

Über Gott und die Hamas
Tessa Szyszkowitz in FALTER 40/2024 vom 04.10.2024 (S. 31)
Bei manchen hat der Schwarze Schabbat erst einmal eines ausgelöst: eine Schreibblockade. Beim satirischen Autor Etgar Keret aber dauerte sie zum Glück kurz genug, um einen schönen Essay über einen gläubigen Juden zu schreiben. Jechiel-Nachman betet die ganze Nacht vom 7. bis zum 8. Oktober durch und bittet Gott um die Freilassung der Geiseln. Als das nicht passiert, will er enttäuscht vom Glauben abfallen und sich die Schläfenlocken abschneiden.
Es sind berührende und kluge Texte, die im Jüdischen Almanach 2024 des Suhrkamp-Verlags von Herausgeberin Gisela Dachs zusammengefasst wurden. Alle Texte stammen diesmal von Israelis und Israelinnen. Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen ist auch Psychologin -das ist aufgrund der Retraumatisierung der Jüdinnen und Juden durch das Massaker besonders hilfreich. Ihr Text handelt davon, wie wichtig eine einende Erzählung sein kann.
Ganz speziell ist ein Text von Gershon Baskin: Ein Austausch von Textnachrichten mit Ghazi Hamad, einem hohen Hamas-Funktionär. Baskin ist ein israelischer Aktivist, der die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit 2011 mit der Hamas verhandelt hat. Ihr Austausch beginnt noch am 7. Oktober:
"Gershon Baskin an Ghazi Hamad: Gaza wird teuer dafür bezahlen.
Ghazi: Wir haben keine Angst. Gershon: Das solltet ihr aber. Und ihr solltet Mitleid mit all den unschuldigen Opfern auf beiden Seiten haben.
Ghazi: Ich habe dir schon oft gesagt, dass die Besatzung die Quelle der ganzen Übel und Schandtaten ist.
Gershon: Das stimmt. Da bin ich schon immer deiner Meinung."
Bald aber reißt der Kontakt ab. Hamad verschwindet Richtung Libanon. Die Radikalisierung macht auch vor den alten Bekannten nicht halt.
Neben den üblichen israelischen Intellektuellen wie David Grossman und Eva Illouz -die sich über die globale Unmöglichkeit beklagt, heute gleichzeitig gegen Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus zu sein -treten auch unbekanntere Stimmen auf: TV-Journalist Arad Nir schreibt, wie oft Hamas-Anhänger im israelischen Diskurs als "Nazis" bezeichnet werden. Er hält dagegen, dass Juden in der Nazi-Zeit eine Minderheit waren. Heute sind sie das nicht. Israels Politiker verwendeten den Vergleich, um sich von ihrer Schuld reinzuwaschen.