nur seine Vertrauten nennen, so sei er aber der Kürze halber hier genannt), 1895 als Sohn eines jüdischen Likörfabrikanten in Posen geboren. Eine „schneidige“ Militärkarriere verschlug ihn in die Gräben von Verdun, nach Wolhynien und Istanbul. Dort fiel er durch die Affäre mit der Gattin des Oberbefehlshabers ebenso auf wie mit seiner Begeisterung für Orientalistik. Danach studierte er in Heidelberg, dissertierte auf kaum 100 Seiten zu islamischer Wirtschaftsgeschichte. Viel mehr als das Studium bewegte ihn der Kreis um Stefan George, in dessen Innerstes er bald vorstieß, als Quartiergeber und Kammerdiener des verehrten Meisters. Dieser Umgang prägte sein erstes Werk, die Biografie des Stauferkaisers Friedrichs II. von 1927, in Stil und Gehalt.
Georges Idee eines geheimen Deutschlands weitab von wilhelminischem Pomp und Weimarer Wirren, Dante-Verehrung, Faszination für den Orient und den von Hölderlin hergeleitetem Griechenkult flossen in dieses Buch. Wenig Anklang fand der spektakuläre Publikumserfolg bei Fachkollegen: Lyrischer Ton, Enthusiasmus und Empathie lagen in der Hochzeit des wissenschaftlichen Positivismus nicht im akademischen Mainstream, und ein Buch ohne Fußnoten (die Jahre später in einem eigenen Band nachgeliefert wurden) bedeutete schlicht eine Provokation.
Trotz Widerstandes erhielt Kantorowicz 1930 eine Professur in Frankfurt, wurde aber 1934 bei vollen Bezügen entbunden. Pensionist im zarten Alter von 39 zu sein bedeutete für EKa, in Würde müßig zu sein. Dass er erst kurz vor Kriegsausbruch emigrieren musste und bis 1941 Pension bezog, ist wohl seiner antiklerikalen, elitären, manchmal fast deutschtümelnden Reichsverehrung zu danken, die als Nazi-Nähe zu sehen ein grobes Missverständnis wäre.
Die ersten Jahre der Emigration gestalteten sich mühsam: Zu Geld- und Visa-Problemen kamen sprachliche Schwierigkeiten. Das trübte die Erfolge seiner Tournee an die renommiertesten Universitäten. Der in jeder Hinsicht „hohe Ton“ (man bespöttelte seine Fistelstimme und die Literarizität seines Stils) machte den Hörern zu schaffen. Ab 1941 gelang es ihm allmählich, in Berkeley, Kalifornien, Fuß zu fassen. Die Schilderung des Klimas von Affären, Rivalitäten und Freundschaften ist ein Glanzstück des Buches: Der Mediävist Robert E. Lerner erweist sich damit als akademischer Insider, der EKa als Student in diesem Milieu noch begegnete. Nach prekären Jahren mit Lehraufträgen dann die angestrebte Professur, zu der akribische Detailstudien und die wachsende Anziehungskraft seiner Vorlesungen beitrugen. Aber nicht nur EKas wissenschaftliche Brillanz führte zum Erfolg in der Studentenschaft: Junge Dichter waren von seinen Lyrismen angezogen, später als „Berkeley-Renaissance“ bekannt und noch die Beat-Generation beeinflussend. Und Sinologen wurden hingeschickt, um seinem Singsang eine für das Chinesische notwendige Tonlage abzulauschen.
Das zentrale Forschungsgebiet, die Jahre der burgundischen Hochblüte, gipfelt leider nicht in einem Buch (wie schön wäre ein Vergleich mit Huizingas „Herbst des Mittelalters“!). Bewundernswert, dass EKa die institutionelle Absicherung riskierte, sich in der McCarthy-Hysterie der 1950er-Jahre exponierte und den geforderten antikommunistischen Loyalitätseid verweigerte: eine weite Reise von sehr rechts (er rühmte sich der Teilnahme am Niederschlagen des Berliner Spartakusaufstands von 1919) nach links und weiter, zur scharfen Ablehnung von Kennedys Kuba-Abenteuer von 1962. Noch einmal musste er umziehen, nach Princeton an das Institute for Advanced Studies, ohne Lehrverpflichtung.
Das lässt Zeit für das zweite Opus magnum, „Die zwei Körper des Königs“ von 1957, das mit der sakralen Institution des Königtums auch die Entstehung des modernen Staats erklärte. Hatte er im „Friedrich“ die wissenschaftlichen Standards unterboten, sprengte er hier alle Grenzen: Religions-, Rechts- und Kunstgeschichte waren so breit aufgefächert, dass er sich den Arbeiten der École des Annales und der Warburg-Schule näherte und als einer der Begründer der Kulturwissenschaften gilt. Die Bezüge zu diesen Strömungen werden von Lerner nur gestreift. Dafür wird die Privatperson mit den kauzigen und souveränen Zügen als Genießer und (nicht nur) Frauenheld lebendig geschildert. Ein Porträt, das fasziniert, bisweilen auch erheitert.