

Sehr viel Wind um voll viel Liebe
Dominika Meindl in FALTER 41/2015 vom 07.10.2015 (S. 27)
In „Bora“ kümmert sich Ruth Cerha um das notorisch seltsame Spiel und macht sich um den kroatischen Tourismus verdient
„Liebe und Endlichkeit, die zwei großen Themen, da kann sich keiner entziehen“, heißt es in „Bora“. Alles dazwischen ist ja Mumpitz, und Gefühle sind wichtig, auch wenn’s die falschen sind.
Auf die muss man in der „Geschichte vom Wind“ allerdings eine Weile warten. Schauplatz des Romans ist die Insel Susak nahe Lošinj, quasi im Lee des großen Urlauberansturms. Die Wienerin Mara verbringt hier ihre Sommer als Edeltouristin und hat sich soeben von ihrem Freund getrennt.
Mara ist Schriftstellerin (Metaebene!) und hat naturgemäß eine Schreibhemmung; das fühlt sich so an, als säße in ihrem Inneren ein strenges „kleines Mädchen im Faltenrock“. Als sie eines Morgens des unsteten Fotoreporters Andrej ansichtig wird, verknallt sie sich unverzüglich in ihn, so, als sei sie nicht 40, sondern 14. Unruhig wie eine Blume im Wind (Leitmotiv!) wird Mara von ihrem Gefühlsüberschuss über die Insel getrieben und muss sich von ihren verständnisvollen Inselfreunden trösten lassen, ohne dass die Leser erführen, weswegen.
„Haben sie jetzt schon gebudert?“, fragt der Strandnachbar, der seit 70 Seiten die Rezensentin ächzen hört. „Nein, sie ist noch nicht bereit für eine neue Beziehung!“ Dann klappt’s endlich mit dem feschen Kroato-Amerikaner, die Schriftstellerin fühlt „ein paar große Kirchenglocken, die direkt in meinem Brustkorb läuteten“. „Wenn ich verliebt bin, werde ich pathetisch, das stört mich daran.“ Wen nicht?!
Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und weht von einem zum andern. So wechseln auch die Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Weil es keine Liebe ohne Drama gibt, beginnt das freiheitsliebende Paar relativ bald mit neurotischen Zänkereien. Nur wissen wir hier auch nicht genau, ob der Zwist auch andere als dramaturgische Gründe hat, das wird nicht wirklich klar, zumindest aber löst er die Schreibblockade der Schriftstellerin.
Schreiben kann Cerha durchaus, ein strengeres Lektorat hätte ihr aber wenigstens die Glocken aus der Brust entfernt oder Sätze wie den folgenden verhindert: „Wenn ich etwas unbedingt möchte, beachte ich meine Achselhöhlen aber nicht.“ „Bora“ ist ein etwas geschwätziger Roman, in dem viel erklärt und in langen, adjektivstarken Parataxen erzählt wird – vom Moment des Verliebens und von mangelhafter Mülltrennung, von haubitzenvollem Besoffensein und schlampiger Geschützwartung.
Allzu oft dienen die Dialoge als bloßes Informationsvehikel. Es geht um die Liebe, es geht aber auch um die Geschichte der Insel unter besonderer Berücksichtigung der Emigration nach Hoboken, New Jersey, und unter noch stärkerer Berücksichtigung der Familiengeschichte von Andrej.
Ergänzt wird dies durch Berichte über Maras Schreibpraxis, die Entauratisierung der Fotografie in Zeiten der digitalen Reproduzierbarkeit sowie istrische Kulinarik; nicht zu vergessen die Dialektik von Bora (kalter Fallwind) und Jugo (Südwind).
So schlicht, wie das klingt, ist der Roman aber keineswegs immer. Als Mara ihrer Doch-nicht-Schwiegermutter erklären will, dass sie sich zwar ihrer Familiengeschichte bediene, aber literarisch eh brav verfremde, grantelt diese auf gut New Jersysch zurück: „I am not a jerk, I know what a novel is.“
Schön auch die Idee mit dem „Amt zur Prüfung der Daseinsberechtigung“, das
ideenlose Literaten molestiert. Und obwohl sich „Bora“ etwas zu penetrant als Urlaubslektüre aufdrängt, ertappt man sich dann doch bei dem Wunsch, nächsten Sommer wieder einmal nach Kroatien zu fahren. Weil: Pittoreskes Inselleben! Die köstliche Seezunge, der feurige Schnaps, die warmherzigen Leute!! Wäre man Leiterin des Kvarner Tourismusbüros, man wollte Cerha einen ganz lieben Brief schreiben.