

Zwei, die irgendwie dabei gewesen sind
Björn Hayer in FALTER 42/2022 vom 21.10.2022 (S. 22)
Wahrheit oder … Fiktion? Schon mit ihrem Roman „Tschudi“ (2020) hat sich Mariam Kühsel-Hussaini für ein spannendes Dazwischen entschieden. Darin setzt sie eine reale Persönlichkeit ins Zentrum ihrer Geschichte und ergänzt mit erzählerischer Verve die uns unbekannten Stationen. Die Rede ist vom einstigen Direktor der Berliner Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, der um 1900 subversiv die weltanschaulich verengte Kunstpolitik des Kaisers zugunsten einer weltoffenen Werkschau zu unterlaufen wusste.
Nun bringt uns die Autorin erneut zwei historische Personen näher, nämlich den Philosophen Emil Cioran und den ehemaligen Chef der Gestapo (1933–1934), Rudolf Diels, beides überzeugte Faschisten – sollte man meinen. In Kühsel-Hussainis Annäherung werden allerdings die unterschiedlichen Schattierungen der Charaktere deutlich.
Der rumänische Essayist, den es 1933 anlässlich eines Alexander-von-Humboldt-Stipendiums nach Berlin verschlug, gilt als Antisemit und zeitweise verblendeter Faschist. Diese Einordnung greift der Autorin allerdings zu kurz, sie entwirft stattdessen das Porträt eines über den Dingen schwebenden Decadents.
„Ich habe zu viel erblickt, habe zu viel gefunden, alle Einsichten, alle Seelen-Karten abgenagt“, beschreibt sich der Denker in den Worten der Autorin. Und überhaupt erscheint ihm die „ganze Materie“ als „einziger Skandal aus dem Schoß des Nichts“. Während manche seiner Zeitgenossen im Führer die große Erneuerungskraft sehen, erblickt sie Cioran im Tod, als dem einzigen Ereignis in einer entleerten Welt.
Zumindest unbotmäßige Gewalt zu verhindern ist hingegen paradoxerweise der Wunsch Diels’. Zunehmend geht er auf Distanz zum Terror von SA und SS, gebärdet sich gar als Opponent im Unterdrückungsstaat, ja erscheint in seiner Selbstdarstellung bei den Nürnberger Prozessen, wo er als Zeuge auftritt, geradezu als „heimlicher Reichsfeind Nummer 1“.
Die Aussage hinter der nicht unproblematischen Figurenkonstellation? Sowohl die erratischen Auffassungen weiter Teile der Intellektuellen als auch das Versagen politischer und administrativer Akteure trugen erhebliche Mitverantwortung für den Aufstieg des Bösen – eine letztlich banale Einsicht, kaum dazu angetan, ein neues Licht auf längst erforschte Tatsachen zu werfen. Ähnlich wenig ertragreich fallen die Introspektionen in die Täter aus. Soll man Diels, dessen Vergehen trotz all seiner Beschwichtigungsversuche in der Nachkriegszeit allesamt offenbar wurden, nach diesem Buch etwa doch „nur“ als Opportunisten ansehen?
Noch kruder muten die amateurpsychologischen Deutungen mancher Nebenfiguren an, darunter auch ein so prominenter Verbrecher wie der KZ-Arzt Josef Mengele. In einem Kapitel zu seinen grausamen Versuchen an Zwillingen heißt es, dass sich dieser „überaus christlich“ vorgekommen sei – „und so fiel ihm auch nicht auf, dass die Biologie der Untermenschen doch eigentlich nicht seiner herrenmenschlichen Körperkunde dienen konnte“.
Ob ironisch gebrochen oder ernst gemeint – Kühsel-Hussainis Bestreben, uns die Widersprüche im Nationalsozialismus aus dem Inneren der Figuren heraus vor Augen zu führen, überzeugt nicht. Angesichts ihrer Versuche, sich in die Protagonisten hineinzudenken und deren Motive verstehen zu wollen, drängt sich die Frage auf, wie weit ein solches Verstehen von einer Exkulpierung noch entfernt ist.
Abgesehen von diesen Unzulänglichkeiten scheitert der Roman allerdings auch auf literarischer Ebene, indem er unzählige, mitunter unfreiwillige Komik produzierende Stilblüten hervortreibt. Zum Worst-of gehört etwa die „Giftmischung“ aus Hitler und Goebbels, die „von solcher Über-Explosion“ war, „dass der Augenblick selbst ohnmächtig wurde und kollabierte“. Bei Passagen, in denen vom „Eingang in ein ortloses Zelt“ die Rede ist oder von „trunken raunenden, neblig wippenden Bäumen“ drängt sich wieder einmal die Frage auf: Wo war der Lektor?