
Junge Ja-nein-Liebe: Wer sich schämt, verliert
Nicole Scheyerer in FALTER 41/2020 vom 07.10.2020 (S. 32)
Von der angelsächsischen Kritik in den Himmel gehoben, von den deutschen Rezensenten verrissen: So erging es dem mehrfach prämierten Roman „Normale Menschen“ von Sally Rooney, der eine wechselhafte Liebesbeziehung als Coming-of-Age-Story erzählt. Noch bevor die deutsche Übersetzung des Buches erschienen ist, kam im Juli schon die gehypte Serienverfilmung heraus. So viel Breitentauglichkeit konnte der jungen Irin in den hiesigen Feuilletons fast nur zum Nachteil gereichen. Freilich waren die Erwartungen hoch, wurde ihr Erstling „Gespräche mit Freunden“ doch als Generationenroman der Millennials gehandelt. Er trug dem Einfluss sozialer Medien auf Selbstbild und Sprache heutiger Twens Rechnung. Auf die Kommunikation in Rooneys neuem Buch hat das Internet so gut wie keinen Einfluss. An Zoë Becks Übersetzung fällt als unzeitgemäß auf, dass Jugendliche nie englische Wörter verwenden.
Reiches Mädchen verliebt sich in den Sohn der Putzfrau: Was wie die Handlung aus einem britischen Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts klingt, dient Rooney als Ausgangspunkt. Allerdings mit einem interessanten Twist, denn nicht der Proust-Leserin Marianne stehen gesellschaftlich alle Türen offen, sondern dem beliebten Fußballer Connell. Das Buch folgt der vierjährigen On-off-Beziehung von der Schule in einer irischen Kleinstadt ins College nach Dublin. Dort drehen sich die Verhältnisse um und aus dem sozial ausgegrenzten Entlein Marianne wird ein Schwan.
Die 1991 geborene Autorin beherrscht es, Schamgefühle und Sprachlosigkeit darzustellen. Diese Kombination führt auf amouröse Holzwege und in Sackgassen. Im Endeffekt bringen ihre Schlenker Marianne und Connell zwar nicht zu Normalität, aber zumindest auf Augenhöhe.
Obwohl sich Rooney als „Marxistin“ bezeichnet, ist „Normale Menschen“ für Kapitalismuskritik ungeeignet. Es reicht vollkommen, dass es als Liebesroman bei der Stange hält, Tiefe der Empfindung mit flapsigen Dialogen paart und keine einfachen Wege aus den Fallstricken des Begehrens bietet.



