Das flüssige Land

Roman.
352 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783608964363
Erscheinungsdatum 17.08.2019
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Klett-Cotta
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Kurzbeschreibung des Verlags


»Unheimlich, spannend, aberwitzig und kaum zu fassen – einfach fantastische Literatur«
Jurybegründung Deutscher Buchpreis (Shortlist)

Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregenden Debütroman geht Raphaela Edelbauer der verdrängten Geschichte auf den Grund.

Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist.

Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.

»Raphaela Edelbauer überschreitet Grenzen und rückt in unerforschte Gebiete der Literatur vor.«
Jurybegründung Rauriser Literaturpreis


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ISBN 9783608964363
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FALTER-Rezension

„Ich war erleichtert, dass ich den Preis nicht gewonnen habe“

Klaus Nüchtern in FALTER 44/2019 vom 01.11.2019 (S. 42)

Angela Lehner und Raphaela Edelbauer sind derzeit die erfolgreichsten Schriftstellerinnen des Landes. Ein Gespräch über Durststrecken, Erfolg und männliche Überheblichkeit

Was die heimische Literatur anbelangt, sind Angela Lehner und Raphaela Edelbauer (neben Peter Handke) die Stars der Saison. Ihre jüngsten Bücher waren beziehungsweise sind zurzeit für so ziemlich alle Literaturpreise nominiert, die man im deutschen Sprachraum gewinnen kann. Den Österreichischen Buchpreis könnten sogar beide gleichzeitig einheimsen, denn Edelbauers „Flüssiges Land“ befindet sich unter den fünf Finalisten für den Hauptpreis, während Lehners „Vater unser“ in der Kategorie Debüt nur zwei Konkurrenten hat. Wer tatsächlich ausgezeichnet wird, entscheidet sich am 4. November.

So unterschiedlich die beiden Romane auch sind, eines haben sie gemeinsam: junge Protagonistinnen mit Allerweltsnamen, die sich als unzuverlässige Erzählerinnen erweisen. In Lehners „Vater unser“ landet Eva Gruber gleich einmal auf der Psychiatrie am Steinhof. Dass sie eine ganze Kindergartengruppe erschossen hat, stimmt freilich nicht, und auch über allem, was sie ihrem behandelnden Arzt erzählt, liegt der Schatten der Fragwürdigkeit.

Dass die Kärntner Kindheit, die im Roman beschrieben wird, mit Herrgottswinkel und Jörg-Haider-Porträt ausgestattet wird und sich um einen beschädigten Patriarchen dreht, ließ manche Kritiker an Josef Winkler denken. Im Falle von Edelbauers „Das flüssige Land“ liegen Kafkas „Schloss“ und Hans Leberts „Wolfshaut“ nahe. Nach dem mysteriösen Unfalltod ihrer Eltern bricht die Physikerin Ruth Schwarz Richtung Hochwechsel auf, um im elterlichen Herkunftsort Groß-Einland das Begräbnis zu organisieren. Dass Raum und Zeit aus den Fugen geraten, hat aber nicht nur mit dem haltlosen Tablettenkonsum der jungen Frau zu tun. Und der Abgrund in den der auf einem durchlöcherten Berg gelegene Ort zu versinken droht, hat auch mit dessen abgründiger Geschichte zu tun, befindet sich unter der erschreckend instabilen Erdoberfläche doch ein Massengrab, in dem die Leichen hunderter zur Zwangsarbeit vergatterter KZ-Insassen verscharrt wurden.

Das Treffen der beiden Autorinnen fand vergangene Woche im Café Gol­d­egg auf der Wieden statt.

Falter: Sie haben sich eben so begrüßt, als kennten Sie einander gar nicht?

Raphaela Edelbauer: Es war tatsächlich eine Erstbegegnung!

Ich dachte auf der Buchmesse läuft man sich ständig über den Weg?

Angela Lehner: Aber mein Buch kam schon im Frühjahr, ich war in Leipzig und nicht in Frankfurt.

Habe ich Ihre E-Mails falsch interpretiert oder sind Sie schon leicht genervt von all den Anfragen?

Lehner: Was die Leute nicht wissen, ist, welche Kommunikationsketten nötig sind, bevor man dann auf der Bühne oder beim Interview sitzt.

Edelbauer: Also das ist jetzt das 34. Interview zu meinem Buch, das am 24. August erschienen ist. Da fällt es schwer, noch neue Antworten zu finden.

Ist das nicht mit Lesungen ähnlich? Da gibt es vielleicht ein halbes Dutzend Passagen, die gut zum Vorlesen geeignet sind, oder?

Edelbauer: Ich komme mir manchmal schon wie ein Papagei vor, aber ich habe Animationsvideos für die Lesungen programmieren lassen und versuche, möglichst wenige Wasserglaslesungen zu machen.

Ist das ein stehender Begriff?

Edelbauer: Für mich schon. Das ist das Format, bei dem nur ein Wasserglas auf dem Tisch steht und vorgelesen wird.

Lehner: Ich finde Lesungen halt grundsätzlich fad und beginne selbst bei denen, die mich interessieren, spätestens nach einer halben Stunde über meine Einkaufsliste nachzudenken. Für mich selbst habe ich aber schon den Anspruch, zu entertainen. Videos kann ich noch keine bieten, aber ich lege extremen Wert auf meinen Vortrag und kürze alles zusammen: Wenn sich die Protagonistin ein Wurstbrot macht, müssen das die Leute im Saal ja nicht wissen. Ich habe ein Repertoire von 13, 14 ausgearbeiteten und abgestoppten Szenen, vor jeder Lesung frage ich, wie viele Minuten gewünscht sind, und stelle das entsprechend zusammen. Und wenn sonst niemand auf der Bühne sitzt, wende ich mich zumindest alle 20 Minuten ans Publikum.

Edelbauer: Ich habe einmal eine Performance gemacht, bei der ich drei Stunden Gewichte gehoben und einen auswendig gelernten Text vorgetragen habe. Viele Zuhörer haben ja das Buch schon gelesen und wollen jetzt einfach noch den Körper des Autors sehen.

Lehner: Was war härter: das Gewichtheben oder das Auswendiglernen?

Edelbauer: Das Auswendiglernen!

Die Auffassung von Professionalität haben sich stark geändert?

Lehner: Es gibt diese Einstellung, dass man ein Sell-out ist, wenn man keinen schwarzen Rolli trägt und auf alles scheißt. Und um als intellektuell zu gelten, darf man auch kein Instagram- oder Facebook-Profil haben. Nach zehn Jahren in diesem Bereich habe ich aber einen Punkt erreicht, an dem ich sage: Okay, ich bin bereit, Geld zu verdienen. Das ist ja auch die Voraussetzung dafür, überhaupt weiterhin als Schriftstellerin arbeiten zu können.

Edelbauer: Ich glaube, dass sich die Schriftstellergeneration der 1960er-Jahre, die sehr gerne als Gegenmodell aufgeführt wird, mindestens genauso bewusst der Öffentlichkeit präsentiert hat. Ein Peter Handke wusste doch ganz genau, was er sagt und was er anzieht. Ich persönlich denke, dass Social Media helfen können, Unabhängigkeit vom Markt zu erlangen und sich selbst eine Präsenz zu verschaffen. Man muss Kompromisse eingehen, die aber wiederum die Grundlage dafür liefern, dass man etwas ästhetisch Anspruchsvolles machen kann.

Lehner: Hast du denn noch eine Zusatz­-
­ausbildung?

Edelbauer: Nichts. Bei mir gibt’s keinen Plan B. Schreiben ist das, wozu ich geboren wurde, und ich werde auch niemals was anderes machen. Und du?

Lehner: Aus finanziellen Ängsten mache ich gerade einen Master in Bibliothekswissenschaft. Ich will nicht in die Situation kommen, einen gefälligen Text schreiben zu müssen. Früher habe ich mich gefragt, ob ich es neben der Arbeit überhaupt schaffe, einen zusammenhängenden Text zu schreiben und einen Verlag zu finden. Auf den WG-Partys steht man dann neben Menschen, die Ärzte sind oder BWL studiert haben und ganz alarmiert schauen, wenn man erzählt, dass man gerade ein Buch schreibt. Daher habe ich auch lange Zeit einfach alles gemacht, bloß um überhaupt eine Lesung zu kriegen.

Das hat sich ja hoffentlich geändert?

Lehner: Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben in der Position, coole Angebote ablehnen zu müssen. Es gibt schon Anfragen für den Herbst 2020! Während meiner ganzen Studienzeit habe ich für sieben Euro in der Stunde in einem Fitnessstudio gearbeitet, und die Angela, die ich vor zwei Jahren war, ruft mir heute zu: „Nimm alles an!“ Man muss einen echten Charakterwechsel durchmachen: von dieser bedürftigen, gierigen Person, die unbedingt will, dass man sie performen lässt, zu einer, deren Verantwortung auf einmal darin besteht, genau das nicht zu tun.

Edelbauer: Bei mir ist es jetzt das vierte oder fünfte Jahr, in dem ich ausschließlich von der Literatur leben kann. Aber im Alter zwischen 17 und 25 war ich praktisch ein Leichnam. Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe! Dann kam der Rauriser Literaturpreis und der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, wo ich schon ein bisschen für den Umgang mit so vielen Medien habe üben können. Darüber bin ich sehr froh, und es ist auch enorm wichtig, einen Verlag zu haben, der einem dabei hilft, sich in diesen einander entgegengesetzten Sphären der Produktion und der Selbstvermarktung einzuteilen.

Sie sind von einem österreichischen Kleinverlag zu einem großen deutschen Verlag gewechselt.
Wie hat das funktioniert?

Edelbauer: Über eine Agentur. Ohne geht’s nicht. Eine Agentin hat ja auch die Funktion einer Cheerleaderin, die einen anspornt und unterstützt, wenn’s einmal nicht so gut läuft.

Lehner: Ich bin eine pedantische Krätzn, die auf den Fahnen rumstreicht und selbst beim gedruckten Buch noch sagt: „Bei dem Wort bin ich mir nicht sicher.“ Mein Verlag hat mir verboten, die eigenen Bücher zu lesen.

Edelbauer: Bei mir ist das total anders. Wenn ich den Text fertig habe, ist der tot. Fahnenkorrekturen sind grauenhaft! Außerdem zählt für mich ein Gesamtwerk viel mehr. Ein gutes Buch hinzubekommen ist kein so schweres Unterfangen, aber über 20, 30 Jahre lang gute Bücher zu schreiben, ist eine große Herausforderung. Die Produktionsrhythmen heute sind ja viel zu kurz: Wenn ein Buch nach einem halben Jahr schon „durch“ ist, wie man so sagt, dann brauche ich doch keine Literatur zu schreiben.

Lehner: Wenn ich dir zuhöre, komme ich mir wie ein totaler Stümper vor. Schriftstellerin werden war für mich so ein Wunsch wie „Ich werde Astronautin“. Ich habe Literaturwissenschaften studiert und viele journalistische Praktika gemacht, weil ich mir diesen Wunsch gar nicht zugestanden habe. Ich bin da über eine Schreibwerkstatt, den Zuspruch, den ich dort erhalten und den ersten Wettbewerb, an dem ich teilgenommen habe, reingestolpert. Erst seit einem Jahr, denke ich mir, dass ich schon eine Autorin bin und dass das nicht alles auf Zufall beruht. Den Erfolg finde ich natürlich schön, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es in drei, vier Jahren wieder anders ist und ich wieder als Arbeitnehmerin unterwegs bin.

Wie spielt sich die Arbeit mit der Lektorin ab? Kriegt die erst den fertigen Text oder gibt’s da vorab schon Exposé oder Textproben?

Edelbauer: Ich habe das unglaubliche Glück, dass mir mein Verlag alle Stoffe abnimmt. Wir haben jetzt einen Vertrag für das nächste Buch abgeschlossen, und ich schreibe, was ich will. Meine Agentin macht kein begleitendes Lektorat, was ja manchmal auch passiert, dass da schon ein bisschen vorgebürstet wird. Ich habe im Übrigen auch nicht den Verlag gewählt, der am meisten für mein Buch geboten hat, sondern jenen, dessen Lektorin mich in der Früh angerufen und erklärt hat, dass sie kein Mensch der Telefonate sei. Sie hat einen Flieger genommen, saß um zwölf Uhr Mittag mit mir im Café Prückel, um mir ihre Vorschläge zu unterbreiten.

Und Sie lassen sich auch was sagen?

Edelbauer: Mit Kompromissen in speziellen Fällen habe ich kein Problem. Auch Figuren sind mir vollkommen wurscht, ich gehe von Ideen aus. Was ich überhaupt nicht mag, ist, wenn auf einer abstrakten Ebene Dinge simplifiziert werden, die sich nicht einfacher ausdrücken lassen. Und wenn es um Austriazismen geht, bin ich stur. Die lasse ich mir nicht rausstreichen oder umschreiben.

Können Sie ein Beispiel geben?

Edelbauer: Das geht vom Punschkrapfen bis zu „Es geht sich aus“.

Es gibt für Punschkrapfen doch gar kein anderes Wort.

Lehner: Es gibt in Deutschland überhaupt nichts, was so schön ist wie ein Punschkrapfen.

Gerade die Austriazismen in „Vater unser“ empfand eine deutsche Rezensentin als besonders charmant – „Tschick“ oder „Stiegenhaus“

Edelbauer: Wie kann man denn zum Stiegenhaus sonst noch sagen?

Lehner: Treppenhaus. Ich muss tatsächlich aufpassen, denn ich lebe seit sieben Jahren in Deutschland und benutze die bundesdeutschen Artikel, verwende im Alltag den Genitiv und habe sehr viel Arbeit in mein Buch investiert, um es möglichst simpel, alltäglich und österreichisch wirken zu lassen.

Je mehr Literaturpreise es gibt, umso wichtiger wird es wohl auch, welche zu bekommen. Macht das Stress?

Edelbauer: Bevor ich einen Preis bekommen habe, hatte ich sehr viel mehr Stress.

Lehner: Abgesehen vom Prestige sind Preise einfach ein finanzieller Faktor! Wenn ich 10.000 Euro gewinne, weiß ich, dass ich das nächste halbe, Dreivierteljahr bestreiten und wieder Literatur produzieren kann.

Edelbauer: Glücklicherweise kann ich die nächsten zwei Jahre aus meinen Buchverkäufen bestreiten.

Wie viele haben Sie denn schon verkauft?

Edelbauer: Das sagen sie mir nicht, die Abrechnung kommen immer erst am Ende des Jahres. Aber es wurden vier Lizenzen verkauft, Hör- und Taschenbuch kommen auch noch dazu.

Lehner: Du bist eh voll der Superstar! Zwischen August und Oktober vier Lizenzen zu verkaufen ist ja nicht selbstverständlich.

Edelbauer: Es ist ein Wunder! Was interessiert die Amerikaner mein Roman? Ich habe aber auch mein ganzes Leben lang darauf hingearbeitet, vom Schreiben leben zu können und zehn Jahre gebraucht, bis ich mein erstes Buch rausbringen konnte.

Lehner: Ich hatte noch vor ein paar Monaten die Anfrage eines Veranstalters, eines älteren Herrn, der unbedingt eine Lesung von mir wollte, und auf die Frage nach den Konditionen zurückschrieb, dass man mir zwar kein Honorar und auch kein Hotel oder die Fahrtkosten zahlen kann, dass ich aber sicher was lernen könne.

Edelbauer: Bei mir genau die gleiche Geschichte! Ich habe dann allerdings mit einem sehr, sehr aggressiven Mail geantwortet. Die Selbstüberschätzung dieser Menschen ist unpackbar.

Lehner: Es hängt natürlich damit zusammen, dass man eine junge Frau ist.

Edelbauer: Absolut! Ein 50-jähriger Mann würde so eine Anfrage nie bekommen.

Lehner: Alles, was ein Mann schreibt, ist automatisch von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, aber bei einer Frau kommt dann immer die Autobiografie-Frage.

Wollen wir über „die Rezension“ sprechen?

Lehner: Meine Nemesis. Ein Woche nach Erscheinen meines Buches kam eine große Besprechung in einer österreichischen Tageszeitung, bei der ich das Gefühl hatte, dass der Rezensent vielleicht 20 Seiten gelesen hat. Als Thema des Romans wurde Kindesmissbrauch ausgemacht. Der wird dort zwar mal angeschnitten, aber es geht definitiv nicht um Kindesmissbrauch! Ich habe da eigens bei meiner Lektorin nachgefragt, ob das Buch in diese Richtung missverstanden werden könnte, und sie hat das entschieden in Abrede gestellt.

Die Rezension wird sogar in ihrem Wikipedia-Eintrag erwähnt.

Lehner: Ich finde das so krass! Jeder, der das liest, erfährt, dass ich für dies und jenes gerügt wurde – unter anderem für einen Zeit-Artikel, den ich Monate davor geschrieben hatte. Warum, weiß ich nicht, vielleicht weil der einfach schneller zu lesen war als der Roman.

Der Rezensent wendet sich sogar direkt an Sie: „Sorry, Angela Lehner: Ich kann das nicht ernst nehmen.“ Er bezieht sich damit übrigens auf Ihren Artikel, nicht auf das Buch.

Lehner: Ja, danke für diese Belehrung. Ich kann als Literaturwissenschaftlerin so eine Besprechung nicht ernst nehmen. Niemand muss mich loben, aber meine Mindesterwartung als Schriftstellerin ist schon, dass über meinen Text gesprochen wird.

Edelbauer: Eine sehr eigentümliche Rezension von einem Kritiker, den ich eigentlich bislang als ziemlich okay empfunden habe.

Wie sind Sie generell mit der Kritik und den Reaktionen zufrieden?

Edelbauer: Ich habe keine einzige Rezension gelesen, weil ich das als kontraproduktiv empfinde. Ich vermute aber, dass mich die freundlichen Besprechungen noch schlimmer beeinflussen würden als die Verrisse.

Lehner: Ich lese alles, sogar Rezensionen auf Instagram.

Edelbauer: Ganz schlimm.

Lehner: Finde ich eben nicht. Im Feuilleton ist das Buch oft nur der Anlass, damit sich der Kritiker positionieren oder einen Konflikt austragen kann, der mit dem Text selbst gar nichts zu tun hat. Ich bin insgesamt sehr gut weggekommen, und natürlich freue ich mich über Lob. Aber am meisten profitiere ich aber von einer Kritik, in der jemand im Detail auf den Text eingeht und erklärt, warum etwas für ihn nicht funktioniert hat.

Edelbauer: Ich wollte auch nicht andeuten, dass ich es für uninteressant halte, was ein Kritiker denkt. Beim Interview frage ich da auch schon einmal nach. Aber ich möchte einfach der Gefahr entgehen, mich bei meinem nächsten Projekt an dem zu orientieren, was in einer Zeitung gestanden ist. Das Gespräch unter Schriftstellern hingegen finde ich sehr fruchtbar. Ich unterrichte auch am Institut für Sprachkunst an der Angewandten und liebe es, mit den Studierenden über deren Arbeiten zu reden.

Lehner: Mich beeindruckt, wie du das alles so erklären und handhaben kannst. Ich habe noch immer das Gefühl, dass ich zufällig aus dem Sandkasten gefallen bin und ein Buch geschrieben habe.

Edelbauer: Ich komme mir auch wie ein Kind in der Erwachsenenwelt vor. Ich habe bloß den Vorteil, davor schon ein kleines Buch geschrieben zu haben. Da bekam ich eine schlechte Besprechung und habe drei Tage lang geweint.

Lehner: Das mache ich auch ohne Rezension. (Lacht.) Als sich mein Verlag um das Buch beworben hatte, saßen wir in Berlin-Mitte in der Kochstraße, aßen Spaghetti für 25 Euro, und alle Leute vom Verlag hielten erst einmal Monologe über Figuren, die ich mir in meiner Pyjamahose am Schreibtisch ausgedacht hatte. Ich fühlte mich wie ein Kind, das eine Sandburg gebaut und es geschafft hat, sie Erwachsenen für Geld zu verkaufen, und das jetzt ganz schnell weglaufen muss, bevor die draufkommen, was passiert ist.

Sie waren und sind beide momentan für fast alle Literaturpreise nominiert, die man gewinnen kann. Beim Deutschen Buchpreis hat es vorerst nicht geklappt, beim Österreichischen habe Sie noch die besten Chancen. Mit welcher Erwartung und welchen Hoffnungen sahen und sehen Sie dem entgegen?

Edelbauer: Ich war tatsächlich erleichtert, dass ich den Deutschen Buchpreis nicht bekommen habe. Was meinem Leben Sinn und Struktur gibt, ist das Arbeiten in der Sprache. Ich kenne Leute, die standen auf der Shortlist und sind danach zwei Jahre auf Lesereise gegangen. Das ist der totale Horror! Der Österreichische Buchpreis wäre aber schon fein. Da sind die Verpflichtungen nicht so drückend, und es ist auch maßgeblicher Teil meiner Identität, dass ich eine österreichische Autorin bin. Ich stehe sehr gerne in dieser Tradition und möchte die auch fortführen.

Lehner: Ich war beim Deutschen Buchpreis auch froh, dass ich nicht weitergekommen bin. Da hätte ich noch mehr Termine gehabt. Und zu wissen, dass man einmal ein Wochenende zuhause ist und Wäsche waschen kann, ist manchmal mehr wert als ein Preis. Ich will schon gewinnen, empfinde es aber auch als eine Ehre, gemeinsam mit Marko Dinić und Tanja Raich nominiert worden zu sein. Ich schätze ihre Bücher und mag die beiden auch menschlich. Als ich unlängst erwähnte, noch nie in Tirol gelesen zu haben, hat Tanja dafür gesorgt, dass ich eine Lesung kriege. Gerade die Frauen verhalten sich sehr solidarisch. Man steht natürlich theoretisch in Konkurrenz, aber so etwas wie Neid gibt es eigentlich nicht.

Edelbauer: Man sieht ihn zumindest nicht.

In dieser Rezension ebenfalls besprochen:

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Vier Frauen und ein Fußball-Mann

Dominika Meindl in FALTER 37/2019 vom 13.09.2019 (S. 35)

Noch nie seit der Gründung des Deutschen Buchpreises im Jahr 2005, den damals Arno Geiger mit „Es geht uns gut“ gewann, waren so viele österreichische Autorinnen und Autoren nominiert wie heuer: sechs von insgesamt 20, die es auf die sogenannte „Longlist“ schafften.

Die Quote von 30 Prozent ist vermutlich auch dem Umstand zu verdanken, dass mit der Literaturkritikerin Daniela Strigl und der Buchhändlerin Petra Hartlieb zwei Österreicherinnen in der siebenköpfigen Jury sitzen. Ein starkes Lebenszeichen der heimischen Literatur ist es allemal. Marlene Streeruwitz ist bereits zum dritten Mal nominiert. Ihr Roman „Flammenwand“ erschien im Frühjahr und wurde bereits im Falter (23/19) rezensiert. Wir präsentieren hier die verbleibenden vier Kandidatinnen und den einzigen Kandidaten. Wer die fünf Finalistinnen und Finalisten der „Shortlist“ sind, entscheidet sich am 17. September. Die Preisverkündung und -vergabe findet am 14. Oktober im Rahmen der Frankfurter Buchmesse statt.

Raphaela Edelbauer - Blasmusik-Unwesen im Nazistollen

Nach dem mysteriösen Unfalltod ihrer Eltern will Ruth das Begräbnis in deren Herkunftsort organisieren – den sie erst finden muss, denn Groß-Einland gibt es auf keiner Karte. Zwar wäre sie als Physikerin eine zuverlässige Erzählerin, doch die Reiseapotheke (Xanor, Phenobarbital, Modafinil, Oxycodon) und eine gespenstisch gekrümmte Raumzeit sprechen dagegen. „Etwas, das mich bisher in der Welt gehalten hatte, war aus den Angeln gedreht worden. Das ganze Land stieg unter mir auf; ich befuhr die Wellenzüge einer flüssigen Masse.“

Das nur zufällig gefundene Ziel steht auf einem durchlöcherten Berg, darauf ein Schloss mit hantiger Gräfin, der alle hörig sind, bald auch Ruth. Man darf ruhig an Kafka denken, gerade weil Edelbauer epigonaler Ambitionen unverdächtig ist. Die Tektonik ist im Fluss, Groß-Einland sinkt in den Abgrund, in dem die Bewohner ihre bösen Geheimnisse entsorgen. Ruth soll das Bergwerk mit einer Wundersubstanz stopfen, und zwar im Rahmen eines touristisch attraktiven Festaktes, samt „vierhundertköpfiger Blasmusikkapelle“. Ihr Konzept ist eine der lustigsten Passagen in diesem überraschend witzigen Roman.

Die 1990 in Wien geborene Edelbauer kennt die österreichische Tradition des Verdrängten. Gerade wo er besonders gut erfunden wirkt, ist der Text gut recherchiert. 1945 wird Groß-Einland samt Rüstungsindustrie im Stollen zerbombt. Die Überlebenden gießen Beton über Trümmer und Leichen und bauen die Stadt originalgetreu wieder auf – erschreckend ähnlich in der Chronik Attnang-Puchheims nachzulesen. Die ehemalige Leistungssportlerin Edelbauer muss sich angeblich zwingen, täglich nicht mehr als zehn Stunden zu schreiben. Als Leserin kann man diesen stachanowschen Eifer nur begrüßen.

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