Träumen

Roman
800 Seiten, Hardcover
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Mehr Informationen
Reihe Das autobiographische Projekt
ISBN 9783630874142
Erscheinungsdatum 21.09.2015
Genre Belletristik/Erzählende Literatur
Verlag Luchterhand
Übersetzung Paul Berf
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HerstellerangabenAnzeigen
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Straße 28 | DE-81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
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Kurzbeschreibung des Verlags


Die vierzehn Jahre, die ich in Bergen lebte, sind längst vorbei. Ich führte ein Tagebuch, das habe ich verbrannt. Ich knipste ein paar Bilder, von denen besitze ich noch zwölf. Ich wusste so wenig, wollte so viel, brachte nichts zustande. Aber in welch einer Stimmung ich war, als ich dort ankam!
14 Jahre verbrachte Knausgård in Bergen, bevor er aus der norwegischen Küstenstadt regelrecht nach Stockholm floh, als ginge es ins Exil. Es waren Jahre, in denen er so unermüdlich wie erfolglos versuchte, Schriftsteller zu werden, in denen schließlich seine erste Ehe scheiterte, in denen sich Momente kurzer Glückgefühle mit jenen tiefster Selbstverachtung die Hand gaben, in denen sich Demütigungen und Höhenräusche ebenso schnell abwechselten wie selbstzerstörerische Alkoholexzesse und erste künstlerische Erfolge. Dabei hatte es am Anfang so gut ausgesehen, dieses Leben in Bergen. Dem jungen Knausgård schien die Welt offenzustehen, all seine Träume schienen sich zu erfüllen. Er hatte einen Studienplatz an der Akademie für Schreibkunst bekommen, endlich eine Freundin gefunden ...

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Reihe Das autobiographische Projekt
ISBN 9783630874142
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FALTER-Rezension

Triumph der Fantasielosigkeit

Tobias Heyl in FALTER 39/2015 vom 25.09.2015 (S. 36)

Der Norweger Karl Ove Knausgård schreibt sein Leben in Romanform nieder. Derzeitiger Stand: 3300 Seiten. Was macht den Verfasser von „Min Kamp“ zum literarischen Superstar?

Die vierzehn Jahre, die ich in Bergen lebte, von 1988 bis 2002, sind längst vorbei, geblieben sind von ihnen lediglich einige Episoden, an die sich manche Menschen eventuell erinnern, ein Geistesblitz hier, ein Geistesblitz da, und natürlich alles, was mir aus jener Zeit im Gedächtnis geblieben ist.“ Und das füllt dann immerhin 794 Seiten, den fünften Band von Karl Ove Knausgårds Autobiografie, deren erste vier Bände auch schon auf zusammen rund 2500 Seiten kommen.
Für Neueinsteiger: Knausgård wird Ende des Jahres gerade einmal 47 Jahre alt und hat, sieht man vom literarischen Weltruhm ab, der sich in den letzten fünf Jahren einstellte, nicht viel mehr erlebt als seine Altersgenossen. Kindheit und Jugend in der (südnorwegischen) Provinz, komplizierte Pubertät, erst recht, als sich die Eltern scheiden lassen, nach der Schule keinen rechten Plan, wie es weitergehen soll, deswegen erst einmal als Aushilfslehrer nach Nordnorwegen, dann, in Bergen eben, irgendwas mit Literatur, am liebsten Schriftsteller, zur Not auch Journalist. Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder?
Und doch fasziniert er weltweit eine riesige Leserschaft. In 30 Sprachen wird Knausgårds autobiografisches Wahnsinns­projekt mittlerweile übersetzt, und als er im Sommer anlässlich eines norwegischen Literaturfestivals nach New York kam, kannte der Hype keine Grenzen. Knausgårdians, die man in solchem Ambiente wohl eher selten trifft, drängten sich in einem kleinen Club im West Village, wo der Meister am Schlagzeug der Gruppe Lemen auftrat, dem Nachfolger seiner Bergener Studentenband Kafkafilter. Sein musikalisches Debüt gab er übrigens in einer Gruppe mit dem hübschen Namen „Blutgerinnsel“.

Erzähl mir von deinem Stuhlgang
Die New York Times räumte Knausgård mehrere Seiten für einen Reiseessay frei, im New Yorker verbreitete er sich – nicht ganz so interessant, wie man es dort eigentlich gewohnt ist – über Anders Breivik. Dass man sich ausgerechnet in den USA – okay, vor allem in New York und Los Angeles – so sehr für Knausgård begeistert, ist einigermaßen erstaunlich. Denn einer wie er hätte es dort wohl ziemlich schwer: ein mäßig sportlicher Kettenraucher und exzessiver Trinker, den es treibt, seine Ängste, sein Scheitern, seine Depressionen in allen Facetten und Schattierungen schriftlich festzuhalten, ein Egomane, der an passender Stelle seine Ejakulationsprobleme für genauso mitteilenswert hält wie die Konsistenz seines Stuhlgangs.
In Knausgårds Romanen bewegt man sich in einem Museum des Alltags und der Alltäglichkeiten des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Die Menschen haben noch keine Angst vor Fleisch und Nikotin, ins Auto quetscht man gern auch einmal ein Kind mehr, die Buben träumen von Trainingsanzügen mit drei Streifen und Stereoanlagen mit wummernden Boxen.
Knausgård sorgt dafür, dass all diese Geschichten und Realien in seinem Epos ihren Platz finden: Dass er mit dieser Detailversessenheit auch Leser, die ihm grundsätzlich wohlgesinnt sind, auf eine bisweilen harte Probe stellt, stört ihn offenbar nicht. Aber all diese Details bewegen sich ja nur an der Oberfläche des Textes. Tief unten hämmert ein Bass, der die Erzählmaschine gnadenlos vorantreibt und auch den Leser nicht zur Ruhe kommen lässt, bis die letzte Seite erreicht ist.

Mein Kampf um mich selbst
„Min Kamp“. So heißen die sechs Bände im Original, und man muss kein Norwegisch können, um zu verstehen, dass der deutsche Verlag diesen Titel nicht wörtlich übersetzen konnte. Der französische Verlag versteckte „Mon combat“ als Untertitel im Inneren des Buchs, die Amerikaner wählten als Haupttitel „My Struggle“, ein geschickter Trick, sind doch die beiden englischen Hitler-Übersetzungen unter dem deutschen Originaltitel erschienen. Im Deutschen nun also nach „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“ und „Leben“ der fünfte Band: „Träumen“.
Das klingt lieblich und harmlos, und deshalb sollte man sich bei der Lektüre immer wieder an den eigentlichen Titel erinnern: „Mein Kampf“. Zum einen, weil die gezielt platzierte Geschmacklosigkeit zu den elementaren literarischen Verfahren Knausgårds zählt; zum anderen, weil die ganze Offenheit, mit der da Ängste und Schwächen, Krankheiten und Scheitern ausgebreitet werden, nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass dieses Ich einen Kampf um sich selbst führt, der keine Rücksicht kennt, nicht gegenüber der Familie, den Freunden und erst recht nicht gegenüber sich selbst.
Es ist ein Kampf um Anerkennung gegen den erst nur gefühlskalten, später auch noch chronisch alkoholisierten Vater, es ist ein Kampf um die Liebe der Mutter, die bis zur Scheidung unter ihrem Ehemann leidet und komplett überfordert ist, Haushalt und Familie so zusammenzuhalten, wie man das von Müttern vor 40 Jahren noch erwartet hat. Es ist aber auch ein langer, harter Kampf um Identität und Rolle in der Gesellschaft, der Coming-of-Age-Klassiker also, der freilich noch nie so vollständig ausbuchstabiert worden ist.
Knausgårds Lebenssuada wirkt nur auf den ersten Blick wie ein spontaner, zu Schrift geronnener Monolog. Tatsächlich kann man ihn sich als ein Patchwork aus einigermaßen genauen Erinnerungen an bestimmte Episoden und jenen minutiösen Beschreibungen von Alltäglichkeiten vorstellen, die sich unmöglich im Gedächtnis des Erzählers haben festsetzen können: „Ich öffnete den Kühlschrank und holte heraus, was ich darin an Brotbelag fand. Schnitt ein paar Tomaten auf, ein paar Gurkenscheiben und Paprikastreifen ab und legte alles auf einen Teller, Salami und Schinken auf einen anderen, platzierte einen gelben Käse und einen Molkenkäse auf einem dritten.“

Heldenepos der Mittelschicht
Es gibt Menschen, denen diese Verliebtheit ins Detail einfach nur auf die Nerven geht, die irgendwann einmal weiterkommen wollen mit der Geschichte. Aber es gibt auch Menschen, die gar nicht genug bekommen können von dieser Fülle an Welt, von diesem Hyperrealismus, der in seiner atmosphärischen Dichte einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Die große Zadie Smith gesteht offen, dass der Knausgård-Sound auf sie wie eine Droge wirke. Von anderen Leserinnen wird berichtet, dass Knausgård-Lektüre intensive Muttergefühle auslöse.
Wer sich also auf das Spiel der kalkulierten Distanzlosigkeit und der Freude am kleinsten Detail einlässt, wer dann auch noch in etwa zur gleichen Zeit wie Knausgård erwachsen wurde, läuft früher oder später in die Falle der Identifikation. Norwegen war in diesen Jahren schließlich überall: Eltern, die – den Friedensjahren und der Sozialdemokratie sei Dank – mehr erreicht hatten und sich mehr leisten konnten als die Großeltern; Kinder, die nicht mehr sprachlos mit der elterlichen Autorität konfrontiert waren und die Welt mithilfe des Fernsehers kennenlernten; Jugendliche, die über ihre Sexualität nicht mehr erschrecken mussten und mit ihrer eigenen Musik eigene kulturelle Räume besiedelten. Das heißt aber auch, dass kulturelle und soziale Gefüge nicht mehr so zuverlässig funktionierten wie noch bei den vorangegangen Generationen, dass man immer wieder gefordert war, sich selbst zu erfinden, Koalitionen zu schmieden, Reviere zu verteidigen. Auf die Eltern war in diesem gesellschaftlichen Wirbel kein Verlass, da gab’s nur eines: selber kämpfen.
Begeisterte Kritiker haben Knausgård zum Marcel Proust des 21. Jahrhunderts erklärt. Nimmt man nur den Umfang und den autobiografischen Zugriff zum Maßstab, leuchtet dieser Vergleich sofort ein. Aber damit haben die Gemeinsamkeiten auch schon ein Ende. Proust beschwört eine Vergangenheit, die ihm verlorenzugehen drohte, Knausgård versichert sich Seite um Seite, Buch um Buch, seiner selbst und seiner Gegenwart.
„Min Kamp“ ist das Heldenepos der europäischen Mittelschicht im Europa der Nachkriegsjahre, ihrer Kämpfe um soziales und kulturelles Selbstverständnis. Es handelt von einer Generation, die das Glück, aber auch allen Grund hatte, sich keine großen Heldentaten vornehmen zu müssen. Die dunkle Vergangenheit Europas liegt – zumindest für einen Norweger – schon so weit zurück, dass man sein eigenes Buch frivol neben Hitlers Opus magnum stellen kann, um sich als bärtiger Dämon mit Selbstgedrehter und Falten wie Traktorspuren im Gesicht in Szene zu setzen. Warum diese Generation ihr eigenes Epos braucht, erfährt man aus dem fünften Band: „Träumen“.

Absturz und Erlösung
Wer schon vorher schlappgemacht hat, wird sich jetzt auch nicht mehr dazu aufraffen, Knausgård nach seinem nicht besonders ruhmreichen Intermezzo als Aushilfslehrer in Nordnorwegen nach Bergen zu begleiten, wo er nun endlich die literarische Kurve kratzen und seinen Traum von der Schriftstellerei wahrmachen will. Für alle anderen aber ist dies – ohne dem noch nicht übersetzten Abschlussband vorgreifen zu können – der bis jetzt wichtigste Teil von Knausgårds Selbsterforschung, denn er erklärt, wie einer überhaupt dazu kommt, sich auf ein solch beispielloses literarisches Unternehmen einzulassen.
Der Erzähler also zieht nach Bergen, weil er dort einen Platz an der Schriftstellerakademie bekommen hat, eine einjährige Ausbildung im Creative Writing, wo immerhin ein so bedeutender Autor wie Jon Fosse unterrichtet. Mit Anfang 20 ist er der Jüngste; der Stolz, überhaupt aufgenommen worden zu sein, kippt bald in Versagensängste. Irgendwie gelingt der Abschluss, aber damit ist man natürlich noch längst kein Autor.
Also muss ein neues Studium her, diesmal Literaturwissenschaft, Dante, Joyce, die großen Nummern, in der Theorie Adorno, Kristeva und Foucault –  Knausgård schenkt sich nichts. Dazu die erste wirkliche Liebe, Job beim Studentenradio, immer neue literarische Versuche, eigentlich ein wunderbares Studentenleben, wenn da nicht regelmäßig diese Abstürze wären in Selbstzweifel und Alkohol.
Eine neue Freundin, frühe Hochzeit, der erste Roman gleich ein Erfolg – doch die Ehe geht in Brüche und es will dem Autor nicht gelingen, Stoff für einen zweiten Roman zu finden: „Tatsächlich hatte ich keine Fantasie, alles was ich schrieb, war eng mit der Realität und meinen eigenen Erlebnissen verbunden“, beobachtet er schon früher. Dann der Tod des Vaters, das große Thema des ersten Bands, ein Ereignis, das Knausgård vom writer’s block erlöst und jenen Schreibimpuls freisetzt, der ihn endgültig zum Autor macht: die Selbsterschaffung in der Schrift, für die es keinen Vater braucht. Endlich ist der erste existenzielle Kampf gewonnen.

Der letzte große Bohemien
Indem er es in Literatur verwandelt, fängt Knausgård sein Leben noch einmal an, erschafft er aus eigener Kraft sein eigentliches Leben. Fantasie braucht es dazu nicht, Material steht ihm mehr als genug zur Verfügung, dazu ein großes erzählerisches Talent, Timing, Pointensicherheit, um sich die Leser als unverzichtbare Verbündete zu sichern. Der letzte große Bohemien des 20. Jahrhunderts also zieht einsam durch das dunkle, nasse Bergen, dem Alkohol und manchmal auch noch anderen Drogen verfallen, mal glücklich, öfter noch unglücklich verliebt in die Frauen, doch auch ein empfindsamer Freund seiner literarischen Kollegen. Wie man so etwas perfekt arrangiert, lernt man vielleicht auf der Literaturakademie in Bergen, ganz sicher aber auch bei Thomas Bernhard und Knut Hamsun.
Einsam und ohne ein neues Manuskript macht sich der Held am Ende auf den Weg nach Stockholm, seine treuen Leser wissen schon, wie es dort weitergeht. Aber weil sie bereits so weit gekommen sind, sind sie jetzt schon gespannt auf den Abschlussband, der den Erzähler eigentlich bei der Arbeit am ersten Band zeigen müsste. Und noch mehr sind sie gespannt, was danach von diesem Karl Ove Knausgård zu erwarten ist, vom großen, fantasielosen Epiker unserer Jahre.

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