

Von G’stopften und Ausgestopften
Dominika Meindl in FALTER 42/2022 vom 19.10.2022 (S. 21)
Die Geschichte beginnt mit ihrem Ende: Sprengt Marie die dekadente Pyjamaparty mit einer in der Literaturgeschichte einzigartigen Bombe – oder ist das nur das Feuerwerk zur Mitternacht? Relativ einzigartig ist jedenfalls der Beruf der Mittdreißigerin, der wir einen denkwürdigen Tag lang folgen: Sie hat ihren Job beim „Kultursender“ in Wien (die Auswahl ist ja nicht groß) geschmissen und versucht, die Tierpräparationswerkstatt ihres verstorbenen Onkels weiterzuführen.
Der hatte ihr, die früh Waise geworden war, das Handwerk beigebracht, und sie hat es zu schätzen gelernt: „Der vom Willen verlassene Körper breitete sich vor Marie aus und wurde zum Material, das sie nach Belieben formen konnte.“
Aber trotz der Hilfe ihrer resoluten Tante gehen die Geschäfte schlecht, das Patriarchat sitzt am Fuße des Wilden Kaisers noch fest im Sattel und würde seine Trophäen nie einer Frau anvertrauen.
Also verschwendet Marie ihre Kunstfertigkeit an Wolpertinger, die sie Touristen andreht. Oder sie konserviert die Haustiere der Hautevolée – etwa den Chihuahua „King“, den sie binnen zwölf Stunden in lebendige Form gebracht haben soll, damit ihn die Hotelerbin noch pünktlich zum Höhepunkt ihrer 30er-Feier überreicht bekommt. Der Countdown beginnt.
Während sie das Hündchen aus der Decke schlägt, hadert Marie damit, wie viel Geld und Liebe die Reichen in ihre Tiere investieren, während es allen egal ist, dass ihre Jugendliebe Youni vor sechs Wochen unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling war er ins Dorf gekommen und hat trotz zäher Versuche nie eine Chance bekommen – außer als Drogendealer. Wegen seines in der Werkstatt gebunkerten Marihuanas steht nun auch plötzlich Younis Geschäftspartnerin Butz vor der Tür, ein „unbändiges Weib“, das noch einmal Schwung in die Handlung bringt.
„Der tanzende Berg“ ist Elisabeth R. Hagers dritter Roman. Die Schriftstellerin und Klangkünstlerin stammt selbst aus St. Johann, pendelt mit ihrer Familie zwischen Berlin, Tirol und Neuseeland. Ihre Kritik an der Verkommenheit Kitzbühels hat nichts von der „Piefke Saga“. Die schreibt mit einem Quantum Humor, aber definitiv keine drollige Anti-Anti-Heimatliteratur im Stil von „Blasmusikpop“. Es lebte sich gut hier zwischen den Bergen, wären da nicht die depperten autochthonen Herren und die dummen Reichen mit ihren dummen Streichen.
Es wird schon nicht allzu fiktiv sein, dass die Zweitwohnsitzler glücklosen Bergbauern, wie etwa dem Vater der Butz, deren Höfe zum Spottpreis abknöpfen und sich statt des Viehs verwöhnte Doggen zulegen, die täglich Filet mignon fressen. „Die Welt von denen, die man so gut sehen kann, steht auf dem Schutthaufen von denen, die’s zerbröselt hat“, sagt die Butz.
Wie man einen Hund präpariert (nennen Sie es nie „ausstopfen“!), hat Hager augenscheinlich genau recherchiert. Den für viele ungustiösen Vorgang schildert sie so, dass es bei der Lektüre nicht zu sehr graust. Man gewinnt einen Eindruck von der Kunstfertigkeit, die es braucht, damit das Tier nicht zu einer unheimlichen Karikatur seiner selbst wird.
Wer das Tote so darstellen möchte, dass es nicht befremdlich wirkt, muss ein scharfes Auge für alles Lebendige haben – was ja auch für die Literatur gilt. Was Hager anhand der Taxidermie über den Gegensatz von Schönheit und Lebendigkeit, Natur und Kunst, Konkretheit und Abstraktion festhält, besitzt hohe ästhetische Qualität.
Hagers Roman geht, no na, unter die Haut, aber die Autorin arbeitet so kunstfertig wie ihre Hauptfigur. Der Titel indes führt ein wenig in die Irre. Die Berge tanzen nicht, sie bröckeln. Was tanzen soll, sind die versteinerten Verhältnisse, um Marx zu bemühen. Das Alpen-Patriarchat soll zur Schutthalde werden, auf dem Neues wächst.