

Ein guter Ersatz für fade Noir-Serien
André Behr in FALTER 12/2024 vom 20.03.2024 (S. 37)
Woche für Woche erleben wir in Mitteleuropa mit, dass nicht nur der Klimawandel, sondern auch überwunden geglaubte Eroberungskriege wieder reale Bedrohungen sind. Der 1989 in Berlin geborene und in London lehrende Ökonom Jakob Thomä beschreibt in seinem neuen Buch sogar 26 ernstzunehmende Gefahrenherde. Laut ihm sind das neben „Planetoiden-Einschlägen“ und „Quantenrechnern“ auch der sogenannte „X-Faktor“ sowie die „Zombieapokalypse“.
X-Faktor? Darunter versteht Thomä Bedrohungen unserer Zivilisation, deren Ursachen wir noch gar nicht kennen. Ein illustratives Beispiel dafür wäre, dass wir eine gigantische Unterwasserzivilisation wie im US-amerikanischen Science-Fiction-Actionfilm „Black Panther: Wakanda Forever“ entdecken, die aufgrund der Störung wütend auf uns wird und gleich die gesamte Menschheit vernichtet. Existieren könnte irgendwo auch ein roter „Selbstzerstörungsknopf“, von dem wir nichts ahnen und den wir eines Tages versehentlich drücken.
Über die anderen aufgeführten Risiken hingegen lässt sich sachbezogen nachdenken. Thomä listet sie alphabetisch auf, wodurch das Buch gleich mit der „Atombombe“ beginnt. Die von ihr ausgehende Gefahr lässt sich in einem Satz formulieren: „Die schier unbegrenzte Energie, die bei der Spaltung oder Fusion von Atomen nutzbar gemacht werden kann, löst entweder eine unkontrollierbare Kettenreaktion aus, die unseren Planeten zerstört, oder wird für eine Waffe genutzt, die Zivilisationen auslöscht.“ Panikmache erscheint dem Autor dennoch unangebracht. Regionale Einsätze von Atomwaffen schließt er nicht aus, aber „nach dem derzeitigen Wissensstand in der Physik“, argumentiert er, „ist eine von Menschenhand ausgelöste, unkontrollierbare Kettenreaktion, die sich auf die ganze Welt auswirkt, faktisch unmöglich“.
Wirklich beruhigend ist das nicht. Bei den meisten Problemfeldern, die Thomä luzid durchdiskutiert, kann man seine Risikoabschätzung aber gut nachvollziehen, denn über Sachverhalte wie Cyberrisken, Genmanipulation, Geoengineering, Klimawandel, künstliche Intelligenz oder Vulkane wird auch in vielen Medien regelmäßig berichtet. Gemeinhin weniger offensichtlich dürften dagegen die im Buch abgehandelten Themen „Du“ oder „Matrix“ sein.
Mit dem „Du“ spricht er gesellschaftliche Risiken an, die aus dem bösartigen Verstand Einzelner erwachsen. Beispiele dafür sind Amokläufe mit leicht erwerbbaren Waffen wie in den USA. „Untätigkeit“ bezüglich der Regulierung von Waffenkäufen, so die Botschaft des Autors, kann selbst zur „Massenvernichtungswaffe“ werden.
„Matrix“ wiederum bezieht sich auf den gleichnamigen Film, in dem die Simulation von Bewusstsein abgehandelt wird. Dabei beschäftigt Jakob Thomä nicht, ob wir in einer Simulation leben, sondern vielmehr, „dass wir auf eine Welt zusteuern, in der wir Zeit für unser in der Realität gelebtes Leben eintauschen gegen die Zeit für die Simulation der Realität eines anderen“.
Der alphabetisch letzte Eintrag in diesem originell konzipierten Buch ist der eingangs erwähnten „Zombieapokalypse“ gewidmet. Gemeint sind damit Wesen wie der besonders raffinierte kalifornische Saugwurm.
Als Parasit sucht der sich eine Wasserschnecke als ersten Wirt aus und legt in ihr seine Eier ab. Aus diesen schlüpfen Larven, die die Schnecke befallen und in eine zombieähnliche Brutstätte verwandeln. Sie sieht aus wie eine Schnecke und benimmt sich auch so, sorgt jedoch wie eine lebendige Tote für den Saugwurm-Nachwuchs. Wird sie von einer Zahnkarpfe gefressen, genannt „Killifisch“, die wiederum von einem Vogel gefangen wird, finden die jungen Saugwürmer dank dessen Ausscheidungen zurück ins Meer. Eine letzte der vielen erstaunlichen Kausalketten in diesem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Buch, das sich wie ein Krimi liest.